Nach zwei Schicksalsschlägen sucht Karin Ertl (53) Antworten im Buddhismus. Lesen Sie das Protokoll einer Frau, die gelernt hat, auf ihr Herz zu hören.
Zuerst lege ich die Hand auf mein Herz. Dann auf meinen Mund. Schließlich falte ich beide Hände. Danach bitte ich die Kinder, es mir gleichzutun. Herz, Mund, Hände - diese Begriffe stehen für Fühlen, Sprechen, Handeln. Herz, Mund, Hände - mit ihnen können wir Gutes bewirken, aber auch Unheil anrichten. Herz, Mund, Hände - hier liegt der Schlüssel fürs Glück.
Sohn mit geistiger Behinderung geboren
Es waren zwei Schicksalsschläge, die mich dazu angetrieben haben, nach Antworten zu suchen. Vor 26 Jahren kam Emanuel zur Welt. Mein zweiter Sohn. Es stellte sich heraus, dass er geistig behindert ist. Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen. Wünscht sich nicht jede Mutter für ihr Kind, dass es gesund ist?
Wir versuchten als Familie die Situation in den Griff zu kriegen. Nach einer Weile war sogar wieder eine Art Alltag möglich. Und ich habe wieder gearbeitet. Als Kindergarten-Assistentin. 2000 dann die nächste Hiobsbotschaft: Ich litt an einem Kiefer-Tumor. Schon wieder. Bereits als 20-Jährige hatte ich an dieser Stelle eine Wucherung gehabt.
Haben Sie auch etwas Ungewöhnliches erlebt und können damit anderen Mut machen? Bitte schreiben Sie mir: brigitte.quint@kronenzeitung.at
Es folgten sechs OPs, Spitalsaufenthalte, monatelange Krankenstände. Natürlich habe ich mich gefragt: Warum ich? Ich habe gehadert. Ich war wütend. Gleichzeitig wurde ich offen für alternative Techniken, die helfen, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Im Internet habe ich "Kraft und Energie" gegoogelt und alles zum Thema Achtsamkeit gelesen. Auch mein Mann hat dabei mitgemacht.
Wir haben gemeinsam Vorträge besucht. Angebote gab es genug. Es war die Zeit, in der ein Hype rund um diese Themen ausgebrochen war. Fündig geworden bin ich dann im Buddhistischen Zentrum in Wien. Die Lehrer dort haben mir eine ganz eigene philosophische Lebenshaltung beigebracht. Das hat zunächst einmal nichts mit Religion zu tun. Ich selber bin katholisch getauft und kirchlich verheiratet.
"Geht nicht um Anrufung eines Gottes"
Die Buddhisten haben keine Gebete im christlichen Sinne. Es geht nicht um die Anrufung eines Gottes. Ihr Ziel ist die Aktivierung von schon vorhandenen Kräften im Inneren des Menschen. Stichwort Meditation. Im Grunde kann das jeder praktizieren, egal, welcher Konfession er angehört.
Herz, Mund, Hände - ich kann selber entscheiden, was ich fühle, was ich sage, was ich tue. Auch mir selbst gegenüber. Wenn ich an meinen Sohn denke, dann kann ich mich kränken, dass er behindert ist. Ich kann mir aber auch in Erinnerung rufen, wie er seinen Kopf beim Fernsehen auf meine Schultern legt oder strahlt, wenn ich heimkomme. Wenn mich jemand auf meine Narbe am Hals anspricht, kann ich es als Aufmerksamkeit mir gegenüber werten - oder als übergriffig. Ich entscheide mich für die positive Sichtweise. Die negative bezeichnen die Buddhisten als Geistesgift, das unserem Glück im Weg steht.
Mitgefühl und Gewaltlosigkeit
Unheilsames lassen, Heilsames zulassen. Darum geht es. Dazu gehören auch Mitgefühl und Gewaltlosigkeit. Diese Denkweise hat mich überzeugt. So sehr, dass ich meine Matura nachgemacht und Erziehungswissenschaften studiert habe. Heute bringe ich Kindern die Herz-Mund-Hände-Methode bei. Ich bin eine von zehn buddhistischen Religionslehrern in Österreich, nun auch konvertiert. Wurde ich fündig auf der Suche nach Antworten? Herz, Mund, Hände - manche Fragen stelle ich nicht mehr. Das ist die Antwort.
Tipps und Infos
Brigitte Quint, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.