Das Immunsystem stärken, die eigenen Grenzen austesten, oder mental wieder ins Gleichgewicht kommen: Was auch immer die Gründe dafür sind, den„Sprung“ ins kalte Nass zu wagen - wer einmal damit begonnen hat, den lässt das Abenteuer Eisbaden bzw. Eisschwimmen meist nicht mehr los. Zugegeben, derzeit herrscht ein wahrer Hype um die Kälteexposition. Die Sozialen Medien sind voll mit Posts von Menschen, die fototauglich in halb gefrorenen Seen oder eisigen Flüssen baden, und überall poppen Workshops auf, die den Einstieg in die kalte Welt versprechen. Dabei braucht das Eisbaden gar keinen großen Auftritt. Man muss dafür weder gemeinsam ums Feuer tanzen, noch sich im Anschluss weinend in den Armen liegen: Jeder, der Herz-Kreislauf-technisch fit ist, kann das Eisbaden für sich entdecken und nutzen, ganz ohne Hokuspokus. Alles, was man braucht, ist etwas Überwindung, ein gutes Gespür für den eigenen Körper und ganz wichtig - die nötige Vorsicht.
„Es ist nur Schmerz“
Einer, der weiß, wie's geht, ist Josef Köberl. „Langsam beginnen, ruhig in den Bauch atmen, nicht übertreiben und in sich hinein-spüren“, rät der gebürtige Steirer, der bereits tausenden Neulingen die Angst vor den eisigen Temperaturen genommen hat. Auch wenn man von vielen Ungläubigen immer noch Sätze hört wie „Das kann ich nicht, da bleibt mir ja das Herz stehen“, zeigen seine Rekorde, was der menschliche Körper imstande ist, zu leisten: 38 Minuten und 32 Sekunden schwamm Köberl z.B. 2021 im Natureispalast in Hintertux auf ca. 3220 Metern bei einer Wassertemperatur von rund minus 0,3 Grad - und holte damit den Weltrekord in Süßwasser. Bereits 2020 überbot der 47-Jährige seinen eigenen Weltrekord „Longest Duration Full Body Contact With Ice“ um 28 Minuten und blieb zwei Stunden, 30 Minuten und 53 Sekunden in einer mit Eiswürfeln gefüllten Box stehen.
„Unsere Grenzen sind nur im Kopf“ sagt Köberl, und das Motto seiner Workshops unterstreicht sein Credo: „It's only pain“ - es ist nur Schmerz sagt er den Teilnehmern, wenn sie den ersten Schritt ins eisige Nass wagen, und ihr Körper aufgrund des Kälteschocks auf „Flucht“ schaltet. Die intensive Stressreaktion sorgt dafür, dass die Atemfrequenz sich erhöht, der Blutdruck steigt und Adrenalin freigesetzt wird. Dass die Kälte nicht unser Feind ist, erfahren die, die lange genug drinnen bleiben, aber bald danach am eigenen Leib. Denn nach rund zwei bis drei Minuten stellt sich der so genannte „Eisbade-Effekt“ ein.
Herausforderung, Gesundheitsboost und Entschleunigung
„Plötzlich wird dir warm, als würde eine Schutzhülle den Körper umfassen“, erzählt Martina vom Moment der kalten Thermogenese, wenn der Körper versucht, die Kerntemperatur aufrechtzuerhalten, indem er die Durchblutung in den Extremitäten erhöht. Kältetherapie aktiviert das sogenannte „braune Fett“ im menschlichen Körper, das an der Regulierung der Körpertemperatur beteiligt ist, den Energieumsatz erhöht und den Kalorienverbrauch ankurbelt. Bei regelmäßiger Anwendung werden weiters Stresssymptome gelindert, da der Kälteschock die Ausschüttung von Endorphinen und Adrenalin bedingt. Das kann auch die 34-jährige Martina bestätigen, die als Managerin ständig von beruflichem Druck umgeben ist. Vor zwei Jahren entdeckte sie das Eisbaden bei einem Winterausflug an einen Bergsee mit Freunden. „Zuerst dachte ich, das sei absolut verrückt, aber nach dem ersten Mal war ich wie befreit. Die Kälte reißt dich komplett aus deinen ständigen Gedankenkreisen heraus, das Eisbaden hat mein Stresslevel komplett gesenkt“ erzählt sie. Inzwischen geht sie jeden Winter mindestens einmal wöchentlich ins kalte Wasser.
Gesundheitskick: Kalte Erfrischung gefällig?
So wie Martina geht es vielen. Sie nutzen das Eisbaden (bei Temperaturen über fünf Grad spricht man übrigens „nur“ vom Kaltbaden) weit über den puren Kältereiz hinaus für sich. Denn neben der bewussten Auseinandersetzung mit körperlichen und mentalen Grenzen fördert es die Resilienz und wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Das wurde in einer 2020 veröffentlichten Studie der Züricher Universität auch bestätigt. Demnach ziehen sich Blutgefäße bei Kälteexposition zusammen, und weiten sich bei Aufwärmen wieder, wodurch die Blutzirkulation angeregt wird und der Kreislauf in Schwung bleibt. Deshalb gilt nach dem Eisbaden auch: Zittern ist erlaubt. Denn der so genannte „After drop“, der sich in oft starkem Zittern am ganzen Körper äußert, setzt oft erst viele Minuten nachdem man das Wasser verlassen hat ein, ist aber kein Grund zur Sorge. Dabei öffnen sich die Blutgefäße wieder und das kalte Blut vermischt sich mit dem warmen Blut aus dem Körperinneren - für gesunde Menschen ein effektives Training fürs Herz-Kreislauf-System und die Gefäße. Langfristig wird die Durchblutung verbessert, Giftstoffe werden leichter abtransportiert und man wird allgemein abgehärteter gegen Kälte und somit Krankheiten.
Energieschub für den ganzen Tag
„Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, mein Immunsystem zu stärken, und bin auf das Eisbaden gestoßen,“ erzählt Thomas, 29. Er bekam vor einigen Jahren eine chronische Erkrankung diagnostiziert, die auch negativ auf seine körperliche Fitness eingewirkt hat. Anfangs skeptisch, begann er sich langsam an die Kälte zu gewöhnen, zuerst mit kalten Duschen, dann mit kurzen Aufenthalten in kaltem Wasser. „Ich kann nicht behaupten, dass es eine Wunderheilung ist, aber ich fühle mich viel widerstandsfähiger, was Infektionen und Erkältungen angeht. Es ist wie ein Boost für meinen Körper.“ Auch mental hat Thomas durch das regelmäßige Eisbaden neue Stärke gewonnen: „Es gibt dir das Gefühl, dass du viel mehr schaffst, als du dir selbst zutraust.“ Viele Eisbader berichten gar von einem regelrechten „High“, einem Energieschub, der den ganzen Tag anhält. „Die ersten Sekunden sind der absolute Schock - es fühlt sich an, als würde jede Zelle in deinem Körper aufwachen,“ erzählt Peter, 59, der seit drei Jahren regelmäßig in eisige Seen taucht. „Für mich ist das eine der intensivsten Arten, das Leben zu spüren. Du brauchst nichts anderes als dich selbst und die Natur. Kein Handy, kein Lärm, nur das kalte Wasser und dein Atem. Es erdet mich jedes Mal aufs Neue.“
Ausprobieren unter Anleitung
Wer jetzt noch nicht überzeugt ist, dem sei ein Workshop beim Experten empfohlen. “Während die meisten ihre Badesachen schon weggepackt haben, beginnt jetzt für uns Eisschwimmer erst das Jahr“ lacht Josef Köberl. Er bietet den ganzen Winter hindurch Kurse für Einsteiger an, die sich unter der fachkundigen Anleitung des mehrfachen Weltrekordlers Schritt für Schritt ins eisige Nass wagen möchten. Vor allem für Einsteiger ist jetzt die perfekte Zeit, sich bei sinkenden (Wasser-)Temperaturen langsam ans Eisbaden zu gewöhnen. Und Österreich bietet dafür magische Plätze - vom Grundlsee über den Ossiacher See bis hin zum Natureispalast am Hintertuxer Gletscher. Und ist man mit einem Profi unterwegs, dann kann man auch diverse Gletscherseen auf ihre „Badetauglichkeit“ prüfen. Je nach Höhenlage kann es freilich vorkommen, dass man sich den Weg ins eisige Nass mit Hacke oder Säge „freischlagen“ muss. Doch einen echten Eisschwimmer hält auch das nicht ab...
Termine
Ein paar Tipps für Workshops rund ums Eisbaden und Eisschwimmen mit Josef Köberl:
Bio Hotel Retter, Pöllauberg/Stmk.
29.11.-1.12.2024; 7.-9.3.2025
www.retter.at
Seehotel Grundlsee, Steiermark
1.-4.12.2024; 30.11.-3.12.2025
www.tauroa.at
Hotel Seerose Ossiachersee, Ktn.
24.-26.1., 7.-9.2. und 14.-16.2. 2025;
www.seerose.info
G'Schlössl Murtal; Steiermark
16.-19.3.2025
www.tauroa.at
Weitere Termine, u.a. im Natureispalast am Hintertuxer Gletscher auf www.josefkoeberl.at