Im Gewaltschutzzentrum NÖ ist ein Anstieg von schutzbedürftigen Frauen zu verzeichnen. Zum Vergleich: Vom 1. Jänner bis 24. Oktober 2020 wurden insgesamt 2.835 Personen aufgenommen (2.288 weiblich und 547 männlich, davon 1.862 Betretungs- und Annäherungsverbote) und heuer wurden vom 1. Jänner bis 24. Oktober 2021 insgesamt 2.856 Personen aufgenommen (2.381 weiblich und 575 männlich, davon 1.919 Betretungs- und Annäherungsverbote).
Frau Egger, mit welchen Gewaltformen werden Frauen konfrontiert?
Häusliche Gewalt wird in den Medien fast immer nur als körperliche Gewalt abgebildet. Diese ist nur eine Form von häuslicher Gewalt. Psychische Gewalt, wie verbale Gewalt, ökonomische Gewalt wie Erniedrigungen oder etwa Beschimpfungen sind ebenso folgenschwer wie körperliche Gewalt und meist auch der Vorbote von körperlicher Gewalt. Häusliche Gewalt führt zu lähmender Verzweiflung, Vereinsamung bis hin zu Depressionen, chronischen Gesundheitsproblemen und Arbeitsunfähigkeit. Leben Kinder im Haushalt, erleben diese die häusliche Gewalt, egal in welcher Form, mit.
Inwieweit hat die Corona-Krise seit dem Vorjahr die Situation verschärft?
Betroffene sind zusätzlich durch die äußeren Bedingungen isolierter und es war und ist schwierig, wenn man sonst schon ständig kontrolliert wird, sich Hilfe zu holen. Vor allem Menschen, die ohnehin schon in ihrer Mobilität eingeschränkt sind – wie alte oder bettlägerige Personen – um nur zwei Gruppen zu nennen, sind davon betroffen. Hier wird sich wohl noch in Zukunft ein Bild über das Ausmaß der Pandemie zeigen. Das betrifft auch Kinder, die durch die Einschränkungen der Pandemie nicht so sichtbar wurden oder waren.
Wie sensibilisiert man Betroffene, das nahe Umfeld und die Bevölkerung für dieses Thema, um Hilfe zu beanspruchen?
Es ist nach wie vor wichtig, darüber zu reden und Betroffene anzusprechen und ihnen Unterstützung anzubieten. Es gibt einige Projekte, die auch die Zivilgesellschaft auffordern sollen, nicht wegzusehen, sondern zu handeln, so etwa das Projekt STOPP im Bezirk Amstetten.
Wo sehen Sie nach wie vor die größten Herausforderungen in der Gewaltschutzarbeit?
Dass Betroffene von häuslicher Gewalt immer noch für die erlittene Gewalt verantwortlich gemacht werden. Auch medial – „Beziehungsdrama“ hat in der Berichterstattung über Morde an Frauen nichts verloren. Hier müssen wir sehr wachsam betreffend „Victim blaming“ sein. Derjenige, der die Gewalt ausübt, ist für dieses Verhalten verantwortlich, nicht die betroffene Person, die diese Gewalt erfahren muss. Wir müssen uns als Gesellschaft auch überlegen, wie Rollenbilder aussehen und wie diese nach wie vor besetzt sind und wie wir diese Zuschreibungen aufbrechen können.
BERATUNG UND HILFE FÜR OPFER
Im Jahr 1999 wurde das Gewaltschutzzentrum NÖ als anerkannte Opferschutzeinrichtung ins Leben gerufen, das nun mit vier Standorten in St. Pölten (Grenzgasse 11, Tel.: 02742/319 66), (Amstetten, Hauptplatz 21, Tel.: 02742/31 966), Wiener Neustadt (Herrengasse 2a. Tel.: 02622/24 300) und in Zwettl (Landstraße 42/1, Tel.: 02822/53 003) vertreten ist. Unterstützt werden hier Frauen, Männer und Jugendliche, die Opfer von Gewalt wurden. Die Beratung ist kostenlos und vertraulich. Ebenso sind Übersetzungshilfen in der jeweiligen Muttersprache möglich.Nähere Infos: www.gewaltschutzzentrum-noe.at
FOKUS AUF ZUSAMMENARBEIT
Neben Maßnahmen zum Schutz von Gewaltopfern, steht auch das Ineinandergreifen von Interventionen mit der Polizei und der Bevölkerung sowie Menschen aus dem nahen Umfeld des Opfers im Fokus, um betroffenen Frauen schneller helfen zu können. Hier setzt Leiterin Michaela Egger auch auf die vermehrte Zusammenarbeit mit dem Gesundheitswesen und dem niedergelassenen Bereich: „Die Forcierung der Sensibilisierungsarbeit auf allen Ebenen ist hier bedeutend, auch die Täterarbeit ist ein wichtiger Teil der Opferarbeit. Gefährdern muss verdeutlicht werden, dass dieses Verhalten in Form von Gewalt nicht zu akzeptieren ist“.