Das Silicon Valley ist Geburtsstätte von Google und Facebook und die Heimat Hunderttausender bestens bezahlter IT-Spezialisten. Doch in der Technik-Wunderwelt Kaliforniens gibt es nicht nur Licht, sondern auch Schatten. Die reichen IT-Spezialisten lassen die Lebenshaltungskosten dermaßen schnell steigen, dass viele den Anschluss verlieren. Immer mehr Menschen im Silicon Valley können sich keine Wohnung mehr leisten, jeder Vierte nagt sogar am Hungertuch.
"Im Silicon Valley haben wir ein großes Problem. Es ist ein schöner Platz zum Leben für die Menschen in der IT-Industrie. Aber nicht jeder arbeitet in dieser Industrie", sagt Vicky Avila-Medrano, die für die Hilfsorganisation Second Harvest Bedürftige mit Nahrungsmitteln versorgt. Ihre Dienste werden immer gefragter. Seit der großen Wirtschaftskrise 2007 ist die Zahl der Second-Harvest-"Kunden" um 46 Prozent gestiegen. Pro Monat nehmen heute im Silicon Valley rund 257.000 Menschen die Hilfe der Hilfsorganisation in Anspruch, sie erhalten im Jahr rund 33 Millionen Kilo Nahrung - bezahlt von Spendern wie Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg.
Jeder Vierte im Silicon Valley hat nicht genug zu essen
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Eine vom "Guardian" zitierte Studie von Second Harvest geht davon aus, dass im Silicon Valley 720.000 Menschen - fast 27 Prozent der Bevölkerung - keinen gesicherten Zugang zu ausreichend Nahrung haben. Ihre Nahrungsversorgung wird als "unsicher" eingestuft: Viele von ihnen lassen Mahlzeiten aus, weil sie ihnen zu teuer sind. Sie sind auf Organisationen wie Second Harvest und Essensmarken angewiesen, müssen bisweilen Geld für Essen ausborgen. Oder das Bezahlen von Rechnungen aufschieben, weil sonst das Geld für Nahrung fehlt.
Wie brutal der Kontrast zwischen den gutverdienenden IT-Experten und jenen ist, die keine Ingenieure oder Programmierer sind, zeigt Karla Peralta. Sie arbeitet seit 30 Jahren als Köchin, seit einiger Zeit serviert sie in der Facebook-Kantine in Menlo Park den Mitarbeitern des Milliardenkonzerns ihr Essen. Trotzdem hat Peralta, die ihre zwei Töchter allein großgezogen hat, nicht genug Geld zum Essen. Sie ist auf Nahrungsmittelspenden von Organisationen wie Second Harvest angewiesen und verkocht zuhause, was sie gerade an günstigen Nahrungsmitteln bekommen kann. Kein Wunder: Von den rund 2700 US-Dollar, die ihr Job im Monat einbringt, gehen drei Viertel - 2000 US-Dollar - für die Miete drauf. Vom Rest muss sie sich und ihre jüngste Tochter, die noch bei ihr wohnt, über die Runden bringen.
Auch das Wohnen ist für viele unleistbar
Tatsächlich sind die explodierenden Lebenserhaltungskosten im Silicon Valley der Grund dafür, dass immer mehr Menschen Schwierigkeiten haben, ihre profansten Bedürfnisse zu befriedigen. Wo selbst ein Dach über dem Kopf nicht mehr selbstverständlich ist, gerät auch die Nahrungsbeschaffung zur Herausforderung. Die rasant steigenden Mietpreise zwingen viele Menschen zu unorthodoxen Lebensweisen, unter den Betroffenen finden sich auch zahlreiche Familien. Weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können, hausen manche in Wohnmobilen. Andere teilen sich Häuser mit zwei, drei anderen Familien, weil eine Sippe allein unmöglich für die Miete aufkommen könnte. Das geht so weit, dass sich Schuldirektoren Häuser mit ihren Lehrkräften teilen.
Es sind die Folgen der beinharten Gesetze von Angebot und Nachfrage. Die IT-Großverdiener, die sich vorzugsweise in den besten Gegenden beliebter Städte wie San Francisco niederlassen, treiben dort - einerseits durch ihre Ansprüche, andererseits durch ihre Zahlungsfähigkeit - die Mietpreise in die Höhe. Jene, die früher dort gewohnt haben, werden verdrängt - etwa, wenn alte Häuser mit leistbaren Wohnungen abgerissen werden, um Raum für die Edel-Appartements der IT-Experten zu schaffen. Die früheren Bewohner sind gezwungen, sich weniger gut gelegenen Wohnraum zu suchen - oft zu immer noch horrenden Preisen, die kaum Geld zum Leben übriglassen.
IT-Branche: Ursache und Lösung des Problems?
Dass der Reichtum der Einen zur Armut der Anderen beiträgt, hat mittlerweile auch die IT-Industrie selbst erkannt. Viele Entscheidungsträger der Branche versuchen, sich für die sozial Schwächeren zu engagieren. Sei es als Spender bei der Hilfsorganisation Second Harvest, wie Facebook-Chefin Sandberg, oder als Schaffer erschwinglicher Wohnungen. Facebook-Boss Mark Zuckerberg beispielsweise hat erst vergangenes Jahr 18,5 Millionen US-Dollar für leistbaren Wohnraum im Umland der Facebook-Zentrale in Menlo Park gespendet.
Wenn ein Jahr später jeder vierte Silicon-Valley-Bewohner Probleme hat, sich mit genug Nahrung zu versorgen, kann über den Nutzen solcher Hilfsorganisationen freilich debattiert werden. Eines ist aber fix: Die Region braucht eine Veränderung, auch im Interesse der IT-Industrie. Am Ende des Tages sind nämlich auch ihre Mitarbeiter auf Geringverdiener angewiesen, die ihre Kinder unterrichten, ihre Pakete ausliefern, Geschäfte betreiben oder Mahlzeiten für sie kochen.
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