"Am Anfang stand die Frage: Wie kam's dazu?", erklärte Gansel die Grundidee, sich 27 Jahre nach der ersten Verfilmung - von Alexander Grasshoff für das US-Fernsehen - erneut mit dem soziologischen Experiment auseinanderzusetzen. "Da hat sich aber auch automatisch die zweite Frage gestellt: Wie sieht's mit mir aus? Wäre das heutzutage noch möglich?" Diese Gedankenspielerei setzten Gansel und Peter Thorwarth in ein Drehbuch um, das sich der "Welle" mit popkulturellen Versatzstücken nähert und dessen Umsetzung schließlich im MTV-Look mit treibendem, beatlastigen Musikhintergrund endete - größtenteils plausibel, authentisch und fast gänzlich unpeinlich.
Diktatur in Deutschland? Heute nicht mehr! - Oder?
In dem fiktiven deutschen Gymnasium unterrichtet der linke Lehrer Rainer Wenger (wie immer stark: Jürgen Vogel), der Ramones- und Clash-Shirts trägt, sich von den Schülern duzen und von den Kollegen schräg anblicken lässt. Als es während einer schulweiten Projektwoche um Staatsformen geht, wundert er sich, dass seine Schüler so überzeugt sind, dass eine Diktatur in Deutschland heute nicht mehr möglich wäre. "Dazu sind wir viel zu aufgeklärt", lautet der Tenor, der Wenger zu dem pädagogischen Schulversuch motiviert.
„Macht durch Disziplin, Macht durch Gemeinschaft“
Er propagiert gemeinschaftliches Handeln, erlaubt gegenseitiges Abschreiben, nimmt den Schülern durch einheitliche Kleidung - Jeans und weißes Hemd - den alltäglichen Kleidungsdruck. Und so dauert es nicht mehr lange, bis die Worte "Macht durch Disziplin, Macht durch Gemeinschaft, Macht durch Handeln" an der Schule rund 150 Leute in ihren Bann gezogen haben. Mit Freude befinden sich plötzlich Ausländer und Deutsche, Außenseiter und Klassenlieblinge in einer gemeinsamen Bewegung, die schon am dritten Tag beginnt, andersdenkende Schüler zu drangsalieren und auszuschließen. Eine neue Hitler-Jugend ist geboren - und löst verheerende Folgen aus...
Die Erotik der Macht
Vor 41 Jahren erschreckte den Lehrer William Ron Jones "am meisten die Faszination, die das Experiment auf ihn selbst ausübte, diese Erotik der Macht", erzählte Gansel. Jones "war ein Hippie, der lebte im Baumhaus - bei uns lebt Jürgen im Hausboot -, und plötzlich hat er die Macht und den Respekt der Schüler total genossen." Der ehemalige Lehrer halte angesichts seiner damaligen Erfahrungen "diese Entwicklung noch heutzutage für möglich".
Natürlich habe er, Gansel, den Film heute aber "so gemacht, dass man nicht einschläft, aber trotzdem Fragen aufgeworfen werden". Und genau das muss man ihm auch absolut zu Gute halten: Er bedient sich ohne erhobenen Zeigefinger moderner Mittel, um Jugendliche für ein Thema zu interessieren, das heutzutage im Unterricht größtenteils mit Gähnen quittiert wird.
Zumeist sei die Vermittlung des Themenkomplexes Faschismus bzw. Nationalsozialismus ein Problem: "Nach 'Schindlers Liste' hatte ich einen anderen Bezug zur deutschen Geschichte, weil mich der Film emotional berührt hat", so der junge Regisseur. Ähnliches erhofft er sich nun von seinem Film, der möglicherweise bald die Erstverfilmung von Morton Rhues Buch-Klassiker an den Schulen ablösen wird. Und das wäre sicher nicht das Schlechteste.
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