Meine Geschichte

“Ich habe mit einem Mythos gelebt”

Meine Geschichte
21.06.2017 15:20

Ihren Vater, Zwangsarbeiter während des Krieges, hat Rosa Holzer (71) nie gefunden. Aber eine Schwester, in Kanada! Lesen Sie das Protokoll einer späten Begegnung.

Ein Kind der Schande. Ein grausamer Satz. Wie kann ein Kind - ein wehrloses Kind! - das Ansehen seiner Mutter schädigen? Ein Kind der Schande. So hat man früher auf dem Land die unehelichen Kinder genannt. Meine Mutter hat noch eins drauf gesetzt: Sie war unverheiratet und wurde schwanger von einem Zwangsarbeiter aus der Ukraine. Ein Skandal in Zeiten des Krieges! Das war auch der Grund, warum sich meine Mutter, so lange sie lebte, über meinen Vater ausgeschwiegen hat.

(Bild: Gerhard Hütmeyer)

Als ich acht Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges geboren wurde, war Wasyl Wynarchuk bereits in Kanada. Er musste fliehen. Wäre er geblieben, hätte man ihn zum Tode verurteilt. Das war damals üblich, wenn sich Zwangsarbeiter mit Österreicherinnen eingelassen haben.

Ich war zwölf Jahre alt, als ich das erste Mal nach ihm fragte. Warum nicht früher? Meine Mutter und ich wohnten auf dem Hof meines Onkels, der im Krieg gefallen war. Wir lebten dort mit meiner Tante und meinem Cousin. Zwei Frauen, zwei Kinder, ein toter Mann. Das war meine kindliche Interpretation von unserer Familie. Dass aber der Bruder meiner Mutter nicht zugleich mein Vater sein konnte, darauf bin ich erst in der Schule gekommen. Und zwar, als wir einen Lebenslauf verfassen mussten und ich unsere Verwandtschaftsbeziehung genauer unter die Lupe genommen habe.

(Bild: Gerhard Hütmeyer)

Haben Sie auch etwas Ungewöhnliches erlebt  und können damit anderen Mut machen? Bitte schreiben Sie mir: brigitte.quint@kronenzeitung.at

Wasyl Wynarchuk: Das war sein Name
"Wer ist mein Vater?", habe ich nach dieser Erkenntnis meine Mutter gefragt. Ihren Blick spüre ich heute noch. Wie ein Pfeil traf er mich. Ich hatte gewagt, die Büchse der Pandora zu öffnen, ein Tabuthema angesprochen. Mit zugekniffenen Lippen und fester Stimme antwortete sie mir: "Wasyl Wynarchuk." Später hat sie mir den Namen auf einen Zettel geschrieben.

Danach haben wir nie wieder über die Sache gesprochen. Das heißt nicht, dass sie für mich erledigt war. Die Sehnsucht nach einem Vater hat mich mein ganzes Leben begleitet. Ich habe mit einem Mythos gelebt. Dass mein Ehemann Leopold 13 Jahre älter ist als ich, ist sicher auch kein Zufall. Stichwort Vaterersatz. Leopold war es auch, der mich darin bestärkt hat, nach Wasyl Wynarchuk zu suchen. Wir haben Suchdienste angeschrieben und einen Ahnenforscher kontaktiert. Ohne Erfolg. Erst fünfzig Jahre später wurde mein Sohn Helmut fündig. 2012 ist er auf "Google Kanada" auf eine Seite gestoßen. Dort waren eingewanderte Ukrainer aufgelistet, die verstorben sind. Einer davon war mein Vater…

(Bild: Gerhard Hütmeyer)

Erwähnt waren auch die Hinterbliebenen. So habe ich herausgefunden, dass ich eine Halbschwester habe: Margaret. Helmut hat den Kontakt via Facebook hergestellt. Margaret hatte keine Ahnung, dass ihr Vater - also unser Vater - noch eine Tochter in Österreich gehabt hat.

Durch Margaret ist mein Lebenspuzzle komplett
Vor zehn Tagen ist sie ins Flugzeug gestiegen, um mich kennen zu lernen. Am Bahnhof in Linz haben wir uns dann zum ersten Mal in die Arme geschlossen. Sie spricht nur Englisch, ich nur Deutsch. Das ist eine Herausforderung. Aber auch ohne Worte - ich spüre eine tiefe Verbindung zu Margaret. Sie ist für mich wie das letzte Stück eines Puzzles, meines Lebens-Puzzles. Sie hat es komplett gemacht.

(Bild: Gerhard Hütmeyer)

Ein Kind der Schande? Dass sogar im Krieg geliebt, gezeugt, geboren wurde, ist viel eher eine Huldigung ans Leben. Dafür bin ich dankbar.

Tipps und Infos

  • Laut " NS-Zwangsarbeit Dokumentationszentrum" wurden 2,46 Millionen Sowetbürger zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reiche verschleppt. Mehr als die Hälfte davon stammten aus der Ukraine.
  • "Ostarbeiter" wurden im 2. Weltkrieg von der Bevölkerung isoliert. Auf "Rassenschande" stand die Todesstrafe.
  • Soldaten und Gefallene des Zweiten Weltkriegs sammelt u.a. das Österreichische Schwarze Kreuz. Das Institut für Historische Familienforschung erforscht gegen Auftragserteilung die jeweilige Familiengeschichte.

Brigitte Quint, Kronen Zeitung

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