Der Nürburg-King

Honda Civic Type R: Vor(n)trieb mit Abtrieb

Motor
03.07.2017 18:59

Nach nur zwei Jahren Bauzeit bringt Honda bereits den Nachfolger des Civic Type R. Der war bereits ein ernsthafter Kompaktsportler, doch der neue legt noch ein fettes Schauferl drauf, ohne sich selbst zu revolutionieren. Während andere Hot Hatches vermehrt alle Viere antreiben, hält Honda beim Civic Type R eisern am Frontantrieb fest - und krönt ihn zum neuen Nordschleifen-König.

(Bild: kmm)

Alles andere wäre bei der martialischen Optik auch eine Niederlage gewesen. Aber schließlich schwören sie bei Honda Stein und Bein, dass an dem gar nicht mehr so kompakten Sportler (4,56 m lang, 17 cm mehr als der alte) kein Teil reine Show ist: Irgendwo muss der Abtrieb ja herkommen, den der Honda Civic Type R als Einziger seiner Klasse erzeugt. Höchst durchdacht, das alles. Beispiel gefällig? Bitte sehr:

Totaler (Aero-)Dynamiker
Der Heckflügel wirkt ziemlich mächtig, ist genau genommen aber relativ klein. Um seine Abtriebswirkung zu erzielen, müsste er eigentlich weiter hinten platziert und so groß sein, dass man beinahe vor Unterführungen auf die Höhenangaben achten müsste. Ein Trick ändert die Sachlage: Die vier kleinen Längsleisten oberhalb der Heckscheibe sorgen für Verwirbelungen (Venturi-Effekt), welche sauber darüberströmende Luft direkt in den Heckflügel leiten, wo sie schneller als die aktuelle Fahrgeschwindigkeit ankommt.

Diese Kanten sorgen für gewollten Luftwirbel. (Bild: Stephan Schätzl)
Diese Kanten sorgen für gewollten Luftwirbel.
Die Luft strömt den Heckspoiler schneller an als der Civic gerade fährt. (Bild: Stephan Schätzl)
Die Luft strömt den Heckspoiler schneller an als der Civic gerade fährt.
(Bild: Stephan Schätzl)
Das Flügelwerk wurde deutlich schärfer - und besser: Der Type R erzeugt echten Abtrieb. (Bild: Stephan Schätzl)
Das Flügelwerk wurde deutlich schärfer - und besser: Der Type R erzeugt echten Abtrieb.

Seitlich führen "Air Curtains" die Luft an den Vorderrädern vorbei, die Motorhaube verläuft flacher zur Frontscheibe, eine Hutze fängt jetzt Kühlluft ein. Etwas irritierend ist, dass die Haube bei hohem Tempo im Fahrtwind zu flattern beginnt.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Mehr Leistung - und ein umgekehrter Auspuff
Wo der Vortrieb herkommt, ist klar: aus dem Zweiliter-VTEC-Turbomotor, der dank neuer Auspuffanlage von 310 auf 320 PS (und 400 Nm ab 2500/min.) erstarkt ist. Ein Hightech-Triebwerk mit Natrium-gefüllten Auslassventilen (die zeitweise gleichzeitig mit den Einlassventilen geöffnet sind) und Kanälen in den Kolben, die am unteren Totpunkt mit einem kühlenden Ölspritzer durchschossen werden. Dazu trägt ein zweiteiliger wassergekühlter Abgaskrümmer zum Thermomanagement bei.

Im Datenblatt stehen 272 km/h Spitze und ein Sprintwert von 5,7 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Nicht schlecht für den 1,3-Tonner (1305 statt 1321 kg, ohne Fahrer), vor allem wenn man bedenkt, dass man spätestens bei echten 97 km/h (Tacho 102) noch in den dritten schalten Gang muss. Das liegt daran, dass sie das Getriebe sieben Prozent kürzer übersetzt haben als beim Vorgänger. Dadurch zieht der Japaner grundsätzlich besser, durch das höhere Drehzahlniveau ist das Turboloch kein Problem. Auf der Autobahn ertappt man sich jedoch immer wieder dabei, im sechsten Gang noch raufschalten zu wollen.

(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)

Aller Ehren wert ist, dass sie bei Honda der Versuchung widerstanden haben, den Motorsound künstlich aufzufetten. Stattdessen kommt die Musik aus dem Auspuff mit den auffälligen drei Endrohren, wobei das mittlere kleiner ist. Auch das ist kein Showteil, sondern hat eine klare Aufgabe: Bei hohen Drehzahlen verändern sich die Strömungsverhältnisse im Auspuff derart, dass das mittlere Endrohr Luft ansaugt, statt Abgas auszustoßen. Dadurch sollen Dröhnfrequenzen reduziert und so die Akustik auf Reisen komfortabler werden. Insgesamt ist der Sound bei Weitem nicht so aggressiv wie die Optik, das Dröhnen im mittleren Drehzahlbereich aber eher unangenehm.

Der Auspuff macht die Musik. (Bild: Honda)
Der Auspuff macht die Musik.

Der Normverbrauch liegt übrigens bei 7,7 l/100 km.

Wasserschlacht am Lausitzring
Natürlich wünscht man sich für einen Rennstreckentest trockenen Asphalt und für die Fotos sonniges Wetter - aber in Wahrheit gibt es keine bessere Bewährungsprobe für das Material (und den Fahrer) als Nässe. Und der Honda Civic Type R besteht die Wasserprobe auf der ganzen Linie, mitsamt seinem Frontantrieb. Nicht einmal am Lausitzring im strömenden Regen waren die Vorderräder sonderlich überfordert. Klar, wenn ich am Kurvenausgang zu früh aufs Gas steige, rutsche ich geradeaus. Das ist Physik-Grundkurs.

Aber anders als man es sonst oft bei starken Fronttrieblern erlebt, zerrt hier nichts, wenn man Gas gibt. Mit Sperrdifferenzial und zusätzlichem Bremseneingriff wird die Power kanalisiert. Statt mit Antriebseinflüssen zu nerven, glänzt die Lenkung mit feiner Rückmeldung, besser geht's kaum. Kein Vergleich zum nervös-gefühllosen Pendant im Standard-Civic. Bewährt haben sich bereits die eigens für den Civic Type R angepassten Continental SportContact6-Reifen, die beim aktuellen Modell mit 245/30 R 20 eine Nummer größer ausfallen. Etwas größer sind auch die hinteren Bremsscheiben geworden (305 mm), die vorderen 350er-Festsattel-Brembos blieben unverändert.

Die Brembo-Bremsen wurden vom Vorgänger übernommen. Die hinteren Scheiben wurden vergrößert. (Bild: Stephan Schätzl)
Die Brembo-Bremsen wurden vom Vorgänger übernommen. Die hinteren Scheiben wurden vergrößert.

Neue Hinterachse besser als das WTCC-Siegerteil
Nicht nur für die Straße, sondern auch fürs Rennfahren wurde der Honda Civic Type R gebaut, und so wird er seit 2013 in der WTCC eingesetzt, wo er gleich im ersten Jahr den Herstellertitel einfuhr. Und das, obwohl sie bei Honda mit der Verbundlenker-Hinterachse höchst unzufrieden waren. Jetzt ist hintenrum alles anders: Mit der Multilink-Hinterachse liegt der Civic deutlich stabiler, vor allem beim Bremsen. Zusätzlich gewinnt er durch den auf 2,70 m angewachsenen Radstand, den tieferen Schwerpunkt und die zugunsten des Hecks verbesserte Gewichtsverteilung. Weil nämlich die hochklappbaren "Magic Seats"-Rücksitze aus dem Programm geflogen sind, konnte der Tank nach hinten wandern und die Vordersitze tiefer angebracht werden.

Adaptives Fahrwerk mit drei statt zwei Modi
Verbessert wurden auch die adaptiven Stoßdämpfer, die jetzt feiner ansprechen. Dadurch muss der Type R nicht grundsätzlich knochenhart sein, sondern darf etwas mehr Komfort bieten, ohne deshalb schlechter zu liegen. Das fällt besonders im direkten Vergleich der beiden Versionen auf. Der Fahrmodusschalter kennt jetzt drei Positionen. Neu ist "Comfort", "Sport" ist komfortabler, aber nicht weniger sportlich als früher, "+R" ist die richtige Wahl für echten Rennstreckeneinsatz. Das ESP ist komplett abschaltbar. Geschaltet wird immer manuell (mit einem schönen, aber etwas zu glatten Schaltknauf), der Schalthebel will exakt und mit etwas Nachdruck geführt werden. Beim Runterschalten bietet der Type R eine automatische Hacke-Spitze-Polka, wenn man das programmierte Zwischengas nicht im Menü deaktiviert.

Ungewöhnlich an diesem Fahrerauto ist, dass die Handbremse nicht per Hebel, sondern elektrisch gezogen wird.

Wohlfühlplatz für den Fahrer
Das Armaturenbrett ist im Vergleich zu früher schon fast als klassisch gestaltet zu bezeichnen. Der Tacho liegt jetzt nicht mehr knapp unter der Frontscheibe, sondern da, wo man ihn erwartet. Dennoch erkennt man sofort, dass man in einem Honda Civic sitzt, wo es einfach ein bisschen martialischer zugehen muss. Das passt hier auch besser als im Normalmodell. Im Sportmodus leuchten rote LED-Leisten, auf +R werden sie intensiver - und in jedem Fall fangen sie wild zu blinken an, wenn man bei knapp 7000 Touren im Drehzahlbegrenzer landet.

Die Sportsitze sind bequem und bieten guten Seitenhalt, ohne zu drücken. Das Lederlenkrad liegt gut in der Hand. Lediglich die dort angebrachten Bedienknöpfe haben die unangenehm harte Haptik von Legosteinen.

(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)
(Bild: Honda)

Die große Preisfrage
Es gibt dann doch noch etwas, was reine Show ist: der Einstiegspreis von 39.900 Euro. Der gilt für die S-Version, die auf so wesentliche Dinge wie Klimaanlage und eine wie auch immer geartete Einparkhilfe verzichten muss. Das eigentliche Einstiegsmodell kostet 41.990 Euro und bietet dafür u.a. Klimaautomatik, elektrisch einstellbare Außenspiegel, Rückfahrkamera, 7-Zoll-Infotainment-System oder auch LED-Scheinwerfer serienmäßig. Um 45.490 Euro ist auch das GT-Paket an Bord, zu dem Navi, Parkpiepser und noch einiges mehr gehören.

König der Nordschleife
In jedem Fall kauft man den Frontantriebskönig der Nordschleife. Im April hat der Honda Civic Type R mit 7:43,8 min. einen neuen Rekord aufgestellt und damit seinem Vorgänger sieben Sekunden oder satte 315 Meter abgenommen. Bemerkenswert: Der handgeschaltete Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio war nur gut vier Sekunden schneller. Mit 510 PS. Und Hinterradantrieb.

Und dann gibt es da noch ein paar andere interessante Zeiten:

Warum?

  • Herausragende Lenkung
  • Tolles Fahrverhalten

Warum nicht?

  • Der Tank fasst nur 46 Liter.

Oder vielleicht …

... Seat Leon Cupra, VW Golf R, VW Golf GTI Clubsport, Ford Focus RS

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