Krankhaftes Konsumverhalten wird vor allem bei jungen Österreichern immer mehr zum Problem: Dabei üben Schuhe für Frauen und Technik für Männer den größten Konsumdruck aus. Jeder Vierte gilt bereits als gefährdet. Die gute Nachricht: Für Betroffene sind die Heilungschancen hoch.
Raus mit den Klamotten, runter mit den Preisen. Bis zu minus 50 Prozent Rabatt, oft sind es sogar minus 70 Prozent - der Sommerschlussverkauf steuert auf seinen Höhepunkt zu. Dabei wandert so einiges über die Ladentische, das nicht wirklich benötigt wird.
Ganze Kästen quellen zu Hause über. Bei immer mehr Konsumenten sorgt die Schnäppchenjagd aber für Katerstimmung danach. Eine Studie im Auftrag der Arbeiterkammer hat dieses Phänomen genau unter die Lupe genommen.
Nur kurzfristiges Glücksgefühl
Jede vierte Person in Österreich ist kaufsuchtgefährdet - das bedeutet, sie weist ein pathologisches Verhalten auf. Kaufen ist in diesem Fall Selbstzweck, der Kaufvorgang steht im Vordergrund und bringt ein kurzfristiges Glücksgefühl (siehe auch Interview unten). Betroffene kompensieren durch das Kaufen ein mangelndes Selbstwertgefühl. Konsequenzen und Begleitumstände sind Überschuldung und soziale Isolation.
Frauen und junge Menschen sind häufiger davon betroffen. Bei Jüngeren ist der Anstieg pathologischen Kaufverhaltens bereits dramatisch. Auch Personen mit niedrigerer Bildung gelten als gefährdeter. Für sie ist das Internet besonders verhängnisvoll: Sie kaufen öfter per Mausklick ein als Personen mit normalem Kaufverhalten, können den permanenten Einkaufsmöglichkeiten schwer widerstehen und verbringen viel Zeit auf Shopping-Seiten.
Plastikkarten zu Hause lassen spart Geld
Schwerwiegend wirkt auch das Zahlungsmittel. Wer häufig seine Bankomat- oder Kreditkarte zückt, verliert die Übersicht und ist gefährdeter als jene, die das selten machen. Tipp von Alexander Maly, Chef der Wiener Schuldnerberatung: "Am besten die Karten zu Hause lassen." Wer gerade jetzt im Ausverkauf mit wenig Geld unterwegs ist, vermeidet den einen oder anderen Spontankauf.
Weiters auffällig: Wer nie Kontoauszüge überprüft, tappt leichter in die Geldnot-Falle. Bedenklich: Kaufsucht spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle, weil es im Gegensatz zu Drogen- oder Alkoholmissbrauch nicht als verpönt gilt. Shoppen ist wirtschaftlich und politisch erwünscht, es dient als Beschäftigungsmotor und zur Erhaltung des westlichen Lebensstandards.
"Ich kaufe, also bin ich"
Prestige- und Identitätsversprechungen, vermittelt durch Werbung, wirken anziehend. Die Botschaft: "Ich kaufe, also bin ich." Durch Konsum wird auch Zugehörigkeit manifestiert - armutsgefährdete Haushalte können nur schwer mit den Anforderungen mithalten und sind dadurch von sozialer Ausgrenzung betroffen.
Und: Der Konsum ist ein wesentliches Merkmal westlicher Gesellschaften, die Entwicklung des Phänomens Kaufsucht ist daher auch im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen zu sehen.
Interview: "Der Kaufakt sorgt für Entspannung"
Im Folgenden Suchexperte Michael Musalek vom Anton Proksch Institut im "Krone"-Interview.
"Krone": Wann genau spricht man von einer Kaufsucht?
Michael Musalek: Das zentrale Phänomen ist der Kontrollverlust. Ich nehme mir etwa vor, keine Schuhe zu kaufen, und mache es trotzdem. Es ist die Befriedigung am Kaufakt, dies sorgt kurzfristig für Entspannung. Es kommt zu einer Dosissteigerung. Das Einkaufen wird ins Zentrum des Lebens gestellt. Die Produkte werden oft nicht einmal ausgepackt.
Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Frauen sind etwas häufiger betroffen, aber auch Männer können davon betroffen sein. Sie bevorzugen Technisches, während Frauen zu Bekleidung greifen.
Wie steht es mit den Heilungschancen?
Die Prognosen sind hervorragend, sofern die Betroffenen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Kaufsucht kommt nie alleine. Sie ist oft eingebettet in Depressionen. Bei Selbstversuchen liegen die Heilungschancen bei zehn Prozent, mit professioneller Hilfe sogar bei 80 Prozent.
Daten und Fakten
Martina Münzer, Kronen Zeitung
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