"Seids krank?"

Tausende Mediziner demonstrieren in Wien

Österreich
04.06.2008 07:52
Unter dem Motto "Seids krank?" haben sich am Dienstagvormittag die Ärzte zu einer Großdemonstration gegen die geplante Gesundheitsreform zur Sanierung der Krankenkassen in Wien versammelt. Laut Ärztekammer trafen sich 8.000 Mediziner in ihren weißen Kitteln auf dem Stephansplatz und marschierten mit Trauermusikuntermalung durch die Innenstadt zum Bundeskanzleramt. Vor allem Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky bekamen bei der Demonstration den Unmut der Ärzte zu spüren. Bei den Verhandlungen zwischen Kdolsky und der Ärztekammer, die am Dienstagnachmittag fortgesetzt wurden, herrscht weiterhin Stillstand.

Sämtliche Landesärztekammern schickten Delegationen nach Wien, zahlreiche Ordinationen blieben geschlossen. Als Ersatz war der Ärztefunkdienst während des gesamten Tages im Einsatz. Laut Ärztekammer sollen sich 8.000 Mediziner an dem Marsch beteiligt haben. Die Wiener Polizei sprach von "rund 4.500 Demonstranten".

Worum es den Ärzten geht, machten sie bereits auf ihren zahlreichen Transparenten deutlich. "Gegen die Zerstörung des Gesundheitssystems" war eine der Hauptbotschaften. 

Gleichzeitig machten sie auch darauf aufmerksam, dass die Patienten von den Plänen der Regierung ebenfalls betroffen sein würden: "Keine Billigmedizin auf Kosten unserer Patienten", stand etwa zu lesen oder "Medizin marod - Patient in Not". Die Mediziner sagten auch "Ja zu Reformen - Nein zu Husch-Pfusch-Aktionen".

"Gebt uns Rauch-Kallat wieder"
Aufs Korn genommen wurden auch die verantwortlichen Politiker. So gab es die "rote Karte für Kdolsky und ihre Gesundheitsreform" und in Anspielung auf die Rauchervereinbarung hieß es "Tschicks für Kdolsky - Gesundheit für Österreich". Aber auch die SPÖ blieb nicht unverschont: "Gusi verrät Sozialdemokratie, Häupl schweigt dazu". Ein weiteres Transparent sah das Heil in der Vergangenheit und forderte "Gebt uns Rauch-Kallat wieder". Für die musikalische Untermalung der Demonstration sorgte die "Funeral Marching Band" der Wiener Ärztekammer mit Trauermusik. Als Moderator der Protestveranstaltung fungiert Dieter Chmelar. 

313.327 Unterschriften: Gusenbauer schickt Silhavy vor
Der Demonstrationszug führte durch die Innenstadt über die Habsburgergasse weiter zum Michaelerplatz und durch die Schauflergasse zum Ballhausplatz, wo um 11.00 Uhr die Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt stattfand. Eine Delegation der Ärztekammer überreichte Staatssekretärin Heidrun Silhavy im Kanzleramt einen "Symbolscheck" mit 313.327 Unterschriften der Patientenbegehren aus den Bundesländern Wien, Steiermark und Oberösterreich. Bundeskanzler Gusenbauer ließ den Empfang platzen. 

Der Vizepräsident der Wiener Ärztekammer, Johannes Steinhart, verkündete dann bei der Kundgebung am Minoritenplatz, dass nicht der Bundeskanzler die Ärztedelegation empfangen hatte und sagte: "Wir sind vielleicht nicht wichtig, aber er hat die Meinung von 313.000 Patienten nicht annehmen wollen." Ein gellendes Pfeifkonzert war die Folge.

Stillstand bei Verhandlungen mit Kdolsky
Weiter Stillstand herrscht unterdessen bei den Verhandlungen zwischen Gesundheitsministerin Kdolsky und der Ärztekammer. Nach einer Gesprächsrunde am Dienstagnachmittag kommentierte Ärztekammer-Vizepräsident Günther Wawrowsky den Endstand so: "Es ist die gleiche Annäherung wie vor zehn Tagen. Es hat sich im Prinzip nichts geändert." Der Ärztevertreter sprach von einer "anderen Instanz, an die wir nicht herangelassen werden".

Wer der Dritte im Spiel rund um die Gesundheitsreform sein könnte, konnte auch Wawrowsky nicht verraten. Er vermutet die Sozialpartner oder den Sozialminister als dieses "eigenartige Gegenüber" Kdolskys. Der Ministerin warf der Ärztevertreter vor, sich in dieser Konstellation nicht durchsetzen zu können. Anscheinend habe sie keine Kompetenz in dieser Sache, so Wawrowsky.

Ärztekammer rechnet mit Ministerratsbeschluss
Die Ärztekammer geht nun davon aus, dass es am Mittwoch einen Ministerratsbeschluss zur Gesundheitsreform geben werde. Bei der Verhandlungsrunde mit Kdolsky habe man noch einmal die Anliegen vorgetragen, Zugeständnisse oder Versprechen habe es aber nicht gegeben. Nun hoffen die Ärzte, dass die Forderungen weitergetragen werden.

Scharfe Angriffe, wie man es von der Ärztekammer in letzter Zeit gewohnt ist, gab es auf Kdolsky diesmal nicht. "Ich unterstelle der Ministerin nichts, sie bemüht sich wirklich", so Wawrowsky. Am Samstag will die Ärztekammer bei ihrer außerordentlichen Vollversammlung weitere Maßnahmen besprechen. Einem Streik will man allerdings so gut es geht aus dem Weg gehen. "Theoretisch ist es möglich, praktisch wollen wir es nicht", so Wawrowsky. Die Wahrscheinlichkeit für eine Arbeitsniederlegung, wie sie bereits in den Raum gestellt wurde, sei noch immer so groß wie nach der vorletzten Verhandlungsrunde.

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