Ihre Teilnahme beim Fackelzug anlässlich der Befreiung Wiens von den Türken 1683, organisiert von den Identitären, schlägt hohe politische Wellen. Im Interview mit Conny Bischofberger spricht Ursula Stenzel (73) über Geschichtsbewusstsein und Rechtsextremismus, Rückhalt und Rücktrittsforderungen und ihren Wandel von der bürgerlichen Quereinsteigerin zur überzeugten FPÖ-Hardlinerin.
Der Rollkoffer ist schon gepackt und steht im Vorzimmer. Nach unserem Interview geht es gleich in die Steiermark zum FPÖ-Parteitag. Ursula Stenzel hat den Couchtisch mit antikem Blümchen-Porzellan von Rosenthal gedeckt. Es gibt Häppchen von Topfengolatschen und Kaffee. „Ich muss sagen: Nespresso, what else?“ lacht sie und erzählt, wie enttäuschend das Ergebnis alternativer Kapseln ausgefallen sei. Links und rechts neben ihr auf der hellen Ledercouch stehen Fotos des verstorbenen Ehemanns, dem Burgschauspieler Heinrich Schweiger („Ein großer Verlust für mich und das deutschsprachige Theater.“), im Nebensalon eine Büste ihres Urgroßvaters, dem Rabbiner Leopold Stern („Ferner könnte ich dem Rechtsextremismus mit meiner jüdischen Herkunft nicht sein.“).
„Krone“: Frau Stenzel, Sie haben mit Ihrer Rede beim Gedenken an das Ende der Türkenbelagerung 1683 für große Empörung gesorgt. Keiner glaubt Ihnen, dass Sie nicht gewusst haben, wer das veranstaltet hat, wo doch Rechtsextreme weltweit dieses Datum für ihre Zwecke nutzen …
Ursula Stenzel: Dieser Gedenktag ist von einer „Plattform 1683“ organisiert worden und es war nicht ersichtlich für mich, dass dahinter die Identitäre Bewegung steckt. Ich konnte aber natürlich nicht ausschließen, dass auch Identitäre mitgegangen sind.
Sie haben es also in Kauf genommen?
Nein, es war mir wirklich nicht bewusst!
Müssen Sie sich dann nicht den Vorwurf gefallen lassen, zumindest sehr blauäugig gewesen zu sein?
Ich habe grüne Augen, bin also nicht blauäugig! - Lacht. - Nein, im Ernst: Ich war weder leichtgläubig noch sonst was. Ich wollte dieses Tages gedenken, wie ich das die letzten Jahre immer gemacht habe, nur im Vorjahr nicht. Da habe ich mir gedacht, heuer gehe ich wieder mit. So einfach war die Chose.
Bereuen Sie Ihren Auftritt?
Nein, aber ich hätte natürlich rückblickend gesehen an keiner Veranstaltung irgendeiner extremen Gruppierung teilgenommen. Ich lasse mich jedenfalls von niemandem instrumentalisieren, schon gar nicht von Rechtsextremen. Ich lehne Rechtsextremismus aus tiefstem Herzen ab, nicht nur aufgrund meiner Herkunft - meine Mutter war Jüdin und mein Vater ein in Krakau geborener Altösterreicher. Was ich allerdings auch ablehne, sind Dialogverweigerung und Vorurteile gegenüber Menschen, die sich für etwas einsetzen. Bei diesem kleinen Fackelzug waren viele junge Menschen dabei, die jetzt verteufelt werden, nur weil sie Geschichtsbewusstsein und österreichische Kultur pflegen. Schließlich ist das ein wichtiger Gedenktag. Ich erinnere mich noch, wie wir das in der Volksschule gelernt haben. 1529: Erste Türkenbelagerung. 1683: Zweite Türkenbelagerung. Die berühmte Schlacht am Kahlenberg, ein historisches, identitätsstiftendes Ereignis. Es ist interessanterweise auch der Traditionstag des Militärkommandos Wien und es ist natürlich auch ein Traditionstag der polnischen Landstreitkräfte.
Hat es Sie nicht gerissen, als sich Martin Sellner für Ihre Teilnahme bedankt hat?
Da reißt es mich natürlich, das ist klar. Trotzdem habe ich selten so eine Solidaritätswelle erlebt wie in den letzten Tagen, nicht nur im Netz. Auch in Mails und anderen Zuschriften, vor allem aber sprechen mich sehr viele Menschen auf der Straße an. „Bitte knicken Sie nicht ein! Bitte lassen Sie sich nicht verbiegen.“ Das ist doch alles nur ein Versuch, mich in ein rechtsextremes Eck zu stellen. Aber diese Ansicht teilen die einfachen Bürger nicht. Das bestärkt mich, meine Haltung zu bewahren.
FPÖ-Parteichef Norbert Hofer schrieb entschuldigend: „Ursula Stenzel ist eine 74-jährige Dame und surft nicht jeden Tag im Internet.“ Da kennt er Sie aber nicht sehr gut, oder?
74 bin ich noch nicht, aber bald. Und natürlich surfe ich, ist ja ganz klar. Die sozialen Medien nutzt heutzutage doch jeder Politiker. Bei mir ist es hauptsächlich Facebook, aber ich habe auch einen Twitter-Account. Dort lese ich aber nur, ich schreibe nichts.
Wie muss man sich die Aussprache mit Hofer vorstellen?
Es gab keine Aussprache. Wir haben immer ein wunderbares Gesprächsklima gehabt. Ich habe ihn ja auch immer unterstützt, auch in seinem Bundespräsidentschaftswahlkampf.
Wo er Ihnen vorgezogen wurde …
Das war kein Problem. Ich bin froh, dass die Entscheidung so gefallen ist und hätte Hofer auch sehr gerne als Bundespräsident gesehen.
Es gab keine Aussprache, wo ein Rücktritt im Raum stand?
Nein, mein Gesprächspartner in dieser Angelegenheit war Dominik Nepp. Den Rücktritt haben die andern Parteien gefordert, der war bei uns nie Thema.
Bürgermeister Ludwig meinte, Sie sollten auf Ihr Stadtrats-Amt verzichten.
Ach Gott … Ich sehe das als Pflichtübung eines sozialdemokratischen Politikers, dessen Partei mitten im Wahlkampf steckt.
Es gab schon einmal eine Rücktrittsforderung. Als Sie Armin Wolf Verhörmethoden wie beim Volksgerichtshof vorwarfen. Tut Ihnen das heute leid?
Nein, das tut mir auch nicht leid.
Aber der Volksgerichtshof war das Zentrum der nationalsozialistischen Terrorjustiz.
Okay, der Vergleich war überspitzt.
Nun wird über ein Verbot der Identitären diskutiert. Wären Sie dafür?
Ehrlich gestanden glaube ich nicht, dass es so einfach wäre, das Vereinsgesetz zu ändern. Da würden dann viele andere Vereine auch nicht mehr möglich sein, von Milli Görüs bis hin zu ATIB. Ich persönlich bin eigentlich nicht dafür, dass man in einer Demokratie Meinungsfreiheit, Gesinnungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Religionsfreiheit einschränkt. Das ist ein Eingriff in demokratische Grundrechte, wie sie auch von der europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehen sind.
Viele sagen: Jetzt kann Sebastian Kurz nicht mehr mit den Blauen koalieren. Haben Sie mit Ihrem Auftritt eine türkis-blaue Koalition in noch weitere Ferne gerückt?
Koalitionen werden nach einem Wahlergebnis entschieden und nicht nach irgendwelchen Teilnahmen an irgendwelchen Gedenktagen. Das ist Wunschdenken des politischen Konkurrenten. Natürlich wollen die Sozialdemokraten, aber auch Teile der ÖVP, diese Koalition verhindern! Logisch begründbar ist das nicht.
Wie realistisch halten Sie persönlich eine Neuauflage?
Ich halte sie für sehr realistisch, wenn wir entsprechend gestärkt werden. Ich bin kein Prophet, aber der Wähler entscheidet letztlich, was dem Land guttut. Wer die illegale Migration einbremsen, den militanten Scharia-Islam nicht über unser Recht gestellt wissen und ein stärkeres Islamgesetz will, der wird FPÖ wählen. Wir haben ja vieles auf den Weg gebracht - Anhebung der Mindestpension, Reform der Sozialversicherungen -, das Herr Kurz mutwillig aufgelöst hat. Denn nach dem Rücktritt von Strache hätte es absolut keines Endes der Regierungszusammenarbeit bedurft. Wir hätten uns alle diese Neuwahlen auch ersparen können.
Sie nennen Migration und Islam an erster Stelle. Glauben Sie nicht, dass mittlerweile der Klimaschutz an erster steht?
Ich will die Klimakrise nicht kleinreden, aber sie kommt vielen zupass, die von anderen Themen ablenken wollen.
Ihr Parteichef tritt ja mit Herbert Kickl im Doppelpack auf. Kurz sagt aber, dass es mit Kickl nicht mehr gehen wird.
Da kann ich nur lachen.
Warum?
Weil wir mit Kickl einen großen Wahlmagneten haben. Er war der beste Innenminister, den Österreich je hatte! Und weil wir abwarten sollten, wie stark Kurz überhaupt wird und was man nach der Wahl dann tatsächlich ausverhandelt.
Ginge es auch ohne Kickl?
Wir werden uns sicher Kickl nicht rausschließen lassen, das wäre zu billig. Ich nehme an, dass er der österreichischen Innenpolitik an prominentester Stelle, sicher aber an einer sehr wichtigen Stelle erhalten bleiben wird.
Ibiza hat Ihre Partei bis in die Grundfesten erschüttert. Haben Sie mit Strache eigentlich noch Kontakt?
Ja, ich habe mit ihm Kontakt. Ich hoffe, es wird bald aufgeklärt, wer hinter diesem Ibiza-Video steckt, dessen Ziel es war, erstens eine erfolgreiche Regierung für unser Land zu sprengen, weil sie eine Mitte-rechts-Regierung war, und zweitens die FPÖ nicht nur zu spalten, sondern zu atomisieren. Beides ist nicht gelungen und wird nicht gelingen. Dass dieser Anwalt, der in aller Munde ist, bis jetzt Mitglied der Anwaltskammer ist und nicht suspendiert wurde oder selbst um Suspendierung gebeten hat, bis seine Rolle aufgeklärt ist, finde ich eigentlich einen Skandal.
Straches Aussagen finden Sie nicht skandalös?
Was hat er verbrochen? Nichts! Er ist in eine ihm gestellte Falle getappt. Ich habe, knapp nachdem das Video veröffentlich wurde, bei einem Empfang der Industriellenvereinigung jemanden getroffen, der mir gesagt hat, dass er auch einen SPÖ-Politiker in angeheitertem Zustand schon solche Dinge sagen gehört hat. Der einzige Unterschied besteht darin, dass er es nicht mitaufgezeichnet hat.
Was war eigentlich der Moment, wo aus der bürgerlichen Ursula Stenzel die rechte Hardlinerin wurde?
Ich bin bis heute bürgerlich geblieben und ich finde, dass „rechts“ überhaupt nichts Negatives ist in einer Demokratie. Ich habe auch viele Bürgerliche mitgenommen zur Freiheitlichen Partei!
Aber was war der Moment?
Das kann ich Ihnen sagen. Der Moment war im Jahr 2015, dieser Migrationsschub, den wir erlitten haben. Das war eine gezielte Aktion, eine - und ich sage es mit Nachdruck - eine Invasion ohne Waffen. Ein Akt, der unsere Gesellschaftsordnung erschüttert hat, für die wir in Österreich seit gut 70 Jahren gearbeitet haben.
„Invasion ohne Waffen“ klingt wie Kriegspropaganda. Da waren doch auch viele Menschen dabei, die Schutz vor Verfolgung gesucht haben?
Ja, und solchen Menschen haben wir auch immer Schutz gewährt. Die Zulassung einer derartigen Massenbewegung bewirkt jedoch, dass man die individuelle Asylüberprüfung aus den Angeln hebt. Häupl - ich wünsche ihm alles Gute zum 70er! - hat gehofft, dass alle durchgewunken werden in die Bundesrepublik Deutschland. Aber das war ein Angriff, eine Ausnützung des Begriffs Flüchtling, ein großer Fehler. Wirtschaftsmigration ist nicht Flucht, diese Unterscheidung sind wir unserem Land schuldig, die sind auch Deutschland und Frankreich und Großbritannien ihren Ländern schuldig. Das ist die Kraftprobe, der sich die EU heute ausgesetzt sieht.
Viele fragen sich, wie Sie mit ihrer jüdischen Herkunft für eine Partei arbeiten können, die immer wieder mit antisemitischen Vorfällen in die Schlagzeilen gerät. Wie können Sie es?
Es ist nur ein dummes Argument. Die Freiheitliche Partei ist eine demokratisch legitimierte Partei, die im Verfassungsbogen Österreichs steht und die sich auch so verhält. Bleiben wir doch gelassen. Dass man eine Partei, die der Arbeiterbewegung und auch dem bürgerlichen Lager Konkurrenz macht, diffamieren und kleinhalten will, ist doch logisch, nicht wahr? Ich bedaure das zutiefst.
Auch Sie selbst werden in den sozialen Netzwerken oft persönlich diffamiert. Wie gehen Sie damit um?
Ehrlich gestanden begleitet mich die unterste Schublade schon mein ganzes politisches Leben. Man entwickelt eine gewisse Härte gegenüber unsachlichen Angriffen. Ich kann hundert Mal Orangensaft trinken, man schreibt ja doch, dass es Alkohol war. Jetzt habe ich aber einen geklagt, der mich „Schnapsdrossel“ genannt hat, und den Prozess gewonnen. Der muss jetzt 3000 Euro zahlen.
Kann Sie überhaupt noch was erschüttern?
Schwer. Dafür habe ich eine zu dicke Haut.
Wo kommt die her?
Von den Erlebnissen meiner Eltern im Dritten Reich, meiner Schwester in der DDR, die der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen ist. Das alles hat hohe Maßstäbe für mein Leben gesetzt. Da regt mich ein Geplänkel, auch wenn es noch so unfair sein mag, nicht mehr auf.
Eine wechselvolle Karriere
Geboren am 22.9.1945 in Wien. Nach der katholischen Privatschule St. Ursula studiert Stenzel Publizistik und Geschichte. 1996 holt Wolfgang Schüssel die ORF-Journalistin und Moderatorin der „Zeit im Bild“ in die Politik, sie wird Delegationsleiterin der ÖVP im Europäischen Parlament. 2005 bis 2014 ist Stenzel ÖVP-Bezirksvorsteherin des ersten Wiener Gemeindebezirks. 2015 wechselt sie zur FPÖ, sie ist nicht amtsführende Wiener Stadträtin. 2016 war sie als FPÖ-Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl im Gespräch.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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