Junge Jesidin:
“IS hält noch immer 3000 Sexsklavinnen gefangen”
Nadia Murad (24) ist eine irakische Jesidin, die 2014 für drei Monate in die Fänge des IS geraten war. Dort erlebte sie ein Martyrium, wurde versklavt und mehrere Male missbraucht. Nach ihrer erfolgreichen Flucht wanderte sie nach Deutschland aus. Obwohl der IS immer mehr an Territorium verliert, warnte Murad davor, die Terrormiliz zu unterschätzen, und sagt: "Der IS hält noch immer mehr als 3000 Frauen als Sexsklavinnen gefangen."
Man dürfe nicht vergessen, dass die IS-Verbrechen im Irak noch andauern, mahnte die ehemalige Gefangene am Sonntag im Interview mit "Spiegel Online". Die Terrormiliz verübe weiterhin zahlreiche Anschläge und verfüge nach wie vor über moderne Waffen und Autos. Laut Murad sei es daher wichtig, die Geldströme des IS zu kappen.
"IS-Verbrecher müssen vor Gerichten angeklagt werden"
Außerdem müssten die IS-Verbrecher vor internationalen Gerichten angeklagt werden, so Murad. Unlängst appellierte die 24-Jährige auch bei einer Diskussion in Wien an die Weltgemeinschaft, sich stärker im Kampf gegen den IS zu engagieren. "Tausenden Frauen und Mädchen" aus ihrer ethnischen Gruppe im Irak sei nach Entführung und Versklavung durch die Dschihadisten "die Würde genommen worden", lautete die dortige Botschaft Murads.
Die IS-Täter kämen aus der ganzen arabischen Welt, aber auch aus verschiedensten Staaten Europas, so Murad. Ob etwas geschehe, um die Verbrechen zu sühnen? Nach den Worten der jungen Jesidin arbeiten einige Unterstützer wie die US-Anwältin Amal Clooney daran, "einen Mechanismus zu finden, um diese Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen". Bemühungen bei der irakischen Regierung in Bagdad hätten bisher keinen Erfolg gebracht.
UN-Büro: IS tötete bisher schon 1300 Jesiden
Der IS betrachtet die Jesiden, die eine eigene Religion haben, als Ungläubige. Sie wurden wie die Christen zur besonderen Zielscheibe des IS-Terrors. Das in Wien ansässige UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) bezifferte die Zahl der vom IS getöteten Jesiden mit rund 1300, die Zahl der in die Sklaverei verschleppten jesidischen Frauen und Mädchen mit etwa 6400.
Seit September 2016 ist Nadia Murad UNO-Sonderbotschafterin und setzt sich für die Würde der Überlebenden des Menschenhandels ein. Auf der ganzen Welt werden Kriege geführt, die unschuldige Menschen töten, beklagte die junge Frau. "Millionen von Waisen und Witwen bleiben zurück." Sie überbringe die Botschaft Tausender Opfer ihres Volkes. "Seit fast drei Jahren dauern diese Verbrechen gegen mein Volk an."
2016 für Friedensnobelpreis nominiert
Ihre Auftritte vor internationalen Foren, wie unlängst in Wien vor der UNODC, bedeuten, dass Murad immer wieder über ihre persönliche Leidensgeschichte befragt wird. "Wir lebten ganz unschuldig in unserem Dorf", erzählte die 24-Jährige, die 2016 auch für den Friedensnobelpreis nominiert war. 2014 überfielen IS-Terroristen das Dorf Kocho im nordirakischen Sinjar-Gebiet und töteten die männlichen Erwachsenen. Buben kamen in Camps, "wurden gehirngewaschen und als Kämpfer trainiert". Frauen und Mädchen wurden verschleppt.
Junge Jesidin verlor 40 Familienmitglieder
Dann durchlebten sie alle ein Martyrium, indem sie von den IS-Kämpfern versklavt und missbraucht wurden. Einige wurden freigelassen oder entkamen, so wie Nadia Murad. Von einigen wenigen der mit ihr Verschleppten habe sie später gehört. In einigen Fällen hätten die Dschihadisten Lösegeld von den Familien gefordert.
Eine 17-jährige Verwandte Murads befinde sich seit mittlerweile drei Jahren in der Gewalt des IS. Ihre Mutter und ihre Brüder wurden von den Dschihadisten getötet, insgesamt verlor sie 40 Familienmitglieder. Über all diese schrecklichen Erlebnisse wolle sie Zeugnis ablegen, "über die Vergewaltigungen, die Sklaverei, den Verlust der Würde". Auch die Leidensgeschichte ihrer Schicksalsgenossin Lamiya Aji Bashar, die 2014 im Irak von IS-Schergen verschleppt, monatelang gefoltert, vergewaltigt und als Sexsklavin verkauft wurde, ging um die Welt.
Inzwischen lebt Murad im deutschen Bundesland Baden-Württemberg. Ob sie jemals wieder in ihr Heimatdorf im Nordirak zurückkehren werde, wisse sie noch nicht. "Die Lage dort ist so schwierig. Einige Familien sind in die Region zurückgekehrt, aber dort, wo der IS zurückgedrängt wurde, gibt es nun Konflikte zwischen kurdischen Peschmerga und schiitischen Milizen", erzählte Murad.
"Jesiden haben Hoffnung auf Rückkehr in alte Heimat verloren"
Die Jesiden hätten die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre alte Heimat verloren, so Murad. Wie die Christen seien sie aus ihren Dörfern im Nordirak geflohen, als diese 2014 von den Dschihadisten überrannt wurden. Mehr als 3000 Jesiden lebten allein in Lagern im Nordirak. Murad erinnerte daran, dass die Weltgemeinschaft immer wieder ersucht wurde, sichere Zonen zu schaffen. Die meisten Christen und Jesiden "glauben nicht mehr an den Frieden".
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