Der nicht per Wählervotum legitimierte Politiker Jean-Claude Juncker bietet zweifelsfrei genügend Platz für konstruktive Kritik, der Mensch Jean-Claude Juncker verdient hingegen, wie jeder Bürger dieses ach so vorbildlichen Europa, den bedingungslosen Respekt seiner individuellen Privatsphäre. In diesem Sinn muss es schon kritisch hinterfragt werden, wenn Mandatare und auch Journalisten dieses Landes seit einigen Tagen in einer Mischung aus hämischer Heuchelei und sensationslüsterner Schadenfreude Spekulationen hinsichtlich der Gesundheit des Kommissionspräsidenten lancieren. Allerdings offenbart sich da wieder einmal hervorragend die austro-autochthone Ambivalenz zum Alkohol: Jener Republik, die bis heute stolz die „Reblaus-Legende“ zu ihrem Staatsvertrag zelebriert, wo der Bundeskanzler und ein Landeshauptmann bereits vormittags vor laufenden Fernsehkameras die Schnapsgläser kreuz(t)en, wo in freiheitlichen Bierzelten für gewöhnlich nicht nur die Parteiplakate blau zu schimmern pflegen, wo auf die launigen Kommentare des ehemaligen Wiener Bürgermeisters hin gerne lautstark der „Spritzwein“ gefordert und eingeschenkt wurde. Tja, für Herrn und Frau Österreicher ist der Alkohol eben bekanntlich immer ausschließlich ein Problem der anderen, und eines mögen er und sie bekanntlich ebenso wenig: dass man ihnen den eindeutig zweideutigen „Spiegel“ der Wahrheit brutal vors Gesicht hält! Stimmt’s?
Florian Stadler, Aschach/Donau
Erschienen am Sa, 21.7.2018
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