Unter weit weniger großem Andrang hat der zweite Prozesstag im ungarischen Kecskemet gegen jene Schlepperbande begonnen, die für den Tod der 71 Flüchtlinge in einem Kühl-Lkw verantwortlich gemacht wird. Nach dem von ihm verlangten Dolmetscher-Wechsel wollte der 30-jährige Bandenchef Samsooryamal Lahoo am Donnerstag dann doch kein Geständnis ablegen. Er erklärte: "Ich lege erst ein Geständnis ab, wenn alle anderen Angeklagten ausgesagt haben."
Beim Prozessauftakt am Mittwoch hatte sich der mutmaßliche Bandenboss über seine Dolmetscherin beschwert. Der Afghane beklagte sich während der Verhandlung mehrmals über die (Nicht-)Verständlichkeit der Paschtu-Übersetzerin und forderte einen anderen Dolmetscher. Dieser wurde ihm nun vom Gericht gestellt, sodass mit seiner Einvernahme gleich Donnerstagfrüh begonnen werden konnte.
Dabei wurde er vom Richter mit dem Protokoll aus dem Polizeiverhör nach seiner Verhaftung konfrontiert. In diesem hatte Lahoo im Jahr 2015 ausgesagt, dass er Autos gekauft und verkauft hat. Was mit den Fahrzeugen weiter passiert sei, wisse er nicht. Den Todes-Lkw wollte er nicht gekannt haben. Auch damals wollte er kein Geständnis ablegen.
Kannte Boss nur zwei Beteiligte?
Von den drei weiteren Hauptangeklagten will Lahoo lediglich zwei gekannt haben: den als Chef der Fahrer in Erscheinung getretenen Metodi Ivanov G. und den für den Fuhrpark zuständig gewesenen bulgarisch-libanesischen Doppelstaatsbürger Saleh Kassim H. (52). Mit ihnen habe er lediglich Autogeschäfte unternommen.
Zweitangeklagter: "Habe nur meine Daten hergegeben"
Auch der gleichaltrige Zweitangeklagte gab vor dem Richter bekannt, dass er sich erst dann äußern möchte, wenn alle anderen Mitangeklagten ausgesagt haben. Allerdings hielt er sein Schweigen nicht allzu lange aus. Denn mitten während des Vortragens jener Verhörprotokolle, die nach der Verhaftung des Bulgaren Metodi Ivanov G. gemacht wurden, beschwerte sich der 30-jährige Vater zweier Kinder, dass die nun vorgetragenen Aussagen nicht der Wahrheit entsprächen: "Die Polizei hat protokolliert, was sie wollte. Das ist nicht die Wahrheit."
Und wenig später reichte er die relativierende Wahrheit nach: Er sei zwar bei jenem Gebrauchtwagenhändler in Kecskemet dabei gewesen, wo der Kühllaster gekauft wurde, sei aber bei der Transaktion und der Vertragsabschließung nicht mit anwesend gewesen. Er habe sich in der Zwischenzeit die Fahrzeuge, neben dem Volvo zwei Mercedes Sprinter, angesehen. Mit der Todesfahrt will er nichts zu tun haben. "Mein Fehler war, dass ich meine Daten hergegeben habe."
Während Lahoo in den Polizeiverhören stets von "Autohandel" spricht, widersprechen die Aussagen G.s dieser Version, denn der Bulgare gab gegenüber der Polizei sehr wohl bekannt, dass sich Lahoo an ihn gewandt habe, um Fahrer aus Bulgarien zu rekrutieren, die bereit wären, Menschen von der serbisch-ungarischen Grenze nach Österreich und Deutschland zu bringen. Aus den Protokollen geht hervor, dass G. sehr eng mit Lahoo und dem Fünftangeklagten Saleh Kassim H. bei der Auswahl von Transportfahrzeugen zusammenarbeitete.
SMS: "Bruder, wo ist mein Lkw?"
Zu den Geschehnissen in jener Nacht, als die 71 Migranten aus Irak, Syrien, Iran und Afghanistan ihren Tod fanden, liefern die Verhörprotokolle G.s ebenfalls mehr Details. So war er sehr wohl im Bilde darüber, dass kurz vor Budapest die ersten Klopfgeräusche durch den Fahrer, den Viertangeklagten Ivaylo S., bemerkt worden waren. Auf die Frage, was sie tun sollten, soll der Afghane gesagt haben, der Fahrer und sein Begleiter mögen doch den Leuten Wasser geben. Nach ein paar weiteren Telefonaten zwischen G. und den Fahrern gibt der 30-jährige Bulgare zu Protokoll, dass er in seinem Hotel in Kecskemet gemeinsam mit seiner Freundin eingeschlafen und erst gegen 11 Uhr vormittags wieder aufgewacht sei. Zu diesem Zeitpunkt waren die 71 Flüchtlinge schon längst tot. Auf seinem Handy fand sich neben einigen unbeantworteten Anrufen eine SMS von Lahoo, in der dieser fragte: "Bruder, wo ist mein Lkw?"
Elf Bandenmitglieder angeklagt
Für den zweiten Prozesstag waren die Einvernahmen des Hauptangeklagten und seines Stellvertreters, ein gleichaltriger Bulgare, geplant. Insgesamt sind elf Bandenmitglieder angeklagt, zehn nahmen auf der Anklagebank Platz, ein Mann ist noch auf der Flucht.
Mehr als 1200 Menschen geschleppt
Die Bande hat laut Anklage mehr als 1200 Menschen nach Westeuropa geschleppt. Dabei kassierte allein der Bandenchef mehr als 300.000 Euro. Ab Juni 2015 schmuggelte die Gruppe verstärkt Flüchtlinge von Serbien über Ungarn nach Österreich bzw. Deutschland. 31 solcher Fahrten konnte die Staatsanwaltschaft in Ungarn nachweisen.
Video: Richter verbietet Bandenboss Aussage
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