Die türkis-blaue Bundesregierung hat ihre Sozialversicherungsreform fertig. Noch am Freitag wird das Gesetz in Begutachtung gehen, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (beide FPÖ) sowie ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger am Vormittag mitteilten. Die Eckpunkte entsprechen großteils dem Regierungsbeschluss vom Mai: Die 21 Träger werden auf fünf reduziert, der Hauptverband zu einem Dachverband und die Zahl der Funktionäre geschrumpft. Die Arbeitgeber bekommen mehr Gewicht, neu ist die Rotation bei den Kassenchefs. Insgesamt soll bis 2023 eine Milliarde Euro eingespart werden.
Laut dem Gesetzesentwurf sollen die neun Gebietskrankenkassen (sowie weitere Betriebskrankenkassen) zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengefasst werden. Den dort Versicherten soll das gleiche Leistungen für gleiche Beiträge bringen. Es soll nur noch eine Stelle für die Beitragseinhebung mit Budget- und Personalhoheit geben, die ÖGK schließt einen österreichweiten Gesamtvertrag für die Ärztehonorare ab. Bis 2021 sollen die Leistungen harmonisiert werden. „Bis Ende Oktober wird das Gesetz dem Nationalrat vorgelegt, damit es pünktlich zum 1. Jänner 2019 in Kraft treten kann“, so ÖVP-Klubobmann Wöginger.
Bauern und Unternehmer kommen in der neuen Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) zusammen, dritter Sozialversicherungsträger wird die Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst, Eisenbahn und Bergbau (BVAEB). Die Pensionsversicherungsanstalt (PV) bleibt bestehen, ebenso die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die punkto Unfälle aber nicht mehr für die Unternehmer zuständig sein wird.
Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte am Freitag vor allem die massive Reduktion der Kassenfunktionäre als Positivum: „Das wurde von Vorgängerregierungen deswegen nicht gemacht, weil es da sowohl von roter als auch natürlich von schwarzer Seite Interessen gab.“
Hauptverband wird de facto aufgelöst
Statt den mehr als 2000 Funktionären sollen es künftig nur noch rund 480 sein. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger wird de facto aufgelöst und zu einem Dachverband umgebaut, der nur mehr koordinierende Aufgaben für die Sozialversicherungen übernehmen soll. Den Vorsitz dort üben in der neuen Struktur laut den türkis-blauen Plänen die Obmänner bzw. Obfrauen der auf fünf reduzierten Sozialversicherungsträger aus, und zwar in jährlicher Rotation. Hauptverbandschef Alexander Biach ist damit also seinen Job los.
Kritik auch aus den eigenen Reihen
Kritik an den ambitionierten Reformplänen gab es im Vorfeld nicht zu wenig. Der Wiener Wirtschaftskammerchef Walter Ruck sagte am Donnerstag, besonders die Auflösung des Dachverbandes sowie das Rotationsprinzip in der Führungsebene seien für ihn „nicht nachvollziehbar“: „Was soll das? Das würde kein Unternehmer machen, die Führung nach so kurzer Zeit auszuwechseln. Es erschließt sich mir die wirtschaftliche Vernunft im Rotationsprinzip nicht“, sagte Ruck.
„Die größte Enteignung in der Geschichte Österreichs“
Der Tiroler Arbeiterkammer-Chef Erwin Zangerl (ÖVP) ortet in der Strukturreform der Sozialversicherungen einen „Anschlag auf die Bundesländer“. Die Pläne seien „völlig unausgegoren und unrealistisch“. Zudem würden die Arbeitnehmervertretungen und die Versicherten durch die Reform geschwächt werden. Der oberösterreichische Arbeiterkammer-Präsident Johann Kalliauer und der Obmann der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, Albert Maringer, sehen in der geplanten Strukturreform der Sozialversicherungen „die größte Enteignung in der Geschichte Österreichs“. Die wahren Eigentümer - 8,7 Millionen Versicherte - „sollen damit ausgeschaltet werden“, so die Befürchtung.
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