Hunderte Verletzte
Referendum: 90% für Unabhängigkeit Kataloniens
Bei dem umstrittenen Referendum über die Unabhängigkeit in der spanischen Region Katalonien haben die Unabhängigkeitsbefürworter am Sonntag mit rund 90 Prozent der Stimmen gewonnen. Das teilte die katalanische Regionalregierung in der Nacht auf Montag mit. Die Abstimmung stand im Schatten brutaler Polizeigewalt gegen Wähler. Die Bilanz: mehr als 800 teils schwer Verletze. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy rechtfertigte das harsche Vorgehen der Polizei und erklärte zudem die Abstimmung für nichtig.
Den Angaben des Sprechers zufolge gaben aber weniger als die Hälfte der 5,3 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab: Insgesamt seien 2,26 Millionen Stimmzettel gezählt worden, die Zahl der Ja-Stimmen sei bei 2,02 Millionen gelegen. Dieses Resultat gab Jordi Turull, Sprecher der Regionalregierung, in der Nacht auf Montag bekannt.
Zentralregierung in Madrid hatte Wahl gerichtlich verboten
Die Regionalregierung in Barcelona hatte das Referendum trotz eines gerichtlichen Verbots und gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid durchgezogen. Die Madrid unterstehende Polizei war mit einem Großaufgebot gegen das Referendum vorgegangen. Polizisten schlossen Wahllokale, beschlagnahmten Abstimmungsunterlagen und hinderten Menschen mitunter mit Schlagstöcken und Gummigeschossen an der Stimmabgabe. Nach amtlichen Angaben wurden 844 Menschen verletzt, einige von ihnen schwer.
"Unterdrückung durch den spanischen Staat"
Der Sprecher der katalanischen Regionalregierung sprach von "Unterdrückung durch den spanischen Staat" und einer "Schande Europas" und kündigte juristische Schritte gegen die Zentralregierung in Madrid an. Diese werde sich vor internationalen Gerichten wegen der Gewalt verantworten müssen.
Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum haben Dutzende Gewerkschaften und andere Organisationen für Dienstag zu einem Generalstreik aufgerufen. Wegen der "schweren Verletzung von Rechten und Freiheiten" der Katalanen während des Volksentscheids solle die ganze Region an diesem Tag die Arbeit ruhen lassen, erklärten die Organisationen am Sonntagabend. Die spanische Polizei war mit einem Großaufgebot gegen das Referendum vorgegangen.
Regierungschef: "Haben Recht, unabhängigen Staat zu haben"
Nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses forderte Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont bereits die Loslösung der Region von Spanien ein. "Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben", so Puigdemont. Nach einem vom katalanischen Parlament verabschiedeten "Abspaltungsgesetz" soll die Unabhängigkeit bei einem Sieg des "Ja"-Lagers innerhalb von 48 Stunden ausgerufen werden. "Wir werden diesen Weg gemeinsam und friedlich beschreiten", sagte Puigdemont. Auf dem Platz Placa de Catalunya im Zentrum Barcelonas brachen Zehntausende Menschen bei diesen Worten in Jubel aus. Sie sangen auch die katalanische "Nationalhymne" "Els Segadors".
Rajoy verteidigt Polizeieinsatz
Spaniens Regierungschef Rajoy verteidigte das Vorgehen der Polizei am Abend in einer Fernsehansprache als Abwehr eines Angriffs auf den Rechtsstaat. Die Abstimmung bezeichnete Rajoy als Inszenierung, der er jede Gültigkeit absprach. Es habe kein Unabhängigkeitsreferendum gegeben. Er hoffe, dass die katalanische Führung ihren Weg verlassen, der nirgends hinführe.
Die katalanische Regionalregierung habe "Grundrechte verletzt" und gegen die Legalität und das demokratische Zusammenleben verstoßen, sagte Rajoy. Die Katalanen seien dazu verleitet worden, an einer gesetzeswidrigen Abstimmung teilzunehmen. Der konservative Politiker gab der Regionalregierung in Barcelona die Schuld an den Unruhen. Die Verantwortlichen seien "die, die das Gesetz gebrochen haben". "Wir haben nur unsere Pflicht erfüllt und das Gesetz befolgt." Rajoy kündigte gleichzeitig an, ein Treffen aller politischen Parteien anzusetzen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken. Er selbst werde sich keiner Gelegenheit zum Dialog verschließen, aber man müsse sich im Rahmen des Gesetzes bewegen.
International reagierte man großteils empört über die Polizeigewalt in Katalonien. "Die Eskalation in Spanien ist besorgniserregend", schrieb der SPD-Chef und langjährige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Madrid und Barcelona müssten "sofort deeskalieren und den Dialog suchen". Der belgische Premierminister Charles Michel erklärte: "Gewalt kann nie eine Antwort sein." Der Ruf nach einer Vermittlung der EU wurde lauter. Puigdemont forderte die EU auf, nicht mehr wegzuschauen, sondern einzugreifen.
Vilimsky: "EU-Spitzen jetzt gefordert"
In Österreich meldeten sich am Sonntag Grüne und FPÖ zu Wort. Die grüne Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl, Ulrike Lunacek, ließ wissen: "So wie alle Demokraten in Europa bin ich von der gewalttätigen Zuspitzung der Situation in Katalonien auf das Tiefste schockiert." Lunacek verurteilte den Einsatz von Gummigeschossen gegen Demonstranten "auf das Schärfste". Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter im Europaparlament und FPÖ-Generalsekretär, erklärte, angesichts der Gewalteskalation seien "jetzt die EU-Spitzen gefordert", die Spanische Zentralregierung in Madrid zur Ordnung und Mäßigung zu rufen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte am Samstag in der Ö1-Interviewreihe "Im Journal zu Gast" erklärt, er beobachte die Entwicklungen mit "Bauchweh und Sorge".
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