Im Mai wurde bei Arbeiten am Wiener Stephansplatz ein Skelett entdeckt - in einem "geordneten Grab", was als kleine Sensation gilt. Üblicherweise werden dort nur mehr vereinzelte Knochen ausgegraben. Nun wurden die Gebeine untersucht. Ergebnis: Trotz des prominenten Fundorts stammen sie von keiner bekannten Person, sondern von einer armen, kranken Frau, die vor rund 300 Jahren jung verstarb.
Das Skelett wurde am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) unter die Lupe genommen, wie die Leiterin der Stadtarchäologie Wien, Karin Fischer-Ausserer, im APA-Interview schilderte. Dort wurde unter anderem Geschlecht und Alter bestimmt: "Es handelt sich um eine 20 bis 25 Jahre alte Frau." Die Identität der Toten wird wohl für immer ungeklärt bleiben. Entsprechende Sterbeakten zu finden sei aussichtslos und aus archäologischer Sicht auch nicht unbedingt relevant, hieß es.
Denn über die Lebensbedingungen der Betroffenen sagt bereits das Gerippe allein genug aus. Sie waren offenbar überaus schlecht: "Man hat massive Veränderungen vor allem an der Innenseite des Schädels gefunden." Dies deutet laut Fischer-Ausserer auf einen Infekt hin. Vermutet wird eine Meningitis - die in Folge einer Tuberkulose entstanden sein dürfte. Auch Nebenhöhlen- und Stirnhöhlenentzündungen wurden diagnostiziert.
Kinderarbeit schädigte Knochen
Damit nicht genug: Die Wirbel- und Rippengelenke zeichnen sich laut der Wiener Stadtarchäologin durch massive degenerative Veränderungen aus. Die Knochensubstanz ist vermutlich durch starke körperliche Arbeit geschädigt worden, die die Frau offenbar seit Kindheitstagen leisten musste. "Auch die Zähne waren, verursacht durch Mangelernährung, schlecht", erläuterte Fischer-Ausserer. Die Person stamme eindeutig aus ärmeren Umfeld. Mit der niedrigen gesellschaftlichen Stellung sei eine miserable hygienische und medizinische Versorgung einhergegangen.
Auch das Alter der Überreste kann relativ genau spezifiziert werden. Keramikreste, die im Grabschutt gefunden wurden, haben laut der Wissenschafterin die Datierung erleichtert. Die Bestattung dürfte im Zeitraum zwischen 1700 bis 1732 erfolgt sein. Denn das entdeckte Fayence-Material sei Anfang des 18. Jahrhunderts verwendet worden. 1732 wiederum sei das Jahr, in dem der Friedhof geschlossen wurde.
Kleidung vollständig verrottet
Kleidungsreste konnten nicht mehr ausfindig gemacht werden. Diese sind wohl alle verrottet. "Das liegt daran, dass das Erdreich am Platz immer sehr feucht war", verwies Fischer-Ausserer auf die aus archäologischer Sicht schwierige Grundwasser-Situation im betreffenden Bereich. Dass das Skelett überhaupt als Ganzes gefunden wurde, gilt als überraschender Glücksfall. Verantwortlich dafür war die spezielle Lage.
Laut der Stadtarchäologin wurde die Person unmittelbar an der Mauer der ehemals dort befindlichen Maria-Magdalenen-Kapelle beerdigt, da sonst kaum mehr Platz am längst zu kleinen Friedhof war. Das Erdreich direkt beim noch vorhandenen Fundament wurde bisher offenbar nicht an allen Stellen umgegraben - also auch nicht beim Bau der U-Bahn. Somit konnten die Überreste ohne Beeinträchtigung überdauern.
Gebeine werden auf Zentralfriedhof beigesetzt
Wo die Wiederbestattung erfolgen wird, ist bereits fix: in einem eigenen Bereich am Zentralfriedhof, in dem auch die Toten aufgelassener Friedhöfe zur Ruhe gebettet wurden. Bis zum neuerlichen Begräbnis wird aber noch eine Weile vergehen. Denn die Stadtarchäologie wartet damit bis zum Abschluss des Projekts Stephansplatz, da nicht ausgeschlossen wird, dass noch weitere Funde ans Licht kommen. Dass noch mehr vollständige Skelette entdeckt werden, hält die Chefin allerdings für eher unwahrscheinlich, wie sie sagte.
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