Ein bisschen Schock

Marilyn Manson live in Wien

Musik
27.11.2007 14:28
Nur knapp 5.000 in dunkle Farbtöne gekleidete Fans schafften es am Montagabend in die Wiener Stadthalle, wo „Schockrocker“ und Church-of-Satan-Ehrenmitglied Marilyn Manson zu anderthalb Stunden feinstem Hardrock/Gothic Metal mit viel Geschrei und reichlich Show-Übertreibung geladen hatte. Ein hochwertiges Konzert und trotzdem ein Abend mit gemischten Eindrücken.

Der 38-jährige Marilyn Manson (eigentlich Brian Warner) wurde Ende der Neunziger als „Schockrocker“ mit der nach ihm benannten Band und Songs wie „The Beautiful People“, „The Dope Show“ und einer schaurigen Coverversion des Eurythmics-Hit „Sweet Dreams“, die ihm zum internationalen Durchbruch verhalf, bekannt. Beim Konzert in der Stadthalle reiste er mit seinem aktuellen Album „Eat Me Drink Me“ an, die Tour trägt den Titel „Rape The World“.

Manson ist einer der wenigen Vertreter seines Genres, die es regelmäßig in die Hitparaden und auf MTV schaffen. Das zeigte sich auch am gemischten Publikum in der Stadthalle, das zwar zu einem Teil aus bewundernswert schönen Szenemenschen und einigen mehr oder weniger gelungenen Manson-Doubles bestand, zum anderen aber aus konventionellen Konzertgehern mit Handtasche und Winterjacke - quasi Gothic meets Otto Normalverbraucher.

Das Vorprogramm bestritten die Norweger „Turbonegro“. Die Village People des Punkmetal (siehe Diashow in der Infobox) ließen eine gute Dreiviertelstunde die Gitarren krachen, zitierten - wie anscheinend alle Rockbands, die in Wien gastieren - Falcos „Amadeus, Amadeus“ und schafften es, die Stimmung in der Stadthalle etwas zu heben.

Um 20.45 Uhr sollte dann eigentlich Manson auf die Bühne kommen. Doch der Amerikaner fühlte sich dem Vernehmen nach nicht besonders und ließ das Publikum fast eine Stunde warten, was vor allem in der stickigen Stadthalle zur Nervenzerreißprobe gerät. Den Vogel schossen dazwischen Mansons Tonmänner ab, die das Publikum mit einem sonderbaren Mix aus Death Metal, The Prodigy und Crosby, Stills, Nash and Young beschallten. Als nach 40 Minuten Warterei auch noch Daft Punk feat. Kanye West erklang, wäre die Stimmung fast gekippt.

Doch dann: Klavier mit Streichquartett, dichte Nebelschwaden, ein langgezogener Schatten wirft sich auf den Bühnenvorhang und Marilyn Manson läutet das Konzert mit „If I Was Your Vampire“ von seiner neuen Platte ein. In der Hand hält er das von Rammstein abgekupferte Mikro mit 70-Zentimeter-Messerklinge. Erster Eindruck, ein gemischter: Der „Schockeffekt“, den sein Auftreten noch vor sechs, sieben Jahren hatte, ist dahin. Auf den durch die Beschallung mit Oldies abgelenkten Geist wirkt Mansons ekstatische Herumkugelei auf der Bühne zunächst unfreiwillig komisch, fast wie Ironie. Als er dann auch noch auf einen überdimensionalen Stuhl klettert (in Analogie zu Ex-Frau Dita von Teese), um von dort als Winzling sein Klagelied zu singen, fühlt man sich wie im Vorspann zu einem Monty-Python-Film und wartet nur darauf, dass jemand auf die Bühne kommt und Manson einen Namen gibt wie „First der Fünsternis“ oder so. 

Aber der Mann, über den man die Urban Legend von der herausoperierten Rippe zur intensiveren Performance oraler Selbstbefriedigung erzählt, reißt das Ruder ausgerechnet mit den Songs seines neuen Albums „Eat Me Drink Me“ herum, das als sein bisher persönlichstes und am wenigsten inszeniertes Werk gilt. „Putting Holes In Happiness“ fetzt durch die Stadthalle, „Eat Me Drink Me“ wird nachgelegt, mit „Are You The Rabbit?“ zieht er das Publikum richtig mit, bevor die erste Single „Heart-shaped Glasses“ folgt. 

Die Band punktet mit gutem Sound und ansprechendem Posing - und Manson lässt die Herumwälzerei auf dem Boden für ein paar Minuten sein und kommt zu etwas mehr darstellerischen Formen seiner Bühnenshow, bei der er blonden Schaufensterpuppen die Gliedmaßen aus dem Körper reißt und im silberfarbenen Cape als Boxer („The Fight Song“) posiert. Von hier an schafft es Manson, die letzte halbe Stunde des Konzerts ohne Ablenkungsmanöver durchzuziehen. Im Finish („The Beautiful People“) gibt‘s sogar eine Dosis Unbehagen, als die Bühne mit riesigen Fahnen drapiert wird und Manson einem Diktator gleich, wild gestikulierend vom Podium aus das Volk beschwört. 

Trotzdem geht man mit gemischten Gefühlen nach Hause. Es fehlte irgendwie der Rock‘n‘Roll, das Chaos - die Show wirkte am Anfang etwas zu programmiert, vielleicht sogar zu „mainstream“? Immerhin hat Manson einen eigenen Bühnenarbeiter, der nur dafür zuständig ist, ihm das umgestoßene Mikrofonstativ wieder aufzurichten. Und als er bei der letzten Szene ein Buch, das wohl die Bibel sein sollte, anzündete und vom Podium schmiss, sauste keine zwei Sekunden später ein Roadie mit einem feuchten Tuch in der Hand auf die Bühne und löschte das „Feuer“. Früher hätte Manson das Ding einfach abfackeln lassen.


Von Christoph Andert

Fotos: Andreas Graf

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