Warnung an die EU:

“Wir sind nicht auf Völkerwanderung vorbereitet”

Ausland
28.06.2017 14:10

Trotz des Flüchtlingsdeals mit der Türkei, einiger anderer bilateraler Abkommen mit afrikanischen Staaten und der Schließung der Westbalkanroute hat der Flüchtlingsstrom nach Europa nicht nachgelassen. Derzeit steht besonders die Mittelmeerroute im Fokus sowohl der Schlepper als auch der EU-Politik. Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Ende 2015 sind schon fast zwei Jahre vergangen, doch in dieser Zeit hat es die EU nach Ansicht des kürzlich verstorbenen deutschen Historikers Hans-Peter Schwarz nicht geschafft, sich für einen größeren Andrang von Flüchtlingen zu rüsten. In seinem jüngsten Buch stellt Schwarz der EU-Asylpolitik ein schlechtes Zeugnis aus.

Schwarz ist überzeugt, dass die nächste Flüchtlingswelle nur noch eine Frage der Zeit sei. In seinem Werk "Die neue Völkerwanderung nach Europa" führt er mehrere Gründe für diese These an: aktuelle Zuwanderungszahlen in Deutschland, demografische Entwicklung in den Herkunftsstaaten, der Zerfallsprozess in einigen Staaten an der europäischen Peripherie (etwa Libyen) und die asymmetrische Entwicklung zwischen diesen Regionen und dem wohlhabenden Europa.

Individuelles Asylrecht bei Massenansturm nicht praktikabel
Dass die EU von der ersten Flüchtlingswelle 2015 so kalt erwischt wurde, führt der deutsche Historiker auf die Rechtslage, die "aus einer anderen Zeit" stamme, zurück. Dass jeder Ankommende das Recht auf ein individuelles Asylverfahren hat, sei bei massenhaften Grenzübertritten nicht praktikabel, so Schwarz. "Solange die Europäische Union an ihrem gut gemeinten, aber aus der Zeit gefallenen Flüchtlingsrecht festhält, wird jeder Versuch eines effektiven Schutzes der EU-Außengrenzen aufgrund rechtlicher Selbstfesselung scheitern."

Registrierung von Migranten (Bild: APA/HARALD SCHNEIDER, APA/dpa/Michael Kappeler)
Registrierung von Migranten

Dass innerhalb des Schengenraums die Grenzen offen, aber die Außengrenzen nicht entsprechend gut abgesichert sind, ist in den Augen des Autors ein Konstruktionsfehler der EU. Zu dieser strukturellen Schwäche sei dann auch noch die Politik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel hinzugekommen, die mit ihrer "Wir schaffen das"-Losung "aus einem Massenzustrom eine veritable Völkerwanderung hat anwachsen lassen".

Angela Merkel mit einem Flüchtling im Jahr 2015 (Bild: APA/EPA/BERND VON JUTRCZENKA)
Angela Merkel mit einem Flüchtling im Jahr 2015

"Koalition der Willigen unter österreichischer Führung"
Die Rolle der österreichischen Bundesregierung wird in dieser chaotischen Zeit lobend hervorgehoben: "Nie zuvor in den 65 Jahren bundesdeutscher Geschichte hat eine Bundesregierung ein derartiges Chaos verschuldet und seine Fortsetzung wie gelähmt toleriert, bis die Sperrung der Balkanroute durch eine Koalition der Willigen unter Führung Österreichs im März 2016 dem Kontrollverlust ein Ende machte."

ÖVP-Chef Sebastian Kurz, SPÖ-Chef Christian Kern (Bild: AFP, EPA, APA/HELMUT FOHRINGER)
ÖVP-Chef Sebastian Kurz, SPÖ-Chef Christian Kern

Asylwerber-Kontingente und "Schengen light"
Nach der Bestandsaufnahme unterbreitet Schwarz auch "Lösungsvorschläge". An vorderster Stelle steht die Forderung nach einer "bewältigbaren" Zahl an Asylwerbern, die mit verstärkter Hilfe in "anständigen Unterkünften" gut versorgt und auch integriert werden könnten. Schwarz nennt hier folgende Zahl: 1,5 Prozent der Bevölkerung des empfangenden Staates. Grenzschutz (Stichwort "Schengen light") und Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort sind Punkte, die man auch an anderer Stelle in dieser Diskussion immer wieder hört.

Brisant ist die Forderung des Historikers, dass das Ausländerrecht wieder nationalisiert werden soll. Aus seiner Sicht hat sich hier eine Kluft zwischen den "weitgehend auf supranationale Lösungen eingestellten Eliten in der EU" und den Bevölkerungen in den Mitgliedsstaaten aufgetan.

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