Mit ihrem Misstrauensvotum hat sie Sebastian Kurz und seine gesamte Übergangsregierung gestürzt. Mit Conny Bischofberger spricht SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner (48) über das zweitschlechteste Wahlergebnis, verloren gegangenes Vertrauen und die Flucht nach vorne.
An die Fenster des Pavillons am Ring, einem der Ausweichquartiere des Parlaments, klopft der Regen. Die SPÖ-Chefin sitzt am weißen Besprechungstisch ihres Klub-Büros, hinter ihr an der Wand ein Kunstwerk, das den Titel „Toyo Puzzle“ trägt. „Für mich ist es eine weibliche Figur mit einem Fotoapparat in der Hand“, sagt Rendi-Wagner, „es begleitet mich schon seit meiner Zeit im Gesundheitsministerium.“ Die Frage, ob sie sich eine Übergangskanzlerin wünschen würde, lässt sie im Gespräch offen - „aus Vertraulichkeitsgründen dem Bundespräsidenten gegenüber“, wie sie betont.
Krone: Frau Dr. Rendi-Wagner, Sebastian Kurz sagt im „Krone“-Interview, dass die letzten Tage für ihn eine „Hochschaubahn der Gefühle“ gewesen seien. Für Sie auch?
Pamela Rendi-Wagner: Das war - und ist noch immer - eine sehr schwierige, herausfordernde Zeit, die wir seit Freitag vor zwei Wochen erleben, als um 18 Uhr das Ibiza-Video online ging. Sie hat uns vor Entscheidungen gestellt, von denen wir vorher gedacht haben, dass wir sie nie werden treffen müssen.
Sie haben am Abend der Europa-Wahl, nach einem eindeutigen Sieg der ÖVP, erklärt, dass Sie einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Übergangsregierung von Sebastian Kurz einbringen. Wäre es nicht ein Moment gewesen, in dem Sie über die Ursachen Ihres schlechtesten Wahlergebnisses beraten hätten sollen?
Ich glaube, man muss diese zwei Ereignisse, Europawahl auf der einen Seite und Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz und die Bundesregierung, voneinander getrennt betrachten. Wir haben am Sonntagabend lange beraten. Es war eine Entscheidung, die ich sehr ernst genommen habe, die abgewogen werden musste, vor der ich viele Gespräche geführt habe. Weil am Montag die Sondersitzung im Parlament war, wollten wir die Öffentlichkeit so rasch wie möglich informieren.
Armin Wolf hat Sie in der „ZiB“ gefragt, warum Sie nicht an Rücktritt denken. Wie haben Sie die Frage empfunden?
Ich habe zu keinem Zeitpunkt daran gedacht. Wir haben auch zu keinem Zeitpunkt darüber diskutiert.
Es wurde viel über dieses finstere Setting diskutiert. Wem ist es eingefallen, sich so zu inszenieren?
Das war nicht inszeniert. Es ist aus der Situation so entstanden. Diese letzten zehn Tage waren politisch und menschlich höchst herausfordernd. Gerade in einer so schwierigen Phase finde ich es wichtig, auf die Inhalte zu schauen: Was haben wir als zweitstärkste Partei des Landes zu sagen? Nicht ob ein Hintergrund gut oder schlecht ausgeleuchtet ist, ob es hell oder dunkel ist.
Also empfanden Sie es gar nicht als unpassend?
Nein. Weil es politisch gesehen nicht wichtig ist.
Dann sprechen wir über die Inhalte. Dass Sie als SPÖ-Vorsitzende den erfolgreichen ÖVP-Chef stürzen wollen, leuchtet ja noch ein. Aber warum mussten ALLE, auch seine gesamte Übergangsregierung, gehen?
Wir haben diese Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Wir sind ja als Abgeordnete des Parlaments den Menschen verpflichtet, nicht den Eigeninteressen einer einzelnen Person. Es wäre an Sebastian Kurz gelegen, in den letzten zehn Tagen Vertrauen zu stiften, eine Mehrheit für seinen Vorschlag dieser Übergangsregierung zu suchen. Das Land braucht in dieser Situation Stabilität, und Stabilität braucht Verantwortung und Vertrauen. Beides haben wir von Sebastian Kurz in den letzten zehn Tagen nicht gesehen.
Und was kann beispielsweise ein Eckart Ratz dafür, der als neuer Innenminister ein Gesetz außer Kraft gesetzt hat, das Sie immer am schärfsten kritisiert haben? Wieso misstrauen Sie zum Beispiel ihm?
Was den Rest der Bundesregierung betrifft, so war klar, dass alle diese Minister türkise Aufpasser und Kabinettschefs vor die Nase gesetzt bekommen haben. Das heißt, sie wären nicht unabhängig und frei in ihrem politischen Handeln gewesen. Außerdem bin ich der Auffassung, wenn ein neuer Kanzler oder eine neue Kanzlerin bestellt wird, dann hat dieser neue Kanzler, die neue Kanzlerin das Recht, sich ihre Regierung selbst zusammenzustellen.
Sebastian Kurz hat gemeint, Sie hätten sich für die Namen sowieso nicht interessiert.
Fakt ist, dass das Staatsamt in dieser schwierigen Regierungskrise verlangt hätte, die Interessen des Gemeinwohls und der Allgemeinheit über die Einzelinteressen zu stellen. Kurz hat vor keiner seiner Entscheidungen seriöse Gespräche geführt. Er hielt es offenbar nicht für notwendig, um Unterstützung zu werben. Stattdessen hat er im Nachhinein Scheingespräche und Scheintelefonate geführt.
Stimmt es, dass Sie die Namen gar nicht wissen wollten?
Nein. Richtig ist, dass er mit mir über die Liste der neuen möglichen Minister zu einem Zeitpunkt gesprochen hat, wo er diese Namen zum Teil schon an die Medien weitergegeben hatte.
War Kurz hochnäsig?
Ich würde sagen, da war schon ein gewisser Hochmut im Spiel.
Jetzt ist es Ihrer SPÖ gemeinsam mit FPÖ und der Liste JETZT gelungen, den Kanzler und sein Team abzuwählen. War es wirklich sinnvoll, das Land in so einer heiklen Phase, wo auf europäischer Ebene so viele wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen, in so eine Situation zu bringen?
Diese Frage würde ich gerne Sebastian Kurz stellen. Er hat aus meiner Sicht und aus der Sicht vieler die Hauptverantwortung für diese Regierungskrise, weil er 2017 die Koalition mit dieser FPÖ eingegangen ist, trotz aller Warnungen. Und: Trotz Kenntnis des Ibiza-Videos wissen wir, dass er bereit gewesen wäre, die Koalition mit der FPÖ weiterzuführen, wenn er das Innenministerium für die ÖVP bekommen hätte. Er konnte sich in der FPÖ damit nicht durchsetzen und das war dann schließlich der Grund für das Auseinanderbrechen der Koalition.
Kurz hat Kickl entlassen. Sie haben gegen Kickl sieben Misstrauensanträge gestellt. Was war daran also so falsch?
Falsch war, dass Sebastian Kurz sich nach dem Scheitern seiner Regierung nicht um eine stabile Mehrheit im Parlament gekümmert hat.
War es auch ein Fehler vom Bundespräsidenten, die Abstimmung mit den anderen Parteien nicht klarer einzufordern?
Vielleicht hat er es getan, da müsste man den Bundespräsidenten fragen. Aus meiner Sicht setzt er diese Woche jedenfalls ganz wichtige und richtige Signale, indem er gleich nach dem Misstrauensvotum gegen Sebastian Kurz alle Parteiobleute zu ersten Gesprächen geladen hat, und diese Gespräche fast täglich fortsetzt. Das ist ein guter Austausch auf Augenhöhe, der hier stattfindet, der ist sehr vertrauensbildend. Und eigentlich macht der Bundespräsident diese Woche das, was Sebastian Kurz letzte Woche schon machen hätte können, und wir hätten uns dieses Misstrauensvotum ersparen können.
Wird Ihre Forderung nach einer reinen Expertenregierung jetzt durchgehen?
Ich denke, dass diese Forderung der Sozialdemokratie jetzt über Umwege zustande kommen wird, und gehe davon aus, dass wir Ende dieser Woche oder Anfang nächster Woche eine solche Regierung haben werden.
Mit einer Frau an der Spitze?
Es liegen derzeit einige Namen auf dem Tisch, die der Bundespräsident überlegt, und die er auch mit uns diskutiert hat. Darüber möchte ich aber aufgrund der Vertraulichkeit nicht sprechen.
Frau Dr. Rendi-Wagner, war es nicht so, dass Sie einfach die Flucht nach vorne angetreten haben? Motto: Stürzen wir die Regierung, damit der Wahlkampf beginnen kann?
Nein. Unser Maßstab für diese Entscheidung war Vertrauen und dieses Vertrauen hat Sebastian Kurz eben von uns nicht mehr gehabt, weil er auch keine vertrauensbildenden Maßnahmen gesetzt hat. Darüber hinaus war es Sebastian Kurz, der zum zweiten Mal in zwei Jahren vorzeitige Neuwahlen ausgerufen hat.
Ihr Landeshauptmann Doskozil meinte, dass die Gründe Parteiinterna seien, man könne nicht mehr zurück. Haben Sie ein ernstes Wort mit ihm geredet?
(Lacht) Ich habe letzte Woche so viele Gespräche geführt wie in kaum einer Woche zuvor. Gerade eine Krise ist eine Zeit des Dialoges, da müssen alle mit allen reden. Und natürlich habe ich auch mit Hans Peter Doskozil viele Gespräche geführt. Was er kommuniziert hat, war ein Stimmungsbild. Aber wie gesagt: Der Maßstab für die Entscheidung von uns Abgeordneten im Parlament war das Misstrauen gegenüber der ÖVP-Alleinregierung.
Könnte es sein, dass Ihnen dieses Misstrauen letztendlich schadet?
Ich glaube, das werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Es liegen jetzt drei Monate Wahlkampf vor uns, es wird eine herausfordernde Wahlauseinandersetzung, ich glaube, daran bestehen keine Zweifel. Da muss man kein Politikprofi sein, um das beurteilen zu können. Aber Prognosen überlasse ich anderen.
Sie kennen ja die Macht der Bilder: Auch jenes von Drozda und Kickl, die sich noch während der Sitzung im Parlament nach hinten verziehen und die Köpfe zusammenstecken. Wird da gepackelt, damit Rot-Blau an die Macht kommt?
Das ist absurd. Fakt ist, dass es bis vor zwei Wochen eine türkis-blaue Regierung gegeben hat. Gelebter Parlamentarismus besteht darin, dass die Abgeordneten über die Parteigrenzen hinweg einen intensiven Dialog führen. Das ist nicht nur jetzt der Fall, sondern das war immer so. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich führe derzeit und auch in den letzten Tagen intensive Gespräche mit allen Parlamentsfraktionen.
Können Sie Rot-Blau nach den letzten Wahlen ausschließen?
Ich habe immer gesagt, dass mir die letzten 17 Monate gezeigt haben, dass wir mit dieser FPÖ nicht bereit sind, in eine Regierung zu gehen. Im Übrigen haben wir einen Kriterienkatalog, den wir für solche Entscheidungen bereithalten, und das gilt nicht nur für die Zusammenarbeit mit der FPÖ, sondern auch für alle anderen Parteien im Parlament.
Möchten Sie Bundeskanzlerin werden?
Ja.
Warum haben Sie das noch nie gesagt?
Ich bin es nie so direkt gefragt worden.
Der Tiroler SPÖ-Chef nannte das Ergebnis der EU-Wahl für die Sozialdemokraten „ein Scheiß-Ergebnis“. Verstehen Sie, warum Heinz-Christian Strache 42.000 Vorzugsstimmen bekommen hat und die SPÖ sogar verloren hat?
Obwohl wir 200.000 Stimmen mehr bekommen haben als bei der letzten EU-Wahl 2014 können wir mit dem Wahlergebnis natürlich nicht zufrieden sein. Fakt ist aber, dass Sebastian Kurz diese von ihm verursachte Regierungskrise dazu genützt hat, in den letzten Tagen aus einem EU-Wahlkampf einen Sebastian-Kurz-Wahlkampf zu machen. Dadurch ist es ihm gelungen, auch Nichtwähler zu mobilisieren. Ich denke, bei der FPÖ wird es ähnlich gewesen sein. Das war quasi ein Überlebenswahlkampf, der in der letzten Woche stattgefunden hat.
Ärgert es Sie, dass die Parlamentssitzung nicht noch vor der Wahl stattgefunden hat?
Gut, dass Sie das ansprechen. Unser klarer Wunsch war, dass das so rasch wie möglich stattfindet. Es war dann Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der diesem Wunsch nicht entsprochen hat - was übrigens unüblich ist, dass man dem Wunsch der Antragssteller einfach nicht entspricht. Wäre ich Nationalratspräsidentin gewesen, hätte ich dem Wunsch entsprochen.
Hat diese Krise Ihre Partei eigentlich zusammengeschweißt?
Eine Zeit wie die letzten zwei Wochen hat es in der Geschichte der Zweiten Republik noch nicht gegeben. So was führt in den Parteien zu vielen Fragen und Diskussionen. Wir hatten gute, emotionale, aber auch konstruktive Gespräche. In diese Wahlauseinandersetzung kann die Sozialdemokratie nur geschlossen gehen. Ich stehe für diese Solidarität und habe diese Geschlossenheit in den letzten Tagen vermehrt gespürt. Wir haben uns alle auf den Wahlkampfkurs eingeschworen.
Hand aufs Herz: Haben Sie sich den Vorsitz leichter vorgestellt?
Ich glaube, niemand hätte sich vorstellen können, was in den letzten zehn Tagen passiert ist. In diesem Job muss man sehr viel Flexibilität mitbringen, man muss sich auf Situationen einlassen, wie sie kommen. Politik ist wie das Leben, nicht berechenbar. Ich mache es wirklich jeden Tag mit sehr viel Freude und mit all meinem Engagement.
Sehnen Sie sich nie in Ihr früheres Leben zurück?
Das ist nicht meine Art. Ich bin jemand, der immer nach vorne schaut und weitergeht, egal wie schwer es gerade ist.
Während wir hier gesessen sind, fand im Wiener Stephansdom das Requiem für Niki Lauda statt. Was wird von ihm bleiben?
Aus der Ferne betrachtet, weil ich nie die Möglichkeit hatte, ihn kennenzulernen, vielleicht dieser Spruch: „Jemand, der nicht will, findet Gründe. Jemand, der will, findet Wege.“ Ich denke, das passt sehr gut zu Niki Lauda. Er hat einen unglaublichen Willen gehabt.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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