Die polizeilichen Ermittlungen (im Bild Spurensicherer am Tatort) laufen auf Hochtouren. Bei zwei Tatverdächtigen wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Im Verhör zeigten sie sich ohne Reue: "Wir haben die Ungläubigen lange gewarnt."
Der Vizepräsident des Tempels, Kumar Balvinder, nennt im Gespräch mit der "Krone" das Motiv für das Attentat: "Wir gehören zur Kaste der Unberührbaren und gelten für die konservativen Sikhs als Ungläubige, nur weil wir uns weigern, Turban, Säbel oder Bärte zu tragen."
Gesicht von rasiermesserscharfen Säbeln zerfetzt
"Ich kann es einfach nicht glauben, warum ausgerechnet mein Sohn?" Die Mutter von Jatinder K. (35) ist auch am Tag nach dem Massaker im Tempel in der Pelzgasse in Wien-Fünfhaus noch fassungslos. Immer wieder wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht und betet für ihr Kind. Jatinder K. ist nur einer von Dutzenden Gläubigen, die kurz nach 13.30 Uhr von den Sikh-Attentätern während des Gebets im Tempel überrascht worden sind. Von den rasiermesserscharfen Säbeln wurde sein Gesicht zerfetzt, im Spital kämpfen nun die Ärzte um sein Leben.
Prediger von Kugeln getroffen
Bei dem Attentat in dem Tempel in der Pelzgasse 17 waren die zwei aus Indien angereisten Prediger von je zwei Kugeln getroffen und schwer verletzt worden. Beide Männer wurden noch in den Abendstunden notoperiert. Während der 57-jährige Guru Sant Rama Anand verstarb, hat sich der Zustand eines anderen Predigers, des 68-jährigen Sant Niranjan, hingegen deutlich verbessert. "Ihm geht es sehr gut. Einer unserer Beamten hat ihn heute (Anm.: Montag) getroffen. Er könnte schon bald entlassen werden", sagte ein Vertreter der indischen Botschaft in Wien der Tageszeitung "Times of India" (Internetausgabe).
"Er ist gesund und wohlauf", sagte der stellvertretende Leiter der indischen Botschaft, Achal Malhotra, weiter. Dem Zeitungsbericht zufolge ist eine 25-köpfige Delegation der Sikh-Glaubensströmung "Shri Guru Ravidas Sabha", angeführt von ihrem Vorsitzenden in Großbritannien, Yograj, nach Wien aufgebrochen, um ihre nach dem blutigen Zwischenfall aufgebrachten Glaubensbrüder zu beruhigen "und den Frieden wiederherzustellen".
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Während der Predigt in dem Gebetshaus der Sikh-Strömung Shri Guru Ravidas waren kurz nach 13 Uhr sechs Männer, höchstwahrscheinlich andere Sikhs, plötzlich aufgestanden und mit dolchartigen Messern sowie einer Pistole auf die beiden Gast-Prediger losgegangen. Einige Menschen im Hauptgebetsraum griffen nun selbst in Notwehr die Attentäter an, während der Großteil der bis zu 350 Menschen in Panik ins Freie strömte.
Als erste Einsatzkräfte der Polizei waren Beamte aus dem Bezirk an Ort und Stelle. Diese lotsten die Flüchtenden weiter und sicherten den Außenbereich. Kurz danach waren elf Mitglieder der Sondereinheit WEGA am Tatort und stürmten in den Gebetssaal, der aber bis auf neun Verletzte bereits leer war. Drei Notarzt-Hubschrauber sowie 16 Rettungsfahrzeuge waren im Einsatz, die Polizei rückte mit 60 Fahrzeugen und 130 Beamten an.
Polizei weist Anschuldigungen zurück
Die Anschuldigung der Glaubensgemeinschaft, deren Gebetshaus in der Pelzgasse 2005 eröffnet wurde, die Auseinandersetzung sei vorhersehbar gewesen und man habe die Polizei vergeblich um Schutz gebeten, wies die Exekutive am Sonntagabend zurück: "Es hat zu keinem Zeitpunkt ein Ansuchen auf Personenschutz oder Informationen über eine Gefährdung gegeben", betonte Polizeisprecher Michael Takacs. "Die beiden Priester waren schon mehrmals in Österreich und es gab noch nie Probleme."
Beim Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) geht man vorläufig von einem religiösem Motiv des Attentats aus. LVT-Leiter Werner Autericky wies zudem Meldungen zurück, wonach es im Vorfeld der Predigt, zu der der Obmann des Tempels die späteren Opfer eingeladen hatte, Hinweise auf Bedrohungen gegeben habe.
Es habe zwei Kontaktaufnahmen seitens des Vereins gegeben, einige Tage zuvor und unmittelbar vor der Veranstaltung, sagte Autericky. Der Obmann habe erklärt, dass es kein Gefährdungspotenzial gebe. Kurz vor dem Gebet sei die Polizei darauf aufmerksam gemacht worden, dass mehr Besucher als erwartet anwesend seien. Deshalb seien mehrere Polizeifahrzeuge zu dem Tempel geschickt worden. Die Beamten trafen kurz nach der Schießerei ein und wurden Zeugen des folgenden Tumults, in dessen Rahmen Messer, Mikrofonständer und sogar eine Pfanne als Waffen eingesetzt wurden.
Attentäter selbst schwer verletzt
Zwei der mutmaßlichen Attentäter seien durch Kopfschüsse selbst verletzt worden. Vorläufig sei es noch schwer, mit Gewissheit zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden, sagte Autericky. Die Einvernahmen hätten bisher keine entscheidenden Erkenntnisse gebracht. Von den sechs Festgenommenen sind drei identifiziert, zwei von ihnen sind indische Asylwerber. Einer hält sich seit 2001 in Österreich auf, die beiden anderen seit dem vergangenen Jahr. Ein Verdächtiger habe bisher noch nicht geredet, von einem anderen seien drei verschiedene Namen bekannt.
Angst vor Racheaktionen
Bei den Strukturermittlungen in Bezug auf die Glaubensgemeinschaft der Sikhs in Österreich stehe man noch ganz am Anfang, sagte Autericky. Beim LVT rechnet man nun mit Unterstützungs- bzw. Solidaritätsaktionen für den verletzten Guru Sant Niranjan Dass (68), der so wie die anderen verletzten Opfer im Spital bewacht wird. Gefasst sein müsse man auch auf Racheaktionen, extra Polizeischutz gibt es nicht nur für die Verletzten, sondern auch für die indische Botschaft und das Konsulat. Bezüglich konkreter Ermittlungsschritte hielt sich Autericky bedeckt.
Polizei und LVT bitten um Zeugenhinweise
Parallel zu den Verfassungsschützern ermitteln auch Kriminalbeamte. Sie vernehmen einerseits Zeugen (Hinweise, auf Wunsch anonym, an das LVT unter Tel. 01/313 10-74 035) und sichern Spuren am Tatort. Diese Arbeit werde noch einige Tage in Anspruch nehmen, sagte Wolfgang Haupt vom Landeskriminalamt. Die Kriminaltechniker untersuchen den Zeremoniensaal und weitere Räume im Gebetshaus Zentimeter für Zentimeter. Als Tatwaffen seien mehrere Messer und eine Pistole (Kaliber 9 Millimeter) sichergestellt worden, deren Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei.
BZÖ fordert Einreiseverbot für "Problemgurus"
Nach den Reaktionen von FPÖ, Grünen und der SPÖ auf das Blutbad im indischen Gebetshaus haben sich am Montag auch das BZÖ und die ÖVP zu Wort gemeldet. Das orange Bündnis fordert ein Einreiseverbot für "Problemgurus und Hassprediger". "Wir können nicht das Aufmarschgebiet für alle Wahnsinnigen werden", stellte der EU-Spitzenkandidat Ewald Stadler bei einer Pressekonferenz am Montag fest. Er präsentierte dabei einen zehn Punkte umfassenden Forderungskatalog für mehr Sicherheit, der in den nächsten Tagen auch im Nationalrat thematisiert werden soll.
Stadler fordert die Einrichtung einer Sonderkommission "Ausländerkriminalität" und verwies dabei auf den aktuellen Fall in Wien. Bereits "eingebürgerten Kriminellen" solle die Staatsbürgerschaft wieder aberkannt werden, so sie etwa zu einem Jahr unbedingter Haft verurteilt werden, schlug Stadler vor. Er befürwortet weiters Haftanstalten in den Hauptherkunftsländern der Straffälligen und die Einrichtung einer speziellen Einheit für Grenzschutz beim Innenministerium.
Fekter: "Dulden keine Konflikte mit Waffengewalt"
"Wir dulden keine Konflikte, die mit Waffengewalt ausgetragen werden", sagte Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) am Montag am Rande einer Pressekonferenz in Wien. Auf diplomatischer Ebene stehen die österreichischen Behörden mit den Kollegen in Indien in Kontakt. Zum einen, um Hintergründe zu erfahren, und zum anderen, damit sie wissen, "wie weit wir mit unseren Ermittlungen sind".
Im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ist laut der Ministerin eine Schwerpunktgruppe eingesetzt worden, die sich der "Abwehr von Reltroffen sein könnten. Man müsse sich das auch im Hinblick auf Sekten ansehen, meinte die Ministerin.
Strache poltert gegen SPÖ wegen Zuwanderungspolitik
Bereits am Sonntag hatte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache den Angriff in dem indischen Tempel zum Anlass genommen, die Zuwanderungspolitik der SPÖ zu kritisieren. Deren "Weg der offenen Türen" führe "geradezu ins Chaos, in die multikulturelle Kriminalität", so Strache in einer Aussendung.
SPÖ: "Ungeheuerlich und schäbig"
Eine Reaktion der SPÖ ließ nicht lange auf sich warten. Es sei "ungeheuerlich", dass Strache jetzt nichts anderes im Sinn habe, "als weiter in Hassprediger-Manier die Menschen aufzuhetzen", empörte sich Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger. "Fanatismus, woher immer er herkommt und von wem immer er ausgeübt wird, ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen", betonte sie. Landesparteisekretär Christian Deutsch bezeichnete es als "zutiefst schäbig, wenn Strache den tragischen Vorfall missbraucht, um seine Hetze gegen Religionen fortzusetzen".
Die Klubobfrau der Grünen Wien, Maria Vassilakou, forderte Strache auf, "seinen religiösen und politischen Fanatismus aus dem Spiel zu lassen und die Ermittlungsergebnisse der Polizei abzuwarten".
von Gregor Brandl, Michael Pommer, Christoph Budin (Kronen Zeitung) und krone.at
Foto: Andi Schiel
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