Knapp zwei Wochen vor der EU-Wahl fügt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seinen bisherigen Reformvorschlägen für die Europäische Union eine weitere Komponente hinzu. Heftige Kritik am „Regelungswahnsinn“ und der „Bevormundung“ durch Brüssel, die Kurz mit der Forderung würzt: „Statt ständig mehr Geld zu verlangen sollte die EU aufhören, den Menschen immer mehr vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.“ Während die Opposition Kurz umgehend „eigenes Versagen“ vorwarf, legte der Kanzler am Sonntagnachmittag nach und bekräftigte, dass EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber den geforderten Bürokratieabbau „auch schaffen wird“.
Konkret verlangt der Kanzler in einer der APA übermittelten Stellungnahme die Streichung von 1.000 nicht näher definierten EU-Verordnungen beziehungsweise die Rückgabe der Kompetenzen dieser Verordnungen an die Mitgliedsstaaten.
„Kein Mensch braucht Vorgaben zur Schnitzel-Zubereitung“
„Die Menschen verlangen von der EU Antworten in großen Fragen wie der Sicherheit, Außengrenzschutz oder Klimawandel“, argumentiert der Kanzler. „Aber kein Mensch braucht EU-Vorgaben, etwa für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes.“
Das Freiheitsprojekt Europa werde immer mehr zum „engen Bürokratiekorsett“ für die Bürger, beklagt Kurz. Bisher sei noch keine Initiative gestartet worden, den „Regelungswahnsinn“ zu stoppen und kritisch zu hinterfragen: „Wenn wir die Menschen wieder mehr für Europa begeistern wollen, müssen wir die Bevormundung aus Brüssel stoppen.“
Leichtfried: „Kurz trägt alle EU-Entscheidungen mit“
Wenn Kurz „über EU-Bevormundung klagt, ist das sein eigenes Versagen“, kritisierte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried und warf ihm Tatenlosigkeit vor: Kurz - seit insgesamt sechs Jahren Regierungsmitglied - trage als Kanzler „alle EU-Entscheidungen im Kreis der EU-Staatschefs mit“.
Den ehemaligen EU-Abgeordneten Leichtfried erinnern die Aussagen Kurz‘ an den Stil von Koalitionspartner FPÖ: „Die ÖVP und die Freiheitlichen sind nicht mehr unterscheidbar“, schlägt er in eine ähnliche Kerbe wie sein Parteigenosse Andreas Schieder.
Meinl-Reisinger: „Schlüsselworte im Lager der Rechtspopulisten“
„Kurz übernimmt im Kampf um Wählerstimmen nun endgültig die europa-feindliche Line der FPÖ“, äußerte sich NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, die aus ihrer Babypause zurückkehrt. Die beiden von Kurz verwendeten Begriffe „Bevormundung durch Brüssel“ und „Regelungswahnsinn“ seien „Schlüsselwörter im Lager der Nationalisten und Rechtspopulisten“.
Verwundert zeigte sich Meinl-Reisinger in einer Aussendung am Sonntag, dass Kurz die „Bürokraten in Brüssel“ angreift, zumal die Europäische Volkspartei (EVP/EPP), der die ÖVP angehört, seit Jahrzehnten „die Strukturen“ dominiert und die ÖVP bisher stets den österreichischen EU-Kommissar stellte.
Vilimsky: „Kurz sagt das, was ich seit Jahren sage“
Der freiheitliche EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky zeigte sich unterdessen in der ORF-„Pressestunde“ durch die jüngsten Aussagen von ÖVP-Chef Kurz bestätigt. „Das, was jetzt gesagt wird, entspricht dem, was ich seit Jahren sage. Das freut mich.“
Für Europarechtsexperte Walter Obwexer ist die von Kurz genannte Zahl von 1.000 EU-Verordnungen ein „sehr ambitioniertes Ziel, das kaum zu erreichen“ sein wird. Er erinnerte daran, dass die EU ohnedies nach dem Prinzip der Subsidiarität - also nur das regelt, was die EU-Staaten nicht besser regeln können - handle. Der Experte der Universität Innsbruck warnt im „Ö1-Mittagsjournal“ am Beispiel der „Schnitzel-Pommes“-Verordnung vor negativen Auswirkungen auf den Binnenmarkt.
Kurz: „Weber schafft das“
Kurz selbst meldete sich am Sonntag ebenfalls in der von ihm angestoßenen Debatte zu Wort: Er habe volles Vertrauen in EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber, „der angekündigt hat, als neuer EU-Kommissionspräsident 1000 Verordnungen und Richtlinien abzuschaffen“, teilte der Kanzler durch einen Sprecher mit.
„Ich bekräftige, dass Manfred Weber dies auch schaffen wird. Es braucht vor allem den politischen Willen dazu und dieser ist bei ihm vorhanden. Dabei handelt sich es um gelebte Subsidiarität und eine Stärkung der EU, wenn Bürokratie abgebaut wird“, stellte der Bundeskanzler fest. Auch in Österreich habe es sich die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung zum Ziel gesetzt, Bürokratie abzubauen. Sie habe dazu bereits einige Initiativen gesetzt, so Kurz. „Wie im Bereich Gold Plating. Diesen Weg werden wir in Österreich wie in der Europäischen Union konsequent fortsetzen.“
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