Wer auf eine 125-jährige Geschichte zurückblicken kann, der hat schon viel erlebt. Bestes Beispiel ist die italienische Automarke Fiat, deren Firmenhistorie einer italienischen Oper gleicht: Glanzvolle Triumphe, tragische Niederlagen, eine gehörige Portion Emotion gepaart mit viel Passion fürs Autofahren. Eines zeichnete den viertältesten durchgehend aktiven Autokonzern der Welt dabei immer aus: Fiat verstand es wie kein anderer, mit verführerisch schönen und erschwinglichen Automobilen zunächst Italien und danach auch weite Teile der Welt zu motorisieren.
Mobilität für alle
Los ging es bereits Ende des 19. Jahrhunderts: Am 11. Juli 1899 wird in Turin die Firma „Fabbrica Italiana Automobili Torino“, kurz Fiat, von einer Handvoll Turinern mit einem ehrgeizigen Ziel aus der Taufe gehoben: der breiten Bevölkerungsbasis Mobilität zu ermöglichen. Der Plan geht auf: Bereits vom ersten Modell, dem Fiat 3,5 HP, werden 20 Einheiten gebaut.
Ein Mann mit Weitblick
Die treibende Kraft hinter Fiat ist von Beginn an Giovanni Agnelli, der 1902 zum Geschäftsführer bestellt wird, kurze Zeit später das Unternehmen an die Börse bringt und 1916 Turin zu einer wahren Automobilkapitale macht. Sein Erfolgsrezept: Durch die Verwendung gängiger Bauteile lassen sich Kosten und Produktion verschlanken. So kann das Unternehmen Fahrzeuge anbieten, die zuverlässig und für jedermann erschwinglich waren.
Motorsport als Werbeträger
Auch die sportlichen Erfolge tragen zum Aufstieg der Marke bei: Bereits 1908 siegt das "Biest von Turin“, ein Fiat S61, beim Großen Preis der USA. Da die roten Boliden bei den wichtigsten Grand-Prix-Rennen auch gegen Mercedes und Benz erfolgreich reüssieren, stellt sich schnell prominente Käuferschaft ein: Selbst Kaiser Wilhelm II. oder der japanische Tenno nehmen die Autos aus Turin in ihren Hof-Fuhrpark auf.
Auf dem Weg zum Volksauto
Nach dem Ersten Weltkrieg macht sich Fiat mit viel Energie an die Massenmotorisierung. Mit den kostengünstigen Fiat 501 und 509 war der Start getan, ab 1925 sorgen Kreditverkaufsprogramme für zusätzlichen Absatz, bis Dante Giacosa, der neue Chefkonstrukteur, mit dem Bestseller 500 Topolino die richtige Antwort auf die Wirtschaftskrise findet, welcher mit seinem Mix aus Robustheit, Sportlichkeit und gutem Design die Straßen der Welt erobert.
Ein Meister der Formen
Die Einstellung des genialen Ingenieurs Giacosa erweist sich als wahrer Glücksgriff. Er drückt den Nachkriegsmodellen des Unternehmens seinen Stempel auf, die mit dem Nuova 500, dem 600 sowie den Typen 124 und 128 Fiat bis Anfang der 70er Jahre zum größten Autoproduzenten machen.
Schleuderkurs in eine rosige Zukunft
Karge Zeiten brechen über die Italiener herein: Die Ölkrisen der 70er schwächen das Unternehmen, die Gewerkschaften bringen mit ihren Streiks den Turiner Autogiganten bis an den Rand des Ruins. Die Agnellis lösen das Problem auf ihre Art: Sie setzen auf Automatisierung, kürzen bis 1994 zwei Drittel der Belegschaft und starten mit den Modellen Panda, Punto, Palio und Barchetta neu durch, bis sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder Gewitterwolken über Turin zusammenbrauen: Die Italiener galten als Übernahmekandidat, bis Sergio Marchionne als neuer CEO mit harten Sanierungsmaßnahmen und neuen Modellen Fiat wieder auf Kurs bringt. Mit der Neuerfindung des Cinquecento und des Tipo besinnt man sich wieder seines Markenkerns, italienisches Design zum günstigen Preis in kompakte Autos zu verpacken, und schafft auch mit dem 500e den Sprung ins Zeitalter der Elektromobilität. Bleibt man seinen Tugenden treu, dann ist Fiat auch in Zukunft ein „Dolce Vita“ sicher - denn italienisches Design und Autofahren passen gut zueinander.
von Christian Seirer
Info
Der Name Fiat ist ein Akronym für Fabbrica Italiana Automobili Torino, deutsch Italienische Automobilfabrik Turin.