Der frühere ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat seinen Frieden mit seinem Nachfolger und Kanzler in spe Sebastian Kurz gemacht - doch offenbar erst nach mehreren Monaten der intensiven Vergangenheitsbewältigung. "Es wäre eine Verstellung, würde man mit meinem Werdegang und so einer Machtübernahme sagen, man ist nicht gekränkt. Natürlich gab es zu Beginn Rache- und Revanchegefühle", so Mitterlehner in einem Interview mit dem Magazin "trend". Zur Verarbeitung seiner Erfahrungen habe er einen Coach genommen.
"Wir haben uns nach den Wahlen getroffen, sämtliche Themen ausgeredet und einen konstruktiven Modus Vivendi gefunden", so der ehemalige Vizekanzler über sein nunmehriges Verhältnis mit Kurz. Die Zeit heile zwar "nicht alle Wunden, aber die Revanchegelüste nehmen ab. Sie haben der Partei geschadet, mir aber nicht genützt", meint Mitterlehner, der sich nach internen Querschüssen im Mai aus der ÖVP zurückgezogen hatte. Erst nach der Wahl am 15. Oktober sei es für ihn leichter geworden.
Nüchterne Einschätzung der türkis-blauen Vorhaben
Die Pläne und Möglichkeiten der künftigen ÖVP-FPÖ-Regierung beurteilt Mitterlehner nüchtern: "In der Politik sind keine Wunder möglich. Eine 14-Milliarden-Steuerreform wird aufgrund der Schulden der Republik und des Wirtschaftswachstums nicht erfüllbar sein." Entscheidend für die Performance der neuen Regierung werde aber sein, ob es gelingt, Erwartungshaltungen zu brechen, etwa bei der geplanten Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen. Überwinde man hier den Widerstand der Länder, sei das "symbolisch weit bedeutender". Ähnliches gelte beim Zwölf-Stunden-Arbeitstag: "Gelingt es, die Sozialpartnerschaft mit ihrer verkrusteten Beharrlichkeit aufzubrechen, wird beim Wähler der Eindruck eines neuen Stils ankommen."
Rückzug nach ÖVP-Ränkespielen
Mitterlehner hatte Anfang Mai als ÖVP-Chef und Vizekanzler das Handtuch geworfen. Nach parteipolitischen Ränkespielen erklärte er: "Ich finde, es ist genug." Er lege alle seine Funktionen in der Volkspartei und der Regierung zurück und ziehe damit die Konsequenzen aus den "Entwicklungen der vergangenen Monate". Bereits zuvor war öffentlich über einen solchen Schritt spekuliert worden, nachdem sich Außen- und Integrationsminister Kurz zunehmend als neuer starker Mann in der ÖVP in Stellung gebracht hatte.
Inzwischen ist Mitterlehner als Unternehmensberater tätig. Der 62-Jährige ist Geschäftsführer der Mitterlehner Projektentwicklung und Strategieberatung GmbH.
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