Der Legende nach wurde Netflix aus dem Frust über eine hohe Gebühr für ein verlorenes Leihvideo geboren: Der kalifornische Softwareunternehmer Reed Hastings verlegte eine Kassette mit dem Film "Apollo 13", und bei der Videothek sammelten sich Gebühren von 40 Dollar an, wie er später erzählte. Auf dem Weg ins Fitnessstudio fiel dem verärgerten Hastings dann auf, dass das Geschäftsmodell dort viel netter sei: Für 40 Dollar im Monat kann man so viel trainieren, wie man will. 20 Jahre später hat sich Netflix, das anfangs noch DVDs über das Netz verlieh, zum TV-Revolutionär gewandelt.
Hastings hatte gerade seine Firma Pure Software verkauft und verfügte damit über Zeit, Lust und Geld, etwas Neues auszuprobieren. Und so gründete er im August 1997 gemeinsam mit Marc Randolph, ebenfalls Softwareunternehmer, die Firma Netflix, einen Online-Videoverleiher. Es dauerte bis zum nächsten Jahr, bis Netflix den Betrieb aufnahm und noch ein Jahr verging, bis das Abo-Modell stand: Für die monatliche Gebühr konnte man sich so viele DVDs per Post kommen lassen wie man im Monat schaffte. Aber alles geht auf "Apollo 13" und den Besuch im Fitness-Studio zurück. So erzählte es jedenfalls Hastings oft. Laut dem wenige Jahre später ausgeschiedenen Randolph wollten die beiden einfach etwas ähnliches wie Amazon aufziehen und entschieden sich für den DVD-Verleih.
So oder anders, die DVDs spielen für Netflix seit Jahren so gut wie keine Rolle mehr. Heute ist das Kerngeschäft der immer noch von Hastings geführten Firma vor allem ein Streaming-Service, der verstärkt auch eigene Inhalte produziert und damit die Zukunft des Fernsehens mitprägen will. Die mehr als 100 Millionen Kundenhaushalte weltweit schauen sich nach jüngsten Zahlen jeden Tag 125 Millionen Stunden Video an. Rund sechs Milliarden Dollar steckt Netflix dieses Jahr in Inhalte, darunter Hunderte Millionen in exklusive Produktionen, die es nur bei dem Dienst zu sehen gibt.
Streaming killed the Video-Star
Bis hier war es ein weiter Weg, auf dem der Erfolg nicht unbedingt programmiert schien. So hätte die Geschichte ganz anders verlaufen können, wenn der Videotheken-Riese Blockbuster im fernen Jahr 2000 das Deal-Angebot von Hastings angenommen hätte. Netflix wollte damals die Marke von Blockbuster online betreiben und dafür mit dem eigenen Namen in die Filialen von Blockbuster reinkommen. Ein Manager des Videotheken-Betreibers erinnerte sich später in Branchenblatt "Variety", dass man Netflix hätte für 50 Millionen Dollar kaufen können.
Doch die Delegation des jungen Videodienstes wurde förmlich aus der Blockbuster-Chefetage herausgelacht, wie sich der damalige Netflix Finanzchef Barry McCarthy später erinnerte. Zehn Jahre später musste Blockbuster Insolvenz anmelden und 2013 schloss die letzte Filiale nachdem auch ein Rettungsversuch durch den Sat-TV-Dienst Dish erfolglos blieb. Es war unter anderem das 2007 gestartete Streaming bei Netflix, das Blockbuster das Genick brach.
Durchbruch mit "House of Cards"
Hastings war jedoch klar, dass Netflix allein als Streaming-Anbieter fremder Inhalte mit der Zeit von vielen Konkurrenten umgeben sein würde. Und so setzte er die Latte höher: Exklusive Sendungen, die es nur bei Netflix geben sollte. Der Erstling war "House of Cards", die Serie über den skrupellosen US-Politiker Frank Underwood. Das Team aus Hauptdarsteller Kevin Spacey und Hollywood-Regisseur David Fincher habe Netflix gewonnen, weil sie etwas boten, wozu kein klassischer TV-Sender bereit gewesen sei, sagt Hastings: eine Garantie für zwei Staffeln.
Der Erfolg der Serie in den USA und auf den internationalen Märkten etablierte Netflix im Geschäft mit TV-Produktionen. Inzwischen ist der für Inhalte zuständige Netflix-Manager Ted Sarandos auf dem Markt für TV-Produktionen berüchtigt für die Bereitschaft, viel Geld für große Deals auszugeben. Netflix ließ beliebte Serien wie "Full House" und "Gilmore Girls" wieder aufleben, sicherte sich zuletzt das nächste Projekt der "Grey's Anatomy"-Schöpferin Shonda Rhimes. Und kurz bevor Disney seinen Exklusivdeal für die USA aufkündigte und die Entwicklung eines eigenen Streamingdienstes in Angriff nahm, kaufte sich Netflix den Comic-Verlag Millarworld mit Titeln wie "Kick-Ass" und "Kingsman" - ein potenzieller Ersatz für Disneys Marvel-Serien.
Wer schaut wann was
Für hochgezogene Augenbrauen sorgte die Entscheidung von Netflix, Comedy-Star Adam Sandler für fünf Filme zu verpflichten. Die Leute schimpften zwar immer über dessen Streifen, aber schauten sie sich trotzdem gern an, sagte Hastings zur Begründung. Netflix weiß das, weil Daten eine zentrale Säule des Geschäftsmodells des Videodienstes sind. "Wir wissen, wann die Nutzer welche Inhalte sehen, wann sie Pause machen, wann sie eine Serie aufgeben", sagt der für Innovationen zuständige Top-Manager Todd Yellin.
Mit diesem Wissen kann Netflix auch immer besser vorhersagen, wer von seinen Nutzern welche Sendungen sehen will. Die Vision sei, dem Kunden nur wenige Vorschläge zu machen - aber dabei genau den Nagel auf den Kopf zu treffen, sagt Produktchef Neil Hunt.
Schon seit 2000 wurden den Nutzern bei Netflix Vorschläge für die nächste Leih-DVD gemacht. Inzwischen lenkt die Software stark die Entscheidungen der Zuschauer. Nach aktuellen Zahlen werden 80 Prozent der Sendungen auf Basis von Empfehlungen durch den Netflix-Algorithmus geschaut.
Geheimnis um Zuschauerzahlen
Die Zuschauerzahlen für jede einzelne Netflix-Sendung sind ein behütetes Geheimnis. Die Konkurrenz aus dem traditionellen TV macht es sauer, schließlich kennt man dort bei jeder Sendung den Marktanteil. Doch Netflix, das nicht um Werbekunden buhlen muss, seien solche Ranglisten egal, sagt Hastings. Und als Außenstehender könne man schließlich merken, dass eine Serie nicht erfolgreich gewesen sein muss, wenn sie abgesetzt wird. Dieses Jahr zog Netflix den Stecker bei mehreren groß beworbenen und aufwendig produzierten Serien wie "Sense8" der Wachowski-Schwestern, die unter anderem für "Matrix" bekannt sind, oder "The Get Down" von Hollywood-Regisseur Baz Luhrmann.
TV-Zukunft laut Hastings im Internet
Hastings zeigt sich immer wieder überzeugt, dass mit der Zeit das gesamte Fernsehen, auch klassisches lineares TV, über Internetkanäle laufen werde. Die Konkurrenz wächst und von Amazon über YouTube bis hin zu lokalen Streamingdiensten wie Maxdome setzen alle auf exklusive Inhalte. Die "Washington Post" kritisierte jüngst, Netflix wolle alle Geschmäcker bedienen, statt eine Art eigene Sender-Identität wie etwa der Bezahlkanal HBO zu entwickeln. Von einem bewährten Zuschauermagneten lässt Netflix aber - im Gegensatz etwa zu Amazon - konsequent die Finger: Sportübertragungen seien zu teuer, sagte Hastings bisher.
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