Ein bisschen Hitze gefällig? Dann ist man heuer beim Nova Rock richtig. Bisher dominierten im burgenländischen Nickelsdorf hochsommerliche Temperaturen, sengender Sonnenschein und die eine oder andere Staubwolke. Diese wurden vorwiegend im Moshpit erzeugt, wie es sich für ein Rockfestival gehört. Das wurde am Donnerstag schon zur frühen Stunde mehrfach untermauert. Das größte Highlight war aber dennoch eine Windhose, die einmal quer über das Gelände fegte und dabei Schirme und ein Pavillonzelt zum fliegen brachte.
Ein Beispiel dafür war etwa der Auftritt von Dillinger Escape Plan: Die US-Band, die sicherlich zur anspruchsvollsten Kost im heurigen Line-Up gehört, zog eine ansehnliche Menge vor die Red Stage. Das war auch gut so, ist die Gruppe um Sänger und Kraftpaket Greg Puciato doch derzeit auf Abschiedstour. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Aber vermissen wird man sie definitiv, die Stakkatoriffs, das intensive Drumming und die abseitige Darbietung von Puciato, der die ganze Bandbreite seines Könnens darlegte. Mit "Happiness is a smile" lieferte er das heutige Motto für viele Fans: Was braucht es schon, außer gute Musik und "just a smile". Die Abschiedstour führt die Amerikaner am 13. August noch einmal in die Wiener Szene.
Die vielleicht dringlichste Darbietung des bisherigen Festivals haben bei Backofen-Hitze am früheren Nachmittag Suicidal Tendencies abgezogen. Die US-Hardcore-Crossover-Band aus den Achtzigern hat im Alter weder Kraft noch Relevanz eingebüßt. Politisch, dynamisch, hart und unterhaltsam - so könnte man den Auftritt der Südkalifornier zusammenfassen. Angetrieben von Ausnahmedrummer Dave Lombardo (ehemals Slayer), der mit Bassist Ra Diaz ein Bollwerk an Rhythmen aufbaute, rannte Shouter Mike Muir über die Blue Stage und ließ die Welt wissen: "You can't bring me down".
Kult im Alter
Mit einem technisch brillanten und zugleich aus dem Bauch kommenden Konglomerat aus Hardcore, Thrash, Funk und Rap zeigten Suicidal Tendencies der "Facebook-Generation", wie man Dampf ablässt, so Muir. Bis "Freedumb" ("Peace through politics is a fallacy that does not exist, freedom, freedom, freedom, freedom!", wütete der Sänger) hatte sich ein mächtiger Circle-Pit gebildet. Am Ende, bei der Bandhymne "Pledge Your Allegiance", verlagerte sich das kollektive Auszucken auf die Bühne: Muir holte gefühlt das halbe Publikum herauf - und ab ging noch einmal die Post. Herrlich!
Mit logistischen Problemen hatte die britische Hardcore-Band Architects zu kämpfen. Da es offenbar ein Gebrechen am Bus gab, trafen Samuel David Carter und Co. verspätet am Nova-Rock-Gelände ein und mussten ihr für 50 Minuten geplantes Set halbieren. Der Spielfreude tat das aber genausowenig Abbruch wie der bombastischen Stimmung bei den Fans. Übertroffen wurde das später noch von den Genre-Kollegen von A Day To Remember, die schon nach den ersten Klängen für fulminante und durchdringende Moshpits über dem wüstenartigen Red-Stage-Boden sorgten. Obwohl man schon seit längerer Zeit in einem kreativen Loch steckt, sorgten die alten, von Sänger Jeremy McKinnon brachial dargebotenen Hits für bombastische Stimmung.
Wie man mit minimalen Mitteln großen Effekt erzeugt, haben Me+Marie gezeigt. Das Duo, bestehend aus Maria de Val sowie Roland Scandella und live von einem zusätzlichen Gitarristen unterstützt, sorgte auf der Brandwagen-Stage vor mehreren Dutzend Zuhörern für sehr intime Momente, die Blues, Soul und schweren Rock zusammenbrachten. Viele zweistimmige Harmonien, ein beeindruckendes Verständnis untereinander und tolle Songs wie "One Eyed Love" oder das eigenwillige Motörhead-Cover "Ace Of Spades" ließen kaum Wünsche offen. Bleibt zu hoffen, dass sich die Gruppe ihren Weg nach oben im Line-Up erspielen kann.
Festival-Ernst
Das absolute Highlight auf der Brandwagen-Stage sollte der heiß ersehnte Auftritt der US-Postcore-Band Touché Amoré werden. Sänger Jeremy Bolm schrieb sich auf dem aktuellen Album "Stage Four" Frust und Schmerz von der Seele - handelt das hochgelobte Werk doch vom schleichenden Krebstod seiner geliebten Mutter. Dass derart schwere Kost nicht immer festivaltauglich ist, das verriet der sympathische Künstler der "Krone" im Interview: "Wenn da manchmal jemand mit einem Bärenkostüm vor der Bühne steht, sein bestes Stück rausholt und grölt, während ich den tragischen Tod meiner Mutter verarbeite, ist das natürlich nicht immer amüsant."
Der Auftritt des Quintetts wusste die Fans zu begeistern. Eine wohlige Mischunga aus alten Hardcore-Punk-Kracher und dem mehr im Indie verhafteten Neuwerk erwies sich als goldrichtige Entscheidung. Von der Festivalzusammenstellung am Nova Rock zeigte sich Bolm, laut lachend, begeistert: "David Hasselhoff nach Green Day? Am selben Festival wie Linkin Park und System Of A Down? Das wäre in den USA nicht möglich. Aber das mag ich so an europäischen Festivals. Dort gibt es keine Abgrenzungen. Unlängst lief mal Aerosmith-Sänger Steven Tyler an mir vorbei und grüßte freundlich. Das glaubt man doch nicht!" In Österreich könnte ihm sogar "The Hoff" begegnen...
Neben eingängigen Partybands hatten Acts mit "schwierigeren" Klängen enormen Zulauf. Nicht nur Touché Amoré, sondern auch Gojira und Mastodon boten anspruchsvolle Kost, mit vertrackten Rhythmen und inhaltlichen Botschaften. Wenn diese sich auch nicht immer sofort identifizieren lassen.
Musikalische Reife
"Ja, unsere Musik ist komplexer als die von vielen Bands", betonte Drummer Mario Duplantier, der mit seinem Bruder Joe Gojira 1996 in Frankreich gegründet hat, im Interview mit der APA. "Wir sind langsam gewachsen - ohne Kompromisse. Wir kommen aus der Death Metal-Szene, die prinzipiell sehr technisch ist, aber wir haben für unsere Musik ein wenig die Regeln geändert. In unseren neuen Songs ist mehr Raum, wir wollten den Schwerpunkt vom Experimentieren auf die Songs verlagern."
Dass Gojira sich über die Jahre und Alben (aktuelles Werk: "Magma") weiterentwickeln konnten, führte der Schlagzeuger durchaus auf seine Herkunft zurück: "Die Franzosen pflegen die Kultur und dafür gibt es auch Geld. Künstler bekommen vom Staat Geld, um kreativ zu sein. Das gibt es weder in England noch in Amerika. Amerikanische Bands kommen daher direkt auf den Punkt." Die Brüder, die mittlerweile viel Zeit in Amerika verbringen, legen auf ihre Texte großen Wert. "Wenn man keine Botschaft hat, fehlt der Musik die Würze. Für uns ist es sehr wichtig, unsere Gefühle in den Texten wiederzugeben. Es ist immer gut, über Dinge zu reden, die schmerzen, die einen belasten. Manche gehen zu einem Psychiater, wenn sie negative Gedanken haben, und fühlen sich dann besser. Daher ist es nicht schlecht, über Schlechtes zu reden - beziehungsweise Texte darüber zu schreiben."
"Wir sind in Sorge, wie Menschen miteinander umgehen", sagte Mario Duplantier. "Die Wahl von Donald Trump hat uns sehr heruntergezogen. Die Energie in Amerika ist derzeit sehr negativ. In Frankreich haben wir natürlich gewählt. Es war uns extrem wichtig, Emmanuel Macron zu unterstützen. Marine Le Pen ist böse, eine Rassistin. Dieser religiöse Konflikt ist natürlich ein Problem. Wir hatten ja in Frankreich einige schreckliche Anschläge. Diese Leute leben geistig im Mittelalter. Aber man darf diese Taten nicht instrumentalisieren für rassistische Gedanken."
Progressiver Sandkönig
Nachdem die Franzosen ihr Ding durchgezogen haben, ließen Mastodon im Anschluss dem Publikum keine Zeit zum Verschnaufen. Das Quartett ist derzeit mit dem Album "Emperor Of Sand" unterwegs, was nicht nur das dazugehörige Cover als überdimensionales Backdrop erkennen ließ, sondern auch die entsprechend in die Setlist eingebauten Songs davon. Der "Sultan's Curse" machte da den Anfang und stellte gleich klar: Spielwitz und Abwechslungsreichtum sind der Prog-Metal-Institution auch im 17. Bandjahr nicht abhandengekommen. Wobei die Gruppe ganz auf die Musik setzte und ihre Songs für sich sprechen ließ.
"So oft wurde gesagt, dass Rockmusik tot ist. Aber ich glaube das nicht", hatte Schlagzeuger und Sänger Brann Dailor wenige Stunden davor gegenüber der APA festgehalten. Festivals wie das Nova Rock seien das beste Beispiel dafür. "Tausende Menschen kommen und hören sich unsere Lieder an. Man kann Rock nicht abscer und überraschende Wendungen waren schon immer Trademarks von Mastodon. Da heißt es schon mal "The Wolf Is Loose", preschen die Gitarren nach vorne, während Troy Sanders geradezu stoisch den Bass bearbeitet.
Private Tiefschläge
Inhaltlich hat sich die Band früher oft mythischen Themen gewidmet. Der Sandherrscher mag zwar einen ähnlichen Anschein erwecken, hat aber weit persönlichere Erlebnisse zur Basis. Mehrere Bandmitglieder hatten in den vergangenen Monaten mit Schicksalsschlägen zu kämpfen, Tod und Verlust gehört ebenfalls dazu. "Musik ist eine Möglichkeit, das zu verarbeiten", zeigte sich Dailor nachdenklich. "Ich könnte es mir gar nicht anders vorstellen. Jeder sollte Schlagzeugspielen!", empfahl er seinen Hörern. "Ich mache das, seit ich ein kleines Kind bin. Alles landet da drinnen, die ganze Wut."
Als Gruppe mit Ecken und Kanten hat sich Mastodon jedenfalls etabliert, hat die passende Nische gefunden. "Es ist in Ordnung bei uns vier, das ist schön", sagte Dailor. "Was wir aufgebaut haben, funktioniert immer noch - mit allen Erfolgen wie Misserfolgen. Das gehört dazu, das ist Teil unserer Evolution. Wir sind letztlich vier Typen, die Rockmusik machen. Und so soll es auch weitergehen." Das wird wohl auch das Publikum herzlich gerne unterschreiben.
Goldkehlchen
Wesentlich sanfter, aber nicht minder herausragend rocken die US-Amerikaner von Alter Bridge durch die Weltgeschichte. Die aus dem Korpus der einstigen Millionenrocker Creed geformten Vollblutmusiker begeistern ihre Fans seit 13 Jahren mit Einsatz, Motivation und Verlässlichkeit. Das ziemlich politisch geladene, aktuelle Album "The Last Hero" bildete in der langsam untergehenden Sommersonne das Grundgerüst für die breitbeinige Riff-Chose, die allerdings durch die Goldstimme Myles Kennedys aufgelockert wurde. Der 47-Jährige mit dem verträumten Schlafzimmerblick verwandelt sogar durchschnittliche Kompositionen in fein ziselierte Erfolgssongs. Der Jubel im Publikum war durchaus berechtigt.
Auf eine treue Fangemeinde können seit langer Zeit auch die Schweden von In Flames bauen. Den in den letzten Jahren oft getätigten Vorwurf, sie hätten ihre kultige Melodic-Death-Metal-Seele gegen die Liebe zum Pop eingetauscht, konnten sie auf den Pannonia Fields nicht ganz entkräften. Auch wenn die hervorragend eingestöpselte Instrumentalfraktion rund um Bandchef und Gitarrist Björn Gelotte tight und souverän musizierte, fehlte den glattgebügelten Songs dann doch die letzte Atmosphäre. Songs wie "Only For The Weak" entschädigten zwar die Old-School-Fanfraktion, doch mit der neuen Ausrichtung zeigen sich nicht alle sonderlich zufrieden. An der Spitze lässt sich aber leichter experimentieren - und der Erfolg gibt In Flames recht.
Brachial-Lehrstunde
Der Instanz des Thrash-Metals gehörte der Abschluss des zweiten Nova Rock Tages 2017 - und Slayer zeigten eindrucksvoll, warum sie diesen Status genießen. Da stand weit nach Mitternacht Tom Araya mit grauem Rauschebart, Abbild eines bösartigen Weihnachtsmannes, auf der Red Stage, grinste über beide Ohren, lachte das schon müde Publikum aus und kündigte ein "Liebeslied" an. Es folgte "Dead Skin Mask", ein Song über den Serienmörder Ed Gain, der seine Opfer häutete. Willkommen in der Welt von Slayer - "Gott hasst uns alle", heißt es in "Disciple", herausgebrüllt über die Pannonia Fields von Araya, der seine Kinder christlich erzogen hat. Wohliger Schauer wie in einem packenden Horrorfilm zieht auf, wenn Kerry King, der Mann mit der tätowierten Glatze und den Armen eines Möbelpackers, sich mit Holt an den Gitarren duelliert.
Da fegten sie durch Genre-Klassiker wie "War Ensemble", extrem schnellem Material ("Raining Blood") wurde entschleunigteres ("South Of Heaven") entgegengesetzt - was die Wirkung verstärkte. Neues Material vom Album "Repentless" fügte sich gut in das Dargebotene ein - nur mit der Stimmung war Zeremonienmeister Araya nicht immer zufrieden. Des Öfteren huschte ihm ein diabolisches Lächeln übers Gesicht, die zweideutige Feststellung, er würde vor einer "Zombie-Crowd" spielen, setzte er obendrauf. Verwaschen war dafür der Sound, der selbst für Slayer-Verhältnisse zu laut und breiig aus den Verstärkern schallte. Die grandiose Thrash-Hymne "Angel Of Death" bildete nach gut 80 Minuten den Abschluss eines ansonsten famosen Gigs.
Nostalgie mit Handbremse
Etwas handzahmer wirkte die Show des zweiten Headliners: Die Punkband Blink-182 - mittlerweile mit Alkaline-Trio-Sänger Matt Skiba an der Gitarre und dem zweiten Mikrofon - hat zwar schon einige Zeit im Musikzirkus verbracht. Das wurde immer dann besonders deutlich, wenn Songs wie "Dumpweed" oder "What's My Age Again?" in längst vergangene Zeiten (konkret zum Erfolgsalbum "Enema of the State" von 1999) entführten. Aber das Trio verstand es trotz eines riesigen "Fuck" in brennenden Buchstaben am Bühnenhintergrund nicht durchgehend, die berufsjugendliche Agenda zu vermitteln.
"Wir sind Blink 182", entfuhr es Bassist Mark Hoppus zu Beginn gleich mehrfach. Gar so, als müsse er dem zunächst noch sehr zahlreichen Publikum versichern, dass da eine der erfolgreichsten Punkformationen der späten 90ern spielte. Nur: Das Feuer, das immer wieder aus diversen Öffnung loderte, sprang nicht über. Da nutzten auch ehemalige Hits wie "The Rock Show" oder strukturell interessantere Stücke im Stile von "I Miss You" wenig. Die wenigen Ansätze einer Animation mit Gesangsanleitung oder Einklatsch-Aufforderung ebbten meist recht schnell wieder ab. Man war durchaus bemüht, wie der stets pumpende Travis Barker am Schlagzeug deutlich machte, aber es blieb meist nur beim Versuch. Völlig daneben ging - auch hier - der Sound. Während Slayer die Ohren klingeln ließen, konnte man sich zumindest im ersten Drittel der Blink-Show problemlos vor der Bühne unterhalten.
Starkes Comeback
Etwas besser gelang die Nostalgiereise zu den vor einem Jahr reanimierten Good Charlotte. Die Madden-Brüder, die sich durch ihre Ehen mit Cameron Diaz und Nicole Ritchie auch gerne (unfreiwillig) in der Society-Berichterstattung wiederfinden, haben ihre fünfjährige Auszeit nicht nur genutzt, um mit "Youth Authority" ein starkes Comeback abzuliefern, sondern auch, um die Batterien wieder neu zu laden. Die Fans zegten sich restlos begeistern und sorgten wohl für die beste Tagesstimmung vor der Blue Stage. Hits wie "I Just Want To Live" oder "The River" sind eben zeitlos - und wurden zum Vorteil der Band auch in einem mehr als adäquaten Soundkleid feilgeboten. Hoffentlich auch am Freitag bei System Of A Down, Prophets Of Rage und Co.
Robert Fröwein, Kronen Zeitung/APA
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