Er ist Österreichs bekanntester Soziologe und geht wöchentlich auf „Krone“-Streifzüge durch unsere Bundesländer. Roland Girtler, emeritierter Professor der Uni Wien, erklärt im großen Interview zum Aufsteirern die Faszination Tracht und geht der Frage auf den Grund, was Andreas Gabalier mit Conchita verbindet.
„Krone“: Herr Professor, was macht die Tracht für den Sozialwissenschaftler aus?
Roland Girtler: Wenn ich mir die Geschichte ansehe, dann ist bemerkenswert, dass es sich eigentlich nicht um etwas Bäuerliches handelt, sondern um etwas Nobles. Wenn sich der Kaiser mit den Jägern traf, trug er zwar ähnliche Kleidung wie sie, hatte aber immer einen speziellen Jagdrock, der sich deutlich abhob. In Bayern waren es die Wittelsbacher, die entscheidend zur Verbreitung der Tracht beigetragen haben. Die Bauern in den armen Gegenden, rund ums Alpl etwa, und die Arbeiter sowieso, die besaßen für die Festtage nur einen dunklen Anzug. Es waren die reichen Bauern und die Bürgerlichen, die sich ein aufwendiges Festtagsgewand leisten konnten.
Was ist denn das Spezielle an der steirischen Tracht?
Das Aristokratische sieht man hier daran, dass man sich an Erzherzog Johann orientiert hat und das bis heute tut. Wenn Sie nach Altaussee fahren, dann sehen Sie übrigens viel eher die Wiener in Tracht, nicht die Ausseer. Die Tracht ist etwas Außeralltägliches, es hat etwas mit Freude zu tun, mit Abwechslung, aber auch mit dem Wunsch, sich vom Umfeld abzuheben. Man zieht sich fein an, es wird musiziert, es gibt Kulinarik, wie etwa beim Aufsteirern in Graz. Man macht sich einen Spaß, man zeigt, dass man ein Steirer und eine Steirerin ist. Und man freut sich auch, wenn Fremde eine Lederhose oder ein Dirndl anhaben.
Die Städter scheinen große Sehnsucht nach dem Land zu haben. Ist das eine historische Konstante?
Wir haben ja nicht eine Identität, sondern mehrere. Und der Wechsel zwischen diesen Identitäten, das ist das Spannende. Im Mittelalter gab es noch eine strikte Kleiderordnung, da war genau geregelt, was wer anziehen durfte. Heute ist das erfreulicherweise anders. Tracht kann daher über alle Schichten hinweg Freude bereiten, die Erotik eines Dirndls spielt da sicher auch eine gewisse Rolle.
Sie sind nicht weit von der steirischen Landesgrenze, in Spital am Pyhrn, aufgewachsen. Was unterscheidet denn den Steirer vom Oberösterreicher?
Schauen Sie, die Steiermark ging ja noch im 13. Jahrhundert weit hinauf bis Enns und Garsten. Für mich ist das ein Kulturraum. Wenn Sie einen Altausseer reden hören und einen Goiserer, dann hören Sie nicht viel Unterschied, oder? Aber gerade mit der Tracht kann man sich dann doch unterscheiden. Man trägt da einen etwas anderen Hut als dort. Der Mensch ist nach Ernst Cassirer ja ein „animal symbolicum“.
Die Steiermark verbindet Traditionelles mit Neuem und Ungewohntem, ausgedrückt auch in durchaus konträren Künstlern wie Andreas Gabalier und Conchita. Wie sehen Sie das?
Conchita Wurst und Gabalier gleichen sich eigentlich, sie verwenden beide Rituale und Tricks. Sie stellen sich als etwas Besonderes dar und haben ihre Symbole. Beim Gabalier das karierte Tücherl und das Krickerl, bei Conchita halt andere Elemente. Mir hat einmal ein alter Jude gesagt: „Um etwas zu werden, brauchen Sie Sein, Schein und Schwein!“ Das Sein: Man muss etwas können. Schein: Man braucht einen guten Schmäh. Das drückt sich bei Gabalier und Conchita unter anderem auch in der Kleidung aus. Und Schwein: Man braucht viel Glück, damit man erfolgreich wird. Beide haben zweifellos hart gearbeitet, aber sie haben auch das Schwein gehabt, dass jemand an sie geglaubt und sie gefördert hat. Beide haben ihre Freunde und ihre Feinde, auch das pflegt man. Schwierig für Conchita Wurst ist es derzeit, sich von ihrer Rolle zu lösen. Ob es reicht, sich die Haare schneiden zu lassen? Jedenfalls leben wir in einer Gesellschaft, in der glücklicherweise beide Lebensentwürfe möglich sind.
Abschließend: Verraten Sie uns doch bitte noch Ihr Lieblingsplatzerl in der Steiermark!
Da gibt es natürlich mehrere. Ich bin ja immer viel mit dem Radl gefahren, da gefallen mir die Gegend um den Pötschenpass und das Ausseerland besonders. Ich bin übrigens einige Zeit in der Steiermark in Wirtshäusern aufgetreten mit den Straßner Paschern. Sie haben Gstanzln gesungen und dazu gepascht, und ich hab Geschichten erzählt über Wilderer und so. Die haben Tracht getragen, und ich konnte anhaben, was ich wollte. Das war nett.
Interview: Wolfgang Kühnelt
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