In den meisten Firmen obliegt die Bewertung der Leistung der Angestellten ihrem Chef, der ihnen Lob und Tadel beim jährlichen Mitarbeitergespräch mitteilt. Einem US-Hedgefonds ist diese Art der Kontrolle aber zu zahnlos: Er setzt auf permanente gegenseitige Überwachung aller Mitarbeiter per App, um Kollegen zu identifizieren, die nicht genug leisten.
Im Online-Shopping sind Bewertungen eine zentrale Entscheidungshilfe. Aber würden Sie auch Kollegen in der Firma bewerten? Nicht anonym, sondern mit Nennung des Namens? Beim US-Hedgefonds Bridgewater, dem größten Unternehmen seiner Art, ist dies Gang und Gäbe. Jeder der 1500 Mitarbeiter wird in einer App aufgeführt und kann von Kollegen in 100 Punkten bewertet werden, berichtet die "Handelszeitung".
Radikale Transparenz als Firmenphilosophie
Hierzulande dürfte es Arbeitnehmervertretern bei diesem Gedanken eiskalt den Rücken hinunterlaufen. Doch bei Bridgewater ist diese Vorgangsweise Firmenphilosophie. Jeder, der bei der Firma anfängt, muss zunächst ein vom Chef persönlich verfasstes 320-Seiten-Manifest lesen, in dem dieser die Spielregeln im Job vorgibt. Eine davon: radikale Ehrlichkeit. Kritik solle offen ausgesprochen werden, statt hinter dem Rücken der Kollegen zu tuscheln.
Als Ventil für diese radikale Ehrlichkeit dient die eigens programmierte App, in der sich die Angestellten gegenseitig bewerten müssen. Auf ihren Firmen-iPads bewerten sich die Mitarbeiter, als wäre der Kollege ein Produkt auf Amazon. Bewertet werden dabei einzelne Fähigkeitskategorien, etwa die Kreativität oder die Motivation eines Mitarbeiters.
Management ist überzeugt von Bewertungs-App
Das birgt Risiken, immerhin sind Motivation oder Kreativität schwer messbar, besonders für Laien ohne entsprechende Ausbildung. Doch glaubt man dem Management des weltgrößten Hedgefonds, funktioniert die Methode. Ein hochrangiger Manager erklärt der Zeitung, er selbst sei 11.000 Mal bewertet worden und sehe das Bewertungssystem per App als Ansporn. Das Bewertungssystem sei mitverantwortlich dafür, dass die Firma so erfolgreich sei.
Eine Ansicht, der man offenbar auch in anderen Unternehmen etwas abgewinnen kann. Bei der US-Großbank JP Morgan beispielsweise hat man ebenfalls ein computergestütztes Bewertungssystem eingeführt - laut eigener Aussage auf ausdrücklichen Wunsch der Mitarbeiter. Diese hätten sich mehr Feedback von der Unternehmensführung gewünscht, also habe man ihnen dieses in Form des Computerprogramms Insight360 gegeben. Nun erhalten sie Kritik in Echtzeit auf ihr Handy - quasi als Ersatz für das jährliche Mitarbeitergespräch.
Wie verändern Menschen-Bewertungen unser Leben?
Doch wenn Menschen bewertet werden wie Amazon-Produkte, dann birgt das auch Risiken. Wenn die ökonomische Existenz und der soziale Status von den Bewertungen abhängen, die ein Mensch von anderen erhält, kann ein schlechter Tag mit unvorteilhaften Begegnungen schon mal ein Leben zerstören - ganz so wie in der geistreichen Sci-Fi-Seriendystopie "Black Mirror", in der man sich dem Thema bereits in der Folge "Nosedive" angenommen hat.
Dabei sind Bewertungen von Menschen gar keine Science-Fiction mehr: Fahrdienste wie Uber erlauben die Benotung des Fahrers. In den USA gibt es Feste, auf die nur kommt, wer ein festgelegtes Maß an Instagram-Followern vorweisen kann. Da ist das Bewerten von Kollegen nur der nächste logische Schritt.
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