Tassilo Wallentin sprach mit der neuen SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner über direkte Demokratie, arabische und afrikanische Wanderbewegungen nach Europa, neuen Antisemitismus und Vermögenssteuern.
Tassilo Wallentin: Wir hatten kürzlich drei Volksbegehren, die in Summe mehr als drei Millionen Unterschriften erzielten. Bislang hat man immer gesagt, direkte Demokratie würde in Österreich nicht funktionieren. Die drei Volksbegehren beweisen das Gegenteil. Die Bürger wollen mitbestimmen. Sind Sie für die Einführung der direkten Demokratie?
Pamela Rendi-Wagner: Ich glaube auch, dass die große Anzahl der Unterschriften der drei Volksbegehren zeigt, dass die Menschen bereit und an Politik interessiert sind und teilhaben wollen. Man sollte aber die direkte und die repräsentative Demokratie nicht gegeneinander ausspielen. Es braucht beides. Zum Beispiel das Nichtraucher-Volksbegehren: Da geht es um die Gesundheit der Kinder, der Jugendlichen, der Angestellten in der Gastronomie. Sie werden weltweit keinen Arzt und keinen Experten finden, der sich nicht für ein Rauchverbot aussprechen würde. Aus Umfragen wissen wir, dass auch mehr als zwei Drittel der Bevölkerung für das Rauchverbot sind, und fast 900.000 Bürger haben das Volksbegehren unterschrieben. Das ist ein Thema, von dem ich sage, wenn wir ein klares Zeichen aus der Bevölkerung haben, dann muss diese Stimme gehört werden. Dazu soll es eine verbindliche Volksabstimmung geben. Hier sollte das parteipolitische Hickhack beiseitegeschoben werden. Wenn die Regierung keine Entscheidung trifft, dann müssen die Menschen entscheiden.
Um das direkt-demokratische Recht der Österreicher auf Volksabstimmungen einzuführen, braucht es eine Gesetzesänderung. Wären Sie für so eine Gesetzesänderung?
Davon bin ich noch nicht ganz überzeugt.
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer sagte: „Die Migration ist die Mutter aller Probleme.“ Wir haben seit 2015 gewaltige Wanderbewegungen von arabischen und afrikanischen Ländern in die EU. Es gibt eine US-amerikanische Studie, wonach bis zu zwei Drittel der Afrikaner nach Europa oder in die USA wollen - ein großer Teil von ihnen in den nächsten fünf Jahren. Was ist Ihre Position - Mittelmeer-Route offenhalten oder schließen?
Das Jahr 2015 war ein einprägsames. Österreich hat Enormes geleistet und viele Menschen aufgenommen. Wir haben dann aber festgestellt, dass wir an ein Kapazitätslimit kommen. Es ist heute klarer denn je, dass es hier eine gesamteuropäische Lösung braucht. Ein Jahr wie 2015 darf sich nicht wiederholen. Dazu braucht es alle europäischen Mitgliedsstaaten, dazu braucht es eine gemeinsame Lösung, die noch immer ausständig ist.
Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft hätte sich wirklich gut geeignet, einen Lösungsvorschlag mit Brüssel zu erarbeiten. Das ist der Regierung nicht gelungen. Und weil Sie Afrika erwähnt haben: Es ist für uns wichtig, dass wir ganz klar gegen illegale Migration auftreten, dass wir für einen Schutz der EU-Außengrenzen auftreten, aber dass man auch die Fluchtursachen bekämpft. Denn man muss sich ja fragen, warum diese vielen Menschen nach Österreich kommen wollen. Die machen sich ja nicht zum Spaß auf den Weg, sondern weil sie Gründe dafür haben, und diese Gründe müssen wir bekämpfen. Wir müssen Entwicklungshilfe leisten, damit die Menschen in Afrika oder dem Nahen Osten keinen Grund mehr haben, sich auf den Weg zu uns zu machen. Aber unsere Regierung macht das Gegenteil. Sie hat die Entwicklungshilfe in den letzten Monaten gekürzt.
Sie haben mit Ihrem Mann in Israel gelebt. Laut einer Jugendstudie der Stadt Wien spielt bei 47% der Jungmuslime Antisemitismus eine sehr große Rolle. Jeder Dritte stellt die Religion über unsere Gesetze. 27% der Befragten sympathisieren mit dem heiligen Krieg. Eine Schuldirektorin hat das Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ geschrieben und wird im ORF zitiert, dass die Kinder zwar unseren westlichen Lebensstil genießen und dazugehören wollen, „es aber eine Kraft gibt, die sie zurückhält, die stärker ist als alles andere: ihr muslimischer Glaube. Er kontrolliert und lenkt sie…Die Religion hat unsere Schule im Griff“. Wie sehen Sie das?
Antisemitismus ist inakzeptabel, abzulehnen und zu bekämpfen, egal, woher er stammt. Antisemitismus muss schon an den Wurzeln bekämpft werden und nicht erst wenn er in seiner vollen Ausprägung vorhanden ist. Ein Mittel, das zu tun, ist Aufklärung. Weil Sie meine Zeit in Israel angesprochen haben: Österreich hat aus seiner Geschichte heraus eine besondere Verantwortung wahrzunehmen. Das gilt natürlich auch für Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen und mitunter andere Lebenseinstellungen oder politische Einstellungen mitbringen. Integration wird aber nicht gelingen, wenn die Regierung Sozialarbeiter und Lehrer abbaut. Gerade die Schule ist für Jugendliche ein wichtiger Ort der Integration. Die Regierung hat Kürzungen und Streichungen im Bereich der Schule und Lehrer vorgenommen. Es braucht aber mehr Lehrer, mehr Sozialarbeiter, um die Integration zu einem gelungenen Projekt zu machen.
Ex-Finanzminister Schelling hat ausgerechnet, dass die Erbschaftssteuer mehr kostet, als sie einbringt. Von den Vermögenssteuern weiß man, dass Superreiche innerhalb von 15 Minuten ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen können und für den Staat nicht mehr greifbar sind. Damit eine Vermögenssteuer etwas bringt, müsste sie den Mittelstand belasten, der bricht aber immer mehr weg. Was ist Ihr Konzept?
Grundsätzlich geht es um ein gerechtes Steuersystem. Wir haben aktuell einen wirtschaftlichen Aufschwung, und ich stelle mir schon die Frage, wer am Ende davon profitiert. Aktuell tut die Regierung wenig für die Mittelschicht in unserem Land. Mir ist wichtig, dass wir vor dem Hintergrund des Wirtschaftsaufschwunges das Augenmerk auf Entlastung der Arbeitnehmer legen, weil wir wissen, dass hier eine überproportionale Belastung da ist, was die Einkommen auf Arbeit betrifft. Dem Arbeitnehmer soll also netto mehr vom Lohn übrig bleiben. Aber es ist kein Geheimnis, dass sich die SPÖ immer für Vermögenssteuern ausgesprochen hat.
Abschlussfrage: Was unterscheidet Sie von Christian Kern? Warum soll man Sie wählen?
Ich bin Quereinsteigerin und durch meine Tätigkeit als Ärztin geprägt. Ich kann keine Diagnose stellen, ohne den Menschen vorher zugehört zu haben, was ihre Beschwerden sind. Nach der Diagnose kommt dann die Therapie. So werde ich auch meine Politik anlegen.
Kronen Zeitung
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