Mladic vor Gericht
“Schlächter vom Balkan”: UNO-Tribunal fällt Urteil
Das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag fällt endlich das Urteil über Ratko Mladic. Der "Schlächter vom Balkan" ist als Kommandant der bosnisch-serbischen Truppen verantwortlich für die blutigen Verbrechen an den Bosniaken. Er gilt auch als Hauptverantwortlicher für den Völkermord von Srebrenica, dem im Sommer 1995 binnen weniger Tage mehr als 8000 Buben und Männer zum Opfer fielen und der eine ewig offene Wunde bleiben wird. Alles andere als eine lebenslange Haftstrafe ist kaum vorstellbar. Das Urteil wird am Mittwoch verkündet, am Dienstag hieß es, dass Mladic vermutlich nicht im Gerichtssaal anwesend sein wird.
Sehr wohl anwesend werden hingegen viele Angehörige der Kriegsopfer sein. Sie hoffe, dass Mladic eine lebenslange Haftstrafe erhalten werde, sagte etwa Munira Subasic, Vorsitzende der "Mütter von Srebrenica", der wichtigsten Vereinigung der Hinterbliebenen, vor ihrer Abreise nach Den Haag gegenüber Medien. "Wo er auch hinkam, wurde ein Völkermord verübt", so Subasic mit Blick auf die auch in anderen Gemeinden verübten Massaker.
Von Deportation bis Völkermord: Lange Liste an Anklagepunkten
Jasmin Meskovic, Leiter eines Kriegsgefangenenverbandes, erwartet, dass der heute 74 Jahre alte Mladic in allen elf Anklagepunkten - darunter Völkermord (70 Massaker in 20 Gemeinden), Folter, Vertreibungen und Geiselnahme - schuldig gesprochen wird. Nur dies könne zur Versöhnung und Toleranz in Bosnien beitragen. Ebenfalls zur Last gelegt wird Mladic die 1425 Tage dauernde Belagerung Sarajevos, während der 11.000 Zivilisten, unter ihnen 1600 Kinder, ermordet wurden.
Mladic zeigte beim Prozess keinerlei Reue
Mladic wurde nach langjähriger Flucht im Mai 2011 in der Ortschaft Lazarevo in der nordserbischen Provinz Vojvodina festgenommen. Die Haager Ankläger verlangten in ihrem Schlussplädoyer die Höchststrafe für den Angeklagten: lebenslange Haft. Seine Verteidiger plädierten auf Freispruch und versuchten in den vergangenen Monaten, die Urteilsverkündung angesichts Mladics Gesundheitszustandes hinauszuzögern. Mladic selbst gab sich während des Prozesses zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen unbeeindruckt und zeigte keine Reue.
Das Haager UNO-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien hatte im Laufe seiner Arbeit 15 Angeklagte der Verbrechen in Srebrenica für schuldig befunden. Serbiens Ex-Präsident Slobodan Milosevic starb vor der Verkündung seines Urteils im Gefängnis. Die drei engsten Mitarbeiter von Mladic erhielten lebenslange Haftstrafen, andere Offiziere wurden zu Haftstrafen von bis zu 35 Jahren verurteilt. Der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic wurde zu einer 40-jährigen Haftstrafe verurteilt.
Letztes Urteil im Völkermord-Prozess
Für Chefankläger Serge Brammertz wird der Mittwoch ein historischer Tag sein, denn es wird 22 Jahre nach Kriegsende mit dem Spruch gegen Mladic das letzte Urteil zum Völkermord von Srebrenica gefällt. Auf die Frage, ob die Prozesse bei der Aufarbeitung geholfen haben, schüttelte Brammertz den Kopf. "Es gibt noch immer Politiker in Serbien, die den Genozid leugnen. Wie soll es da jemals zu einer Aussöhnung kommen?"
Für viele Serben gilt Mladic bis heute als Kriegsheld
Mladic gilt bei vielen Serben bis heute als Kriegsheld, der seine Landsleute in Bosnien nur vor dem sicheren Untergang bewahrt hat. Das kleine Serbien habe so einer "Weltverschwörung" unter Führung Deutschlands, Österreichs und des Vatikan heldenhaft Widerstand geleistet. Wen wundert es da noch, dass die Mladic-T-Shirts Volksfesten und in den Souvenirgeschäften der Hauptstadt Belgrad ein Dauerbrenner sind. Die serbische Politik leugnet bis heute den Völkermord in Srebrenica.
Dodik goss noch Öl ins Feuer
Sogar der bosnisch-serbische Präsident Milorad Dodik hat am Tag vor der Urteilsverkündung Mladic noch in Schutz genommen. "Mladic hat sehr professionell und patriotisch seine Pflichten erfüllt. Er wird eine Legende bleiben", wurde Dodik, der selbst wiederholt den Völkermord von Srebrenica geleugnet hatte, vom TV-Sender RTRS zitiert.
Genozid von Srebrenica als ewig offene Wunde
Für den von 1992 bis 1995 wütenden Krieg wurde vor allem Srebrenica das traurige Symbol. Im Juli 1995 hatten serbische Einheiten unter General Mladic die UNO-Schutzzone überrannt und dann 8000 muslimische Buben und Männer ermordet. Mladic hatte damals gesagt, es sei die Zeit gekommen, sich an den "Türken" zu rächen. Bis heute ist unfassbar, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden ein solches Verbrechen, das für immer eine offene Wunde bleiben wird, verübt werden konnte.
Bild der Schande ging um die Welt
Nicht nur auf dem Balkan, auch für die UNO bleibt Srebrenica eine offene Wunde. Die Staatengemeinschaft hatte den Völkermord nicht verhindert, niederländische UNO-Soldaten hatten sich den Truppen von Mladic kampflos ergeben. Kurz nach der Einnahme von Srebrenica prosteten einander der bullige General und der niederländische Kommandant des Blauhelm-Bataillons, Thom Karremans, mit Schnapsgläsern zu. Das Foto von dieser Szene ging als Bild der Schande um die Welt.
530 Prozesstage, fast eine Million Seiten Akten
Für den Prozess gegen Mladic waren 530 Prozesstage nötig, 377 Zeugen wurden befragt und die Prozessakten umfassten fast eine Million Seiten. Im Gerichtssaal schildern Zeugen das Grauen von damals. Da war der Mann, dessen Frau in Sarajevo auf dem Marktplatz von Scharfschützen beim Milchholen erschossen worden war. Oder das junge Mädchen, das wochenlang von Gruppen von Soldaten vergewaltigt wurde. Oder der Mann, der das Massaker von Srebrenica nur überlebte, weil er sich tot stellte und unter den Leichenbergen verbarg. Leichen waren zerstückelt und auf verschiedene "Sekundärgräber" verteilt worden. Noch immer wurden nicht alle Toten gefunden und identifiziert.
Die Brutalität des Armeechefs kam nicht erst kurz vor Kriegsende zum Ausdruck. Schon zuvor hatte er seine Soldaten etwa zum unbarmherzigen Beschuss von Sarajevo, der über drei Jahre dauerte, angetrieben. "Macht sie verrückt", unterstrich er seinen Befehl damals. Viele Menschen überlebten die Gräueltaten nur deshalb, weil sie durch den sogenannten Tunnel des Lebens, der vom Stadtgebiet Sarajevos unter dem Flughafen hindurch in von Serben nicht besetztes Gebiet führte, fliehen bzw. mit Lebensmitteln versorgt werden konnten.
Mladic nach Tod seiner Tochter noch brutaler
Personen aus dem Umfeld Mladics berichteten nach dem Krieg von einer drastischen Wende im Verhalten des Militärs nach dem Tod seiner Tochter Ana. Die Medizinstudentin nahm sich im März 1994 nach einer Russlandreise, auf der sie von Studienkollegen mit der Brutalität des laufenden Krieges konfrontiert worden war, das Leben. Nach dem persönlichen Verlust zeigte sich Mladic, passionierter Schach- und Mensch-ärgere-dich-nicht-Spieler sowie Blumenliebhaber, erst recht rücksichtslos bei der Durchsetzung seiner Kriegspläne.
Nach dem Krieg hatte Mladic zunächst noch jahrelang in seiner Belgrader Villa gelebt, zeigte sich bei Fußballspielen in der Öffentlichkeit und genoss den Status eines Volkshelden, ehe er um die Jahrtausendwende untertauchte. Wie erst Anfang November durchsickerte, versteckte sich Mladic zwischen 2000 und 2003 auch in einer Belgrader Militärkaserne. Die serbischen Behörden bestritten dies damals energisch ...
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