Hilferuf einer Lehrerin: Am Montag erscheint Susanne Wiesingers Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“. Mit Conny Bischofberger sprach die Wiener Pädagogin über Tabuthemen, das Versagen der Politik und den Einfluss des Islam.
Feierabendstimmung am Wiener Donaukanal, die Herbstsonne hat schon viel weniger Kraft. Susanne Wiesinger wirkt wie der ruhende Pol vor den Wänden mit den zornigen Graffiti. Ihre tiefen Einblicke in den Schulalltag, der zunehmend außer Kontrolle gerät, wurden erstmals auf der Rechercheplattform Addendum veröffentlicht, nun erscheinen sie als Buch. „Natürlich bin ich angespannt“, gesteht die langjährige Lehrerin, „wie der Stadtschulrat, meine ehemaligen Gewerkschaftskollegen, auch meine Kollegen und Kolleginnen an der Schule reagieren werden.“
„Krone“: Frau Wiesinger, wie hoch war der moralische Druck, mit dem Thema „Islam an den Schulen“ doch nicht an die Öffentlichkeit zu gehen?
Der war schon sehr hoch. Warum ich ihm doch nicht standgehalten habe: Ich möchte, dass endlich eine Diskussion über dieses Thema abseits von Populismus entsteht. Denn was ist passiert? Die eine Seite negiert die Probleme, die andere Seite missbraucht sie. Und beides ist in meinen Augen der komplett falsche Weg.
Von welchen Problemen sprechen wir?
Vom immer stärker werdenden Einfluss des Islam, von Schülern, die zerrissen sind zwischen den Kulturen, von Lehrern, die überfordert sind, von einer mangelhaften Integration, über die der Mantel des Schweigens gelegt wird.
Warum wollten Sie nicht mehr schweigen?
Ich war lange Personalvertreterin, schon damals wollte ich eine sachliche Diskussion in Gang setzen, ich dachte wirklich, ich könnte was bewegen, diese Diskussion könnte was verändern. So habe ich es mir vorgestellt. Es hat mit dem Wiener Stadtschulrat auch Gespräche gegeben, so ist es nicht, aber sie haben mich nicht sehr hoffnungsfroh gestimmt, weil die Positionen einfach zu weit auseinanderliegen.
Was sagt der Stadtschulrat, wenn Sie schildern, was Sie erleben?
Dass ich übertreibe. Und was noch wichtiger ist: Dass man das nicht öffentlich, sondern intern diskutieren sollte. Manchmal erinnert mich das daran, wie die Muslime alles innerhalb ihrer Familien regeln wollen. Doch geschlossene Systeme bringen uns nie weiter.
Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie darin bestärkt hat, sehr wohl an die Öffentlichkeit zu gehen?
Es war eigentlich der Terroranschlag auf „Charlie Hebdo“, wo meine Schüler Verständnis gezeigt haben. Es war nicht einmal mehr eine Überraschung für mich. Das Attentat auf die Karikaturisten hat einfach vieles an die Oberfläche geholt, was vorher schon da war. Vor ein paar Wochen war ja das Urteil im Mordfall des afghanischen Mädchens. Der Täter hat den Mord mit seiner Kultur gerechtfertigt. Genau das sagen unsere Schüler auch, wenn solche Dinge passieren. Der Einfluss des konservativen Islam und einer archaischen Kultur ist immer stärker geworden und ich bin intern kaum mehr durchgedrungen.
Hatten Sie keine Verbündeten?
Doch, ich hatte auch Verbündete in der Gewerkschaft, aber viele sind leise geworden. Da dachte ich, dass ich lauter werden muss.
Sie beschreiben im Buch so eine Situation, in der Sie mit den Schülern über Ehrenmord diskutieren. Da bekommt man Gänsehaut …
Weil die Kinder sagen: „Meine Familie müsste mich töten, wenn ich das und das tue.“ Eigentlich wissen sie, dass ein sogenannter Ehrenmord ein Schwerverbrechen ist. Aber andererseits versuchen sie alles, was aus ihrer Kultur kommt, zu entschuldigen. Es ist schwer zu beschreiben, aber ihre Kultur, ihre Religion und ihre Familie steht über allem. Auch über unserem Gesetz. Und wenn sie ihre Kultur verlieren, dann verlieren sie ihre Identität, also sich selbst.
Kann man solche Kinder überhaupt integrieren?
Einerseits braucht es mehr Einbindung und Akzeptanz unserer Mehrheitsgesellschaft. Aber die Mehrheitsgesellschaft muss auch ganz genau schauen, an welchen Teil der Muslime sie sich wendet und meiner Meinung nach hat sie sich an die Falschen gewandt. Also der liberalere und sogar säkulare Teil der Muslime gehört gestärkt, aber der streng konservative Teil, für den müssen wirklich klare Grenzen gezogen werden.
Was hat Sie von all Ihren Erlebnissen, die Sie im Buch beschreiben, am meisten schockiert?
Dass für muslimische Schüler andere Regeln herrschen. Dass es selbstverständlich für viele Mädchen ist, dass sie nicht den heiraten, in den sie sich verlieben. Manchmal ist es zufällig so. Aber was gar nicht geht, ist, jemanden zu heiraten, der nicht die gleiche Religion hat. Das haben diese Kinder bereits verinnerlicht. Geschockt hat mich auch die Zunahme von Beschneidungen. Das ist eigentlich Irrsinn, mitten in Wien!
Wie erfährt eine Lehrerin so etwas?
Das erfährt man nur ganz selten. Diese Mädchen haben oft Harnwegsinfektionen und gehen sowieso nicht turnen und gehen nicht schwimmen und dauernd ist ihnen schlecht. Das heißt noch nicht, dass sie beschnitten sind, aber es sind Hinweise. Ein Mädchen hat sich total verändert, da habe ich das einfach angesprochen und offensichtlich ins Schwarze getroffen.
Kann man so einem Mädchen helfen?
Nein, weil ich keinen Beweis habe. Und solange sich das Kind nicht an einer Stelle äußert, wo es hingehört - Jugendamt, Polizei, Sozialarbeiter -, sind wir machtlos. Wir können auch nichts gegen Verheiratung nach islamischem Recht tun. Das erfahren wir nur von anderen Schülern.
Ist das dem Staat wurscht?
Solange sich diese Mädchen nicht an eine offizielle Stelle wenden und um Hilfe bitten, kann der Staat nichts machen. Und wenn ein Mädchen das macht, würde es von seiner Familie verstoßen werden. Man kann solche Mädchen auch nicht zwingen, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Die haben immer eine ärztliche Bestätigung. Ohrenentzündung, Blasenentzündung, Nebenhöhlenentzündung, Schnupfen, Bauchweh, Kopfweh.
Brauchen Lehrer da mehr Handhabe?
Ja. Denn eigentlich kann man gar nichts tun. Viele Neue Mittelschulen gehen deshalb gar nicht mehr schwimmen, weil es eh nur Schwierigkeiten gibt. Auch an den Volksschulen, wo Schwimmen Pflichtunterricht ist. Und so können immer mehr Kinder nicht schwimmen, im Übrigen auch Burschen, aber es trifft vor allem die Mädchen.
Ist es ein Problem, dass viele muslimische Väter den weiblichen Lehrkräften nicht die Hand geben?
Bei mir und auch bei anderen Lehrerinnen ist es mittlerweile so, dass wir die Hand nicht mehr ausstrecken, sondern abwarten. Wenn da nichts kommt, grüßt man halt nur.
Ist das nicht Unterwerfung?
Ja, aber alles andere würde sofort einen Keil zwischen die Lehrerin und den Vater treiben, und wir wollen ja eine halbwegs gute Gesprächsbasis haben. Man gibt auch ein bisschen auf … Es gibt auch tschetschenische Väter, die nicht die Hand geben, aber durchaus höflich und kooperativ sind. Und dann gibt es auch Väter, die sehr wohl die Hand geben, aber dann wie breitbeinige Obermachos dasitzen.
Stimmt es, dass es an vielen Schulen eine Kleidungspolizei gibt?
Ja, also da war ich auch schockiert. Ein Mädel ist in einem geblümten Kleid von H&M in die Schule gekommen, die Muslime haben dann gefunden, sie sieht aus wie eine Christin, und drohten, ihr mit der Schere das Kleid zu zerschneiden. Ich musste das Mädchen aus dem Klo holen, wo es sich versteckt hatte. Als ich das eigene Manuskript gelesen habe, war das so ein Moment, wo ich dachte: Wie hältst du das eigentlich aus?
Gibt es Dinge, die Sie gar nicht schreiben konnten?
Ja. Weil ich sie nicht selber erlebt habe. Etwas, das im Buch nicht vorkommt, ist der Druck, der in manchen Familien gemacht wird, damit die Jungfräulichkeit der Tochter erhalten bleibt. Was heißt Druck, zum Teil ist es Gewalt, die angewendet wird. Betrifft aber nicht nur Muslime, sondern zum Beispiel auch die immer größer werdende Gruppe fundamentalistischer Christen. Auch in Roma-Familien ist Jungfräulichkeit ein Oberthema.
Haben wir diesen „Kulturkampf“, wie Sie es nennen, verloren?
Wenn wir all das, was ich geschrieben habe, nicht sachlich und lösungsorientiert angehen, dann haben wir ihn verloren. So, und dabei bleibe ich.
Würden Sie sagen, dass die neue Regierung erste Schritte gesetzt hat? Zum Beispiel mit dem Kopftuchverbot?
Ja. Das kann ich Türkis-Blau zugestehen, obwohl ich mein Leben lang eine Linke war. Das Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen wäre richtig, denn das hilft den Mädchen, später tatsächlich frei zu entscheiden, und das ist eigentlich mein Hauptanliegen.
Ist die SPÖ nach wie vor Ihre politische Heimat?
Nein. So wie ich sie momentan wahrnehme, fühle ich mich nicht mehr zugehörig. Man könnte sagen, ich bin eine heimatlose Linke. Ich habe mir sehr oft die Frage gestellt, warum die SPÖ diese brennenden Probleme einfach ignoriert. Manchmal denke ich mir, sie leben wirklich nur in ihrem Elfenbeinturm. Es geht nur noch um Ideologie, nicht mehr um Idealismus. Alle sind auf einer eingefahrenen Linie und die behalten sie einfach bei, obwohl sie in eine falsche Richtung führt. Vielleicht auch, weil die FPÖ schon in die andere Richtung fährt.
Die „Brennpunktschulen“ wurden ja sogar umbenannt.
Ja. Aber es nützt eben nichts, wenn man Brennpunktschulen „Schulen mit besonderen Herausforderungen“ nennt, die Probleme bleiben dieselben. Das ist auch das Hauptproblem: dass die Dinge immer nur umschrieben und nie beim Namen genannt werden.
Werden die Rechten Ihr Buch missbrauchen?
Leider. Ich weiß es. Die Rechten werden sich da draufsetzen und für mich wird es schwierig sein, mich von den Rechten abzugrenzen. Aber ich mache es trotzdem. Weil diese Kinder, um die es hier geht, zu uns gehören, egal, ob sie österreichische Staatsbürger sind oder nicht. Diese Kinder sind ein Teil unserer Gesellschaft, um sie müssen wir uns kümmern. Das unterscheidet mich von der FPÖ.
Wenn die FPÖ zu populistisch ist und die SPÖ das ignoriert, wer soll sich dann um die kümmern?
Ich sehe in Österreich momentan keine Partei. Nur einzelne Personen.
Sind wir gegenüber dem Einfluss des radikalen Islam machtlos?
Wir sind deswegen machtlos, weil der Anteil der muslimischen Schüler immer größer wird und weil wir als Lehrer und Mehrheitsgesellschaft da schlicht in der Minderheit sind.
Wie hoch ist er an Ihrer Schule?
Rund 60 Prozent Muslime, der Rest Roma-Kinder und Kinder aus sozial schwachen Familien. Das schreibe ich auch in meinem Buch. Wenn die Durchmischung vorhanden wäre, dann wären diese Probleme auch leichter zu bewältigen.
Also sind die muslimischen Kinder in der Übermacht?
Ich mag das Wort nicht. Sagen wir: Sie sind einfach zu viele.
Thilo Sarrazin hat eine Woche vor Ihnen ein ähnliches Buch veröffentlicht.
Ich muss sagen, dass ich mit Thilo Sarrazin ein Problem habe, weil er Muslime von oben herab betrachtet, feindlich und elitär. Das ist nicht mein Zugang.
Rechnen Sie eigentlich mit Sanktionen?
Ich bin auf alles gefasst und ich muss auch ehrlich sagen, ich wäre sehr naiv und blauäugig, wenn ich jetzt denken würde, sie würden das so stehen lassen. Ich war jahrelang in der Personalvertretung. Ich weiß schon, dass ich in ihren Augen, in ihrem Denkmuster eine Verräterin bin.
Haben Sie auch Angst vor dienstrechtlichen Konsequenzen?
Ich glaube, das wird nicht passieren, weil wir in Österreich etwas haben, das Meinungsfreiheit heißt. Dazu erziehe ich auch meine Schüler und dann dürfte ich sie selber nicht in Anspruch nehmen? Das wäre doch absurd. Noch dazu werde ich an diesem Buch nichts verdienen. Das stand für mich von Anfang an fest. Es wird eine Spende des Verlags für ein Integrationsprojekt geben.
Warum soll man Ihr Buch lesen?
Damit unsere Mehrheitsgesellschaft aufwacht und sich der Werte unseres demokratischen Rechtsstaates bewusst wird. Denn viele Muslime haben ihren eigenen Wertekompass.
Kann Integration noch gelingen?
In gewisser Weise wird es nur mit mehr Druck gehen. Druck auf die Eltern, Kontrolle der Vereine und Moscheen. Das heißt ja gar nicht, dass man ihnen ihre Religion abspricht. Da haben wir noch viel vor uns. Aber das ist nicht meine Aufgabe, ich will nur, dass man endlich darüber redet.
Drei Jahrzehnte Erfahrung
Susanne Wiesinger ist seit 30 Jahren im Schuldienst. Erst als Klassen- und Förderlehrerin an einer Wiener Volksschule, derzeit an einer Neuen Mittelschule in Wien-Favoriten. Neun Jahre war sie Personalvertreterin der sozialdemokratischen Lehrergewerkschaft in Österreichs größtem Schulbezirk. Ihr Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ erscheint im Verlag Edition Quo Vadis Veritas und kostet 24,90 Euro.
Ein ausführliches Interview mit Susanne Wiesinger sehen Sie am Sonntag um 19.20 Uhr auf ServusTV.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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