Die Krone.at-Rezension zum Debütalbum von Tokio Hotel begann damals mit den Worten: „Tokio Hotel, das sind Bill, Tom und... is ja wurscht wer. In ein paar Monaten hört man davon eh nichts mehr.“ Und damit waren wir nicht alleine. Dieser Band, die sowas von nicht der Inbegriff von Musik ist, wollte ganz am Anfang abseits der Bravo und ein paar anderen Jugendmagazinen, die schon sehr früh Lunte gerochen hatten, keiner etwas zutrauen.
Aber wir haben die Rechnung ohne die Fans gemacht, uns schlicht und einfach geirrt. Tausende Teenager besuchten im letzten Jahr die Konzerte der Band, die sich auf einer mehr als ausgedehnten Tour die Hornhaut von den Fingern spielte, die Kehle wund sang und in jeder Stadt ihre Spuren in Form kollabierter Teenager in Krankenhäusern hinterließ. Tokio Hotel sind zu einem Phänomen geworden, dass sich so gut wie gar nicht mehr ignorieren lässt. Sogar das deutsche Magazin „Stern“ griff das Thema auf, begleitete die Band auf der Tournee und hievte die Story schließlich aufs Cover.
Mit einer neuen Single „Bis ans Ende der Welt“ und dem im März folgenden Album „Zimmer 483“ (ausgesprochen: Zimmer vier-acht-drei) holt die Band zum nächsten Streich aus. Krone.at hat Bill, Tom, Gustav und Georg nach ihrer Pressekonferenz in einem stillgelegten Berliner U-Bahn-Tunnel zum Interview getroffen.
Und da wussten wir: „Alles klar, jetzt geht’s los“
Die steile Karriere der Band begann Mitte 2005 mit der Veröffentlichung der Single „Durch den Monsun“. Die Jungs waren damals zwischen 15 und 18 und kamen mehr oder weniger frisch aus dem Proberaum. Einen Plattenvertrag beim Majorlabel Sony BMG hatte man ihnen kurz vor einer Single wieder gekündigt. Universal Music (produziert in Österreich Starmania und Christina Stürmer) traute sich schließlich, nahm die Band unter Vertrag und muss seit diesem Moment eigentlich nur mehr die Einnahmen zählen und die Schecks der Bandmitglieder abstempeln.
„Wir hatten schon ein paar Auftritte vor der Monsun-Veröffentlichung auf verschiedenen Festivals als Opener und so weiter – da kam aber keine Sau“, schildert Tom die Ruhe vor dem Sturm. Am Tag der Singleveröffentlichung spielten sie dann einen Auftritt „auf irgend so einem Dorffest“, der schon vorher gebucht war. Tom: „Und als wir ankamen, waren da auf einmal Tausende von Fans!“ Bill: „Das war irre! Und das war eben so der Moment, wo wir uns gesagt haben: ‚Alles klar, jetzt geht’s los.’“ Der Rest ist Geschichte.
Bill und Tom: „Wir hatten schon immer Leute, die uns entweder gut oder überhaupt gleich scheiße fanden.“
Bei all dem Erfolg, den die Jungs mit ihrer Musik, die tatkräftig von erfahrenen und zielgruppenorientierten Managern produziert wird, haben – Tokio Hotel spalten die Lager. Comedy-Shows ziehen reihenweise über sie her und in den Zeitungen ist der Bandname mittlerweile zum Synonym für das musikalische Marketingprodukt geworden. Selbst Teenager haben ihre Troubles. Anti-Tokio-Hotel-Pages gibt’s beinahe so viele, wie Fan-Weblogs, mit denen die Internetgeneration ihren rebellischen Idolen auf Schritt und Tritt folgt.
In einer bestimmten Weise sind Tokio Hotel keine Musiker, sondern Geschäftsmänner. Sie wissen genau, dass es ihnen etwas bringt, wenn ProSieben Bill zum nervigsten Deutschen kürt oder wenn die Bravo so genannte „Skandalfotos“ zeigt, auf denen man Tom sieht, wie er einer Blondine auf den Hintern grapscht. Sie wissen auch, wie man mit Journalisten redet und wie man Sachen unterbringt, die wichtig sind.
Ihr Image musste man ihnen allerdings nicht „anzüchten“. „Wir sind schon immer so herumgelaufen“, sagt Bill, der auf jenen berühmten TV-Bildern, die bei einer Sat1-Casting-Show vor vier Jahren aufgezeichnet wurden und jetzt überall die Runde machen, schon damals die schräge Frisur samt Schminke getragen hat. Ein Interview ohne Maskerade und entsprechenden Klamotten würden sie gar nicht geben. „Du würdest dann eine andere Band interviewen – das wäre nicht Tokio Hotel“, gibt Bill zu verstehen. An diesem Tag hat er nicht nur seine „steile“ Frisur sondern auch perfekte Maniküre getragen. „French Nails“ – schwarz lackiert mit einem weißen Streifen an der Spitze.
„Es gibt Fanpages in Ländern, wo wir noch nie gespielt haben!“
Ein wesentlichen Teil – wenn nicht den wichtigsten – hat das Internet zum Erfolg von Tokio Hotel beigetragen. In Frankreich wurde ihre Platte erst veröffentlicht, als sich bereits Tausende Teenager in Weblogs und Fan-Communities zusammengeschlossen hatten. Sie forderten die Platte geradezu! Auch die deutsche und österreichische Fanbasis der Band ist in der Tat unglaublich. Jugendmagazine bekommen regelmäßige Anrufe von FanclubpräsidentInnen, wenn Fakten nicht stimmen oder falsche Gerüchte gestreut wurden – unangenehme Anrufe.
Auch die Fans in Osteuropa, wo Tokio Hotel gerade boomen, machen ungewöhnliche Dinge. Sie lernen Texte auswendig, übersetzen komplette Alben im Internet und manche von ihnen versuchen sogar Deutsch zu lernen – alles nur für eine Band. Bill: „Also, ich finde, das ist der Hammer, dass die das machen! Ich glaube so eine Arbeit hätte ich mir nie gemacht, für eine Band... mir da halb ’ne Sprache anzulernen. Ich hab einmal ‚Durch den Monsun’ auf Japanisch gesungen und ich hatte schon einen Tag danach wieder alles vergessen.“
Neues Album „Zimmer 483“
Für die Aufnahmen zu ihrem neuen Album „Zimmer 483“ – das Geheimnis um den Titel wollten sie noch nicht enthüllen. Eh klar, der gewiefte Marketingexperte spart sich die Info für den Zeitpunkt auf, an dem sie gebraucht wird – zog sich die Band in ein Studio nach Hamburg zurück. Sie mieteten die obere Etage, die Aufnahmen wurden unten gemacht. „Vor 16 Uhr lief da aber gar nichts“, erzählte Tom in Berlin.
Die Singleauskopplung „Übers Ende der Welt“ stampft natürlich daher wie der Rest vom Tokio-Hotel-Material. Es drückt, Bill singt - das muss man zugeben - besser als bisher und alle machen einen auf Rockstar. „Der Song soll die Menschen zum Aufbruch animieren. Sie sollen aus ihrem Alltagstrott ausbrechen!“ Abwarten, ob sie’s tun.
Am 1. September werden die eineiigen Zwillinge Bill und Tom – sie sind die Jüngsten der Band und absolvieren derzeit noch eine Internet-Schule – achtzehn. Was dann kommt? „Das wird die fetteste Party der Welt“, sagen beide im Chor. Klar – das ganze Leben ist eine Party, wenn man Teil eines Musik-Phänomens ist!
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