Doctor Dance

27.05.2024

Tanzen ist gesund. Die Bewegung zu Musik macht nicht nur Spaß, sondern hält auch fit und hilft bei zahlreichen Erkrankungen – darunter Bluthochdruck, Demenz oder Parkinson.

Übergewicht reduzieren. Das Herz-Kreislaufsystem in Schwung bringen. Demenz stoppen. Den Cortisolspiegel senken. Den Beckenboden trainieren. Das Gleichgewicht erhöhen. Die Verdauung verbessern. Den Blutdruck ins Lot bringen. Die Psyche heilen. Klingt nach einem monatelangen Kuraufenthalt? Keine Sorge. Um all diese Dinge zu tun, reicht ein einziges Hobby, das man wenige Stunden pro Woche ausübt und das sich ganz easy in den Alltag integrieren lässt: Tanzen. 

„Tanzen ist die beste Medizin“, schreiben die Neurowissenschaftler Julia F. Christensens und Dong-Seon Chang vom deutschen Max-Planck-Institut in ihrem gleichnamigen Buch, das sich mit den positiven Effekten dieser Bewegungsform beschäftigt. Sie erklären darin unter anderem, dass Tanzen genauso effektiv ist wie ein hochintensives Intervalltraining, dass es das Immunsystem ankurbelt, gegen Rückenschmerzen hilft, Entzündungen mildert, dem Reizdarmsyndrom entgegenwirkt und die Verbindung zwischen Körper und Geist stärkt. „Wir haben Glück, dass eines der besten Dinge, die wir für unsere Gesundheit tun können, auch eines der schönsten ist. Und das Beste daran: Tanzen kann jeder. Ob alt oder jung, verletzt oder mit chronischen Schmerzen – Tanzen ist für alle da, überall.“ 

Ein wahres Allheilmittel 
Schon der berühmte römische Philosoph Aurelius Augustinus pries diese Bewegungsform in höchsten Tönen: „Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zu Gemeinschaft“, meinte er im frühen Mittelalter. „Ich lobe den Tanz, der alles fordert und fördert, Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele. O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“ Dank zahlreicher Forschungsarbeiten weiß man heute, dass diese Freizeitbeschäftigung tatsächlich himmlische Effekte auf die körperliche, geistige und seelische Gesundheit haben kann. 

Eine englische Langzeitstudie fand heraus, dass selbst Tanzen mit mäßiger Intensität mit einem geringeren Risiko für Gefäßverengungen verbunden ist als Gehen. Eine Studie aus Taiwan aus dem Jahr 2019 untersuchte Frauen nach der Menopause, die an Osteoporose erkrankt waren – und die regelmäßig 24 Wochen lang an Aerobic-Klassen teilnahmen. Sie konnten ihre Knochendichte im Oberschenkelhals dadurch signifikant verbessern. Und mehrere Studien mit Parkinson-Kranken haben gezeigt, dass das typische Zittern, das bei dieser Erkrankung auftritt, mit Hilfe von Tanztherapie gelindert werden kann. 

„Automatisch ablaufende Bewegungen sind bei Parkinson eigentlich nicht mehr möglich. Beim Tanzen können Betroffene jedoch üben, sie wieder auszuführen“, schreibt Bernd Kerschner, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Evidenzbasierte Medizin, auf Medizin Transparent. Auch die Gehgeschwindigkeit scheint sich durch das Training geringfügig zu verbessern: Parkinson-Kranke kommen häufig nur sehr langsam vorwärts. Im Schnitt konnten die Betroffenen rund fünf Meter mehr pro Minute zurücklegen, wenn sie regelmäßig an Tanzstunden teilgenommen hatten. Der Tanz, der in den meisten Studien zum Einsatz kam, war der argentinische Tango. Aber auch Irische Tänze, Walzer oder Foxtrott standen auf dem Therapie-Programm, das drei bis zwölf Monate dauerte und aus ein- bis zweimal wöchentlichen Tanzstunden bestand. 

Große Auswahl an gesunden Tänzen
Der argentinische Tango wird häufig für Studien verwendet. Kein Wunder: Er ist ein reiner Improvisationstanz, der eine hohe Konzentration auf die Musik und das Gegenüber erfordert – man muss sich voll und ganz auf den Tanz und den jeweiligen Partner einlassen, um zu erfühlen, welcher Schritt als nächstes für beide passend ist. Dadurch gelingt es besonders gut, den Kopf von anderen Dingen freizubekommen. Dass sich dadurch das Stresslevel vermindert, ist also nicht überraschend. Die kolumbianische Psychologin Cynthia Quiroga Murcia hat es belegt: 

Sie untersuchte für eine Studie an der Frankfurter Goethe Universität 22 Paare, die argentinischen Tango tanzten, mittels eines Speicheltests auf hormonelle Veränderungen. Es zeigte sich, dass beim Tanzen das mit Stress assoziierte Hormon Cortisol abnahm. Anderen Forschern zufolge soll der Tango gegen Depressionen helfen – weswegen er sich gut mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen kombinieren lässt. Aber auch mit anderen Tänzen kann man viel für sein Wohlbefinden tun: Samba ist eine wirksame Therapie bei geschwächtem Beckenboden, Rock’n-Roll ein genussfreundliches Mittel gegen Übergewicht und hawaiianischer Hula stabilisiert nachweislich den Blutdruck. 

Afrikanische Tänze wecken die Lebensfreude und stärken die Erdverbundenheit, beim japanischen Butoh-Tanz bringt man die Einheit Körper-Seele-Geist ins Gleichgewicht und der Drehtanz, den die tanzenden Derwische im Orient seit Jahrhunderten praktizieren, wird auch als bewegte Meditation verstanden, die die Achtsamkeit schult und die persönliche Weiterentwicklung fördert. „Das Drehen um die eigene Achse zentriert, erdet, bringt in Balance, bringt dich der Essenz des Lebens näher, wirbelt zunächst im wahrsten Sinne des Wortes alles durcheinander und verhilft schließlich gerade dadurch zu mehr Klarheit im Innen und Außen“, erklärt die Wiener Tanzpädagogin Julia Fraunlob, die Menschen in ihren Workshops beibringt, sich ohne Schwindelgefühl im Kreis zu drehen. 


Für Herz und Hirn
Apropos Drehen: Italienische Kardiologen haben das Aufbautraining nach einem Herzversagen auf Fahrrad und Laufband mit regelmäßigem Walzertanzen verglichen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Tanzen genauso effektiv wie das Training in der Kraftkammer ist – und überdies viele positive Nebeneffekte hat. Denn bei den Studien-Teilnehmern in der Tanzgruppe verbesserten sich nicht nur die Fitnesswerte, sondern auch ihr Schlaf, ihre Stimmung, ihre Sexualität sowie die Ausdauer bei Hobbys und Hausarbeit. 

Wer lieber Zumba, Ballett oder Sirtaki tanzt, hat dafür andere Vorteile: Forscher der Universität Oxford stellten fest, dass beim Gruppentanz vom Organismus produzierte Opioide ausgeschüttet werden, die das Schmerzempfinden regulieren. Dafür dürfte nicht nur die Anstrengung verantwortlich sein, sondern auch die synchrone Bewegung. Sie aktiviert das körpereigene Belohnungssystem – und sorgt für ein soziales „High“. Besonders viel erforscht wurde in den letzten Jahrzehnten die Wirkung des Tanzens auf das Gehirn. Forscher in den USA fanden heraus, dass Jugendliche, die viel tanzen, mit mathematischen Aufgaben besser zurechtkommen und ein gutes räumliches Verständnis entwickeln. Wissenschaftler der Uni Bochum entdeckten darüber hinaus, dass Tänzer nicht nur glücklicher, sondern auch reaktionsschneller und beweglicher sind und sich besser konzentrieren können. 

Ein Grund dafür ist, dass der Denkapparat beim Einüben neuer Tanzschritte besonders gefordert wird – schließlich müssen Musik, Bewegung und Rhythmusgefühl beim Tanzen zusammenspielen. Dazu kommt, dass dieses Hobby die Bildung neuer Nervenzellen bis ins hohe Alter fördert. Damit lässt sich das Risiko, an Demenz zu erkranken, deutlich senken. Zum Vergleich: Wer regelmäßig liest, reduziert sein Alzheimer-Risiko um 35 Prozent. Beim Tanzen sind es 76 Prozent. Die regelmäßige Bewegung im Rhythmus der Musik kann das Fortschreiten einer Demenz sogar aufhalten. Passende Therapien werden mittlerweile in neurologischen Rehazentren, in Pflegewohnheimen und im niedergelassenen Bereich angeboten. 

Wenn die Seele Beine bekommt
Eine lange Tradition haben Tanztherapien auch bei psychischen Leiden. Hier dient der frei improvisierte Tanz dem individuellen Ausdrücken, Verstehen und Verarbeiten von Gefühlen und Beziehungen. Bereits in den 1940er Jahren entwickelten sich durch die tänzerische Arbeit mit psychisch kranken und geistig behinderten Kindern wirksame Konzepte, mit denen die Selbstwahrnehmung gefördert und Bewusstwerdung von Erlebnissen gefördert wird. Mittlerweile gibt es Tanztherapien für alle Altersklassen, als Einzelstunde oder in der Gruppe und für verschiedenste Einsatzbereiche. 

Am Anfang steht zumeist eine sogenannte Bewegungsanalyse: Der Therapeut versucht anhand von Körperhaltung, Gesten, Mimik, Rhythmus, Tempo, Beziehung zum Raum und Atemmuster des Patienten mehr über dessen Probleme zu erfahren. Danach wird durch Methoden wie dem Erlernen einer bestimmten Tanztechnik, durch Nachahmung, Improvisation und Gestaltung versucht, eine Verbesserung der psychischen Situation zu erzielen. Die Wirksamkeit von Tanztherapie wurde bereits bei Schizophrenie, Depression oder Posttraumatischen Belastungsstörungen untersucht. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass auf diese Weise die Ursache von Essstörungen ergründet werden kann und dass Krebskranke in den Bereichen Lebensqualität, Krankheitsverarbeitung und Selbstwert deutliche Verbesserungen zeigen. 

Noch älter als die psychologische Tanztherapie ist die Gesundheitslehre, auf der die Seminare der argentinischen Tänzerin, Choreografin und Kinesiologin Fabiana Pastorini basieren: Sie hat ihr „Dance for Health“-Programm, das sie an verschiedenen Orten in Österreich sowie online anbietet, auf den fünf „Wandlungsphasen“ der Chinesischen Medizin – Erde, Metall, Wasser, Holz und Feuer – aufgebaut und eine Form der Energiearbeit entwickelt, die Tanz und Körperarbeit auf spielerische Weise verbindet. „Unser Körper ist das Territorium, in dem sich unser Leben abspielt“, sagt Pastorini. 

„Wir können ihn als ,Landkarte’ betrachten, auf der wir ständig Spuren der Vergangenheit finden.“ Laut Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) ist diese Landkarte von Energiebahnen – sprich: Meridianen – durchzogen, die den oben genannten Wandlungsphasen zugeordnet werden. In den Dance for Health-Seminaren wird jedes dieser Elemente analysiert. Die Teilnehmenden erfahren, welche Muskeln, Bewegungen, Gesten, Rhythmen und Emotionen zu ihm gehören – und werden über eine jeweils dazugehörige Metapher zu einer Tanzimprovisation inspiriert. Darüber hinaus lernen sie, mithilfe spezieller kinesiologischen Übungen und Selbstmassage ihren Energiefluss zu aktivieren, Blockaden aufzulösen und mögliche Störungen zu korrigieren. „Unser wahres Inneres tanzen zu lassen, ist der direkte Weg, die eigenen inneren Stärken, Potenziale und heilenden Kräfte auf sanfte Weise zu aktivieren“, sagt Pastorini. Das Schönste daran: Man hat Spaß dabei!

Informationen zum Inhalt
Aktualität
27. Mai 2024
Aktualisiert
27. Mai 2024
Erstellungsdatum
24. Mai 2024
Stand der medizinischen Information
Redaktion
KroneMED Redaktion
(Bild: KMM)