Pro-Tibet-Proteste
Fackellauf wurde zum peinlichen Versteckspiel
Die chinesischen Medien bezeichneten den Lauf als Erfolg und lobten die in letzter Minute erfolgten Routenänderung als clevere Strategie, um die Pläne der "tibetischen Separatisten" zu durchkreuzen. Jiang Xiayou vom Fackellauf-Organisationskomitee dankte den Verantwortlichen in San Francisco. Vielleicht hätten einige Zuschauer die Flamme nicht sehen können, sagte er bei der Verabschiedung am Flughafen. "Aber wir alle haben die Leidenschaft der olympischen Bewegung gespürt."
Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, zeigte sich erleichtert, dass es keine Störaktionen wie in Paris und London gab. "Glücklicherweise war die Situation besser. Leider war es nicht die fröhliche Party, die wir uns gewünscht haben."
Versteckspiel rund um Olympische Fackel
Die Organisatoren hatten die Demonstranten schon gleich zu Beginn mit einer Art Versteckspiel zu verwirren versucht. Der erste Läufer nahm die Fackel auf einer Bühne an der berühmten Waterfront in der Bucht von San Francisco in Empfang und rannte dann in eine Lagerhalle. Dann fuhr eine Motorrad-Eskorte los, aber der Fackelträger war nirgends zu sehen. Anschließend brachten Funktionäre die Fackel rund zwei Kilometer Richtung Inland und übergaben sie - fernab von Medien und Demonstranten - an zwei Läufer.
Abschlussfeier kurzfristig gestrichen
Kurz vor Beginn des Fackellaufs am Mittwoch hatten die Organisatoren die ursprünglich 9,6 Kilometer lange Route auf nahezu die Hälfte verkürzt. Die offizielle Abschlussfeier an der Justin Herman Plaza, wo bereits Tausende Menschen warteten, wurde kurzfristig abgesagt. Die Behörden machten für die Absage Sicherheitsgründe geltend. Viele der dort Versammelten erfuhren erst spät von der Absage und reagierten wütend und enttäuscht.
Entlang der ursprünglichen Strecke hatten tausende Menschen mit tibetischen Flaggen gewartet. Der Zugang zur Golden Gate Bridge war erschwert worden, Aktivisten hatten sie zuvor für Protestaktionen gegen China genutzt. Der Fackellauf über das Wahrzeichen von San Francisco fand dann entgegengesetzt der ursprünglich geplanten Richtung statt. Vor dem Lauf hatten zahlreiche Menschen friedlich gegen die chinesische Tibet-Politik protestiert. Es gab aber auch pro-chinesische Kundgebungen.
Eine Fackelträgerin hisst tibetische Fahne
Mindestens eine Fackelträgerin nutzte den kurzen Moment im Rampenlicht, um eine kleine tibetische Fahne aus ihrem Ärmel herauszuziehen. Das chinesische Sicherheitspersonal und die Polizei hätten sie daraufhin zur Seite gestoßen, berichtete die 41-jährige Majora C.
Nach San Francisco soll die Olympische Fackel noch nach Buenos Aires in Argentinien und dann in ein Dutzend weiterer Länder reisen, bevor sie am 4. Mai nach China kommt. Seit dem 24. März, als der Fackellauf im antiken Olympia begann, kam es immer wieder zu Protesten.
Obama fordert Bush zu Boykott der Eröffnungsfeier auf
Nach seiner parteiinternen Rivalin Hillary Clinton hat der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack Obama US-Präsident George W. Bush zum Boykott der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking aufgefordert, wenn China seine Politik in Darfur und Tibet nicht ändere. China solle sich dafür einsetzen, dass die Gewalt in der westsudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur beendet und die Menschenrechte in Tibet besser geschützt werden, sagte der Senator von Illinois am Mittwoch.
Auch Indonesien verkürzt die Fackellauf-Route
Alarmiert durch die Proteste beim olympischen Fackellauf haben die Organisatoren in Indonesien die Route auf ihrem Abschnitt drastisch gekürzt. Die Flamme soll nur noch in der Umgebung der Bung Karno-Sportarena in Zentraljakarta getragen werden und nicht mehr wie geplant durch die ganze Stadt, sagte der Chef des Organisationskomitees, Sumohadi Marsis, am Donnerstag.
Die Fackel kommt am 22. April in die indonesische Hauptstadt und soll von 80 Läufern jeweils 80 Meter weit getragen werden. "Obwohl wir bisher keine Erkenntnisse über Demonstrationen haben, bereiten wir uns auf das Schlimmste vor", so Marsis. Die Fackel soll von 1.500 Polizisten bewacht werden.
IOC-Präsident Rogge gesteht "Krise" ein
IOC-Präsident Jacques Rogge hat am Donnerstag in Peking erstmals "eine Krise" eingestanden. Die gegenwärtige Lage sei zweifellos eine Krise, erklärte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nach der Auftaktsitzung der IOC-Exekutive, aber "wir haben in der Geschichte der Olympischen Spiele schon größere Stürme bewältigt".
Nach den Unruhen in Tibet und den Protestaktionen beim olympischen Fackellauf sei die derzeitige Situation "eine Herausforderung", die man mit anderen Herausforderungen in der olympischen Vergangenheit wie dem Massaker bei den Spielen 1972 in München oder den zahlreichen Boykott-Spielen allerdings nicht vergleichen könne.
Fortsetzung des Fackellaufs steht nicht zur Diskussion
Rogge versicherte, die Fortsetzung des olympischen Fackellaufs stehe nicht zur Diskussion. Mit dem Pekinger Organisationskomitee BOCOG werden Maßnahmen diskutiert, die Weltreise der Flamme zu verbessern. Über mögliche Änderungen der internationalen Route für künftige Spiele werde erst bei der Manöverkritik des Pekinger Spektakels Ende September, Anfang Oktober entschieden. "In der Hitze des Augenblicks werden wir keine Entscheidung treffen", betonte Rogge.
China sei bei der Vergabe der Spiele an Peking am 13. Juli 2001 im Ausrichtervertrag keinerlei vertragliche Verpflichtungen in der Menschenrechtsfrage eingegangen. "Für mich sind das moralische Verpflichtungen, und wir bitten China, dieses Versprechen einzuhalten", sagte Rogge und bestätigte, in seinen Gesprächen mit dem chinesischen Premier Wen Jiabao Pressefreiheit eingefordert zu haben. "Da gibt es sicher noch Raum für Verbesserungen", meinte Rogge.
Rogge: "Meinungsfreiheit ja, Propaganda nein"
In der viel diskutierten Frage der Meinungsfreiheit der Athleten stellte er klar, dass die Athleten bei den Olympischen Spielen "überall, auch in der offiziellen Pressekonferenz, frei ihre Meinung äußern dürfen". Nur Propaganda sei nicht erlaubt. "Wir werden Richtlinien an alle Nationalen Olympischen Komitees rausgeben und werden die einzelnen Fälle mit sehr viel gesundem Menschenverstand beurteilen", sagte der 65-Jährige.
Videos und Bilder zu den Demonstrationen in San Francisco, Paris und London findest du in unserer Infobox!
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