Laeticia Chen ist jung, schlank, hat lange dunkle Haare und arbeitet bei einer chinesischen Denkschmiede in Shanghai. Dies zumindest behauptet ihr Profil beim Karriere-Netzwerk LinkedIn, das ihr mehr als 500 Kontakte bescheinigt. Dass die begabte Netzwerkerin darüber hinaus einen schicken schwarzen Hosenanzug trägt, hat indes andere Gründe: Chens Foto ist in Wirklichkeit das eines Models in einem Online-Katalog für Damenkleidung und damit laut deutschem Bundesverfassungsschutz genauso gefälscht wie der Rest ihres Profils.
Chen sei bei weitem keine einmalige Erscheinung, warnt der Inlandsgeheimdienst: Ihr Eintrag bei LinkedIn sei nur eines von vielen Fake-Profilen, mit deren Hilfe die chinesischen Nachrichtendienste Informationen abschöpfen und deutsche Quellen anwerben wollten. Obwohl Laeticia Chen nicht existiert, ist sie offenbar besonders umtriebig. Ihr Eintrag zähle zu den acht aktivsten Fake-Profilen, die chinesische Nachrichtendienste für ihre Anbahnungsversuche nutzten, berichtet der Verfassungsschutz, dessen Experten die chinesischen Aktivitäten ein dreiviertel Jahr lang unter die Lupe nahmen.
Zur Riege der geschäftigsten Tarn-Profile gehört demnach auch das von Jason Wang, angeblich Vertreter eines europäisch-chinesischen Verbandes namens AFEC in Peking, und das von Allen Liu, der angeblich in der Personalabteilung einer Unternehmensberatung in Hangzhou arbeitet. Auch hinter dem Profil der eleganten Rachel Li, die angeblich als Headhunterin bei der Firma RiseHR ihr Geld verdient, stecken nach Aussage des Verfassungsschutzes die chinesischen Geheimdienste.
Ebenso wie hinter dem Wissenschaftler Alex Li, der Personalerin Eva Han, der am Strand posierenden Managerin Luo Jana und Lily Wu, der Assistentin des Generalsekretärs im Zentrum für Chinesisch-Europäische Entwicklungsstudien. Als beliebte Tarnorganisationen zählt der Verfassungsschutz darüber hinaus die Strategie-Beratung Global View, die Wirtschaftsberatung DRHR und Move HR auf.
"Breit angelegter Versuch der Infiltration"
Der deutsche Inlandsgeheimdienst zeigt sich alarmiert darüber, wie massiv die Anwerbungsversuche der Chinesen bei LinkedIn und in anderen sozialen Netzwerken ausfielen. "Soziale Netzwerke, insbesondere LinkedIn, werden im großen Stil zur Abschöpfung und Quellenwerbung genutzt", sagt der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. "Es handelt sich um einen breit angelegten Versuch der Infiltration insbesondere von Parlamenten, Ministerien und Behörden". Die chinesischen Geheimdienste tarnten sich als Headhunter, Wissenschaftler, Mitarbeiter von Unternehmensberatungen oder Denkschmieden.
"Nur die Spitze des Eisbergs"
Die Veröffentlichung der acht aktivsten Fake-Profile soll nach Angaben des Verfassungsschutzes nun dazu dienen, Aufmerksamkeit zu wecken und die Anwerbungsversuche zu erschweren. Unter den deutschen Kontakten der acht genannten Fake-Profile bei LinkedIn finden sich auch Bundestagsabgeordnete und Wissenschaftler. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass bereits eine große Zahl Deutscher über gefälschte Profile von den chinesischen Nachrichtendiensten angesprochen wurde.
"Bei mehr als 10.000 deutschen Staatsangehörigen ist es zu derartigen Kontaktversuchen gekommen", erklärt die Behörde. Dies könnte allerdings auch nur die Spitze des Eisbergs sein: "Es dürfte eine hohe Dunkelziffer noch nicht identifizierter Zielpersonen und Fake-Profile geben."
China weist Vorwürfe zurück
China wies die Vorwürfe zurück. Es handle sich um "grundlose Anschuldigungen", für die es keine Beweise gebe, sagte Außenamtssprecher Lu Kang am Montag in Peking. Die relevanten Organisationen und die deutsche Regierung sollten "verantwortungsvoller" handeln.
Die fraglichen Nutzerprofile wurden indes gelöscht. Sie hätten gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen, erklärte der zu Microsoft gehörende Online-Dienst am Montag.
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