Koalition gesucht

Wann bekennen Sie Farbe, Herr Kurz?

Österreich
13.10.2019 06:00

Kommt Türkis-Grün? Ist die FPÖ wirklich schon aus dem Rennen? Mit Conny Bischofberger spricht ÖVP-Chef Sebastian Kurz über Atmosphärisches und Inhaltliches. In die Karten lässt er sich dabei aber nicht schauen.

In der ÖVP-Zentrale vis-à-vis dem Wiener Rathaus absolviert Sebastian Kurz nach der ersten Runde der Sondierungsverhandlungen einen Interview-Marathon. Das „Krone“-Gespräch findet im Chefbüro der türkisen Bewegung statt. Ein Riesen-Poster vom Wahlkampfauftakt in der Wiener Stadthalle 2017 dominiert den Raum. Jubelnde Menge, der Sieger mittendrin. Aus den vorgesehenen 30 Minuten werden dann doch 45, plus ein Interview für krone.tv. Sebastian Kurz wirkt - egal ob er grad eine Wahl gewonnen hat, gestürzt wurde oder vom Bundespräsidenten mit dem Regierungsbildungsauftrag betraut wurde - wie immer: ruhig, freundlich, keine Emotion.

„Krone“: Ist es nicht verrückt? Sie starten die Sondierungsgespräche, um nach fünf Monaten wieder eine neue Regierung zu bilden, und alle reden über die FPÖ …
Sebastian Kurz: Ehrlich gesagt habe ich gar nicht so viel mitbekommen, was in den Zeitungen geschrieben wird. Ich war damit beschäftigt, unzählige Gespräche zu führen und alles zu versuchen, damit wir in Österreich bald wieder eine stabile und handlungsfähige Bundesregierung haben. Mein Fokus lag nicht auf der FPÖ.

Ist es nicht erbärmlich, wie die FPÖ jetzt mit Frau Strache umgeht?
Vom menschlichen Standpunkt finde ich es schade, dass Personen, die nicht nur sehr eng zusammengearbeitet haben, sondern persönlich auch befreundet waren, jetzt in dieser zerrütteten Art und Weise miteinander umgehen. Was die Vorwürfe betrifft, die da im Raum stehen, braucht es natürlich Aufklärung, aber das ist eine andere Geschichte.

Würden Sie Frau Strache raten, das Nationalratsmandat als wilde Abgeordnete anzunehmen?
Ich mische mich da nicht ein.

(Bild: Peter Tomschi)

Nach Ibiza und der Spesenaffäre ist nun Herbert Kickl die neue Nummer 1 in der FPÖ. Wäre die freiheitliche Partei wirklich noch immer ein potentieller Koalitionspartner, wenn Sie sich nicht selber aus dem Rennen genommen hätte?
Die freiheitliche Partei hat mir klar gesagt, dass sie das Ergebnis nicht als Regierungsauftrag sieht, dass ihre Zukunft in der Opposition sein wird. Das muss ich zur Kenntnis nehmen. Genauso wie ich zur Kenntnis nehme, dass es drei andere Parteien gibt, die sehr wohl in einer Regierung mitarbeiten wollen. Jetzt gilt es auszuloten, mit wem am ehesten eine stabile und auch handlungsfähige Koalition gebildet werden kann. Das wird meine Aufgabe in den nächsten Wochen und Monaten sein.

Aber wann bekennen Sie Farbe? Oder wird man von Ihnen nie hören: „Mit der FPÖ geht es nicht mehr“?
Die FPÖ hat ohnehin selbst gesagt, dass sie auf Oppositionskurs geht. Ich bleibe bei dem, was ich immer gesagt habe, nämlich dass ich keine demokratisch gewählte Partei ausschließe. Und ich habe mir vor der Wahl zwei Dinge gewünscht: erstens, dass es keine Mehrheit gegen uns gibt und zweitens möglichst viele Optionen. Insofern bin ich über jede Partei, die regieren möchte, froh. Auch über die FPÖ.

(Bild: Peter Tomschi)

Sebastian Kurz schenkt stilles Mineralwasser ein, beide Hände ruhen auf dem Tisch. Während der Fragen hält er aufmerksam Blickkontakt, seine Antworten unterstreicht er mit ausholenden Gesten. In die Karten schauen lässt er sich dabei nicht. Ob die Tür zur FPÖ schon ganz zugeschlagen oder nur angelehnt ist, bleibt unklar.

Die Sondierungsgespräche gehen nächsten Mittwoch weiter. Sie haben angekündigt, aufs Tempo zu schauen und trotzdem die Qualität der Gespräche hochzuhalten. Ist das nicht ein Widerspruch?
Leider ja. Ich bin ein eher ungeduldiger Mensch, jemand, der vielleicht sogar geneigt ist, zu stark aufs Tempo zu drücken. Ich habe aber durchaus auch Verständnis, dass es in anderen Parteien gewisse Notwendigkeiten gibt, sich aufzustellen, sich vorzubereiten und insofern werden wir da schon einen guten Weg des Miteinanders finden.

Haben wir bis Weihnachten eine neue Regierung? Diese Frage haben wir unseren Userinnen und Usern auf krone.at gestellt. 76 Prozent sagten: Nein! Was sagen Sie?
Naja, nachdem die krone.at-User oft recht haben, tue ich mir schwer, da entschlossen zu widersprechen. - Lacht. - Einige haben sogar gesagt: „Oh Gott, das wird bis Ostern dauern!“ Aber das hoffe ich ja doch nicht. Einige Monate werden wir aber schon brauchen.

(Bild: Peter Tomschi)

„Mitte rechts“ war Ihr Motto für eine neue Regierung. Kippen Sie, wie die FPÖ im Wahlkampf gewarnt hat, mit den andern Parteien nach links?
Ich lasse mich weder rücken noch kippen. Ich werde mich auch nicht großartig bewegen, ich gehe ganz aufrecht. Ich habe meine Positionen und werde diese auch nicht ändern. Was in einer Demokratie aber immer notwendig ist: Man muss Kompromisse eingehen. Das war in der Koalition mit der FPÖ für beide Seiten notwendig und das wird in jeder weiteren Koalition, ganz gleich, wie sie aussieht, auch für beide Seiten notwendig sein.

Werner Kogler hat im Krone-Interview gesagt, diese Regierung sei so weit rechts gestanden, dass sie mit den Grünen wieder in die Mitte rücken würde. Können Sie das unterschreiben?
Das nehme ich für mich in Anspruch: Die Volkspartei wieder in die Mitte der Gesellschaft geführt zu haben. Bis jetzt hatten Werner Kogler und ich ja auch noch gar nicht die Gelegenheit, inhaltliche Vorstellungen im Detail auszuloten. Klar ist, dass einige Parteien bei dieser Wahl zulegen konnten und daher auch gewisse Konzepte gewählt worden sind. Es gab ein sehr positives Ergebnis für die Grünen und es gab ein sehr positives Ergebnis für uns als Volkspartei.

Genügen fünf Mandate Überhang für eine stabile Regierung? Oder ist die Dirndl-Koalition - Türkis-Grün-Pink - doch noch eine Option?
Jede Konstellation, die eine Mehrheit im Parlament hat, ist potentiell eine stabile Regierung, auch mit nur fünf Mandaten mehr. Worauf ich gespannt bin: Welche Player abseits der Partei-Obleute bei den weiteren Sondierungsgesprächen dabei sein werden. Denn so relevant es ist, wer der Chef in einer Partei ist, so relevant wird es auch sein, wer die anderen handelnden Akteure sind.

(Bild: Peter Tomschi)

Sind Ihre Player klar?
Meine Player sind immer die gleichen. Es ist mein engstes Team, dem ich hundertprozentig vertraue.

Wie sehr hören Sie bei der Bildung einer neuen Regierung eigentlich auf die Bundesländer?
Ich höre jedem zu, mit dem ich spreche. Innerhalb der ÖVP und auch außerhalb. Ich bin generell jemand, der lieber zuhört als selber redet. Aber wenn Sie auf unterschiedliche Zugänge in den Ländern anspielen wollen, muss ich Ihnen sagen: Die gibt es eigentlich nicht. Wir hatten eine Parteivorstandssitzung, wo wir uns alle extrem über das Wahlergebnis gefreut haben, wo wir uns aber auch alle einig waren, dass das Wahlergebnis eine große Verantwortung für unser Land ist. Mein oberstes Ziel wird immer sein, Österreich bestmöglich zu dienen. Die Landeshauptleute sehe ich dabei als Partner.

Diesen Sonntag sind Wahlen in Vorarlberg, am 24. November in der Steiermark. Wird das Ihre Verhandlungen beeinflussen?
Keine Wahl ist Rücken- oder Gegenwind für irgendeine Koalition. Als Volkspartei haben wir außerdem schon mit vielen verschiedenen Parteien in den unterschiedlichen Bundesländern zusammengearbeitet. Wir sind in einer Koalition mit der Sozialdemokratie in Kärnten, in einer Koalition mit den Freiheitlich in Oberösterreich und in einer Koalition mit den Grünen in Vorarlberg. Insofern können wir da definitiv auf viel Erfahrung zurückgreifen.

Wie erklären Sie sich, dass der Wahlkampf im westlichsten Bundesland ganz ohne Untergriffe ablief, einfach nur sachlich-konstruktiv?
Ja, leider Gottes ist der Diskurs in bundespolitischen Auseinandersetzungen immer negativer geworden. Ich habe mich bewusst für einen anderen Stil entschieden, mit diesem Stil haben wir zwei Wahlen gewonnen. Ich hoffe also, dass diejenigen, die noch immer auf Untergriffe, persönliche Angriffe und Dirty Campaigning setzen, irgendwann aufwachen und merken, dass das beim Wähler nicht ankommt. Die Wählerinnen und Wähler können einen großen Beitrag zu einer besseren politischen Kultur leisten, indem sie Politiker, die ständig nur andere schlecht machen, schlicht und ergreifend abstrafen.

Pamela Rendi-Wagner hat Ihnen im Wahlkampf eine Doppelbödigkeit vorgeworfen, sie hätten „zwei Gesichter“. War das ein Thema beim Gespräch am Dienstag?
Das Gespräch war vertraulich. Ich habe aber generell bei allen den Umgang im Wahlkampf angesprochen, weil es auch wichtig ist, dem Vis-a-Vis einmal ehrlich die Meinung dazu zu sagen. Wir haben aber für diesen Rückblick nicht viel Zeit aufgewendet, sondern vor allem Zeit für den Blick in die Zukunft investiert.

(Bild: Peter Tomschi)

Dass die SPÖ, gemeinsam mit FPÖ und der Liste JETZT, Sie samt Regierung abgewählt haben, können Sie das einfach so wegstecken?
Man muss es wegstecken und ich habe es auch gut weggesteckt. Es war natürlich nichts, was ich mir gewünscht habe, aber es war das demokratische Recht der Mehrheit im Parlament, so eine Entscheidung zu treffen. Umso mehr freue ich mich jetzt, dass die Bevölkerung uns zurückgewählt hat. Es ist wunderschön und ich bin sehr dankbar, das erleben zu dürfen.

Gar keine „Bad feelings“?
Sagen wir so: Die drei Parteien, die diese Abwahl beschlossen haben, sind vom Wähler nicht gerade gestärkt geworden. Peter Pilz ist sogar aus dem Parlament geflogen. Aber es geht nicht um „Bad feelings“ oder Genugtuung. Es geht um das Vertrauen von so vielen Menschen. Da habe ich jeden Morgen beim Munterwerden das Gefühl, dass ich mich sehr anstrengen muss, um diesem Vertrauen auch gerecht zu werden.

Es war aber offensichtlich, dass die Chemie mit Kogler eine andere war als mit Rendi-Wagner. Mögen Sie ihn? (Die Frage entlockt Sebastian Kurz sogar ein Lächeln. Ohne zu zögern antwortet er:)
Ja! Ich finde, er hat einen guten Schmäh. Inhaltlich gibt es natürlich in vielen Fragen einen ganz unterschiedlichen Zugang, aber man kann auch mit Personen, die inhaltlich einen ganz anderen Zugang haben, auf einer menschlichen Ebene eine Basis finden.

(Bild: Peter Tomschi)

Können Gespräche an dieser menschlichen Ebene letztlich auch scheitern?
Aus der Erfahrung der letzten Regierung kann ich nur sagen, wenn man ordentlich miteinander umgeht und eine gute Gesprächsbasis hat, dann erleichtert das die Zusammenarbeit ungemein. So etwas kann aber auch entstehen mit der Zeit. Ich werde jetzt viel Zeit investieren, um die politisch Verantwortlichen aller anderen Parteien noch besser kennenzulernen, um mir ein bestmögliches Bild zu machen. Dafür dient eine Sondierungsphase und vor allem auch, um die Inhalte auszuloten. Denn am Ende des Tages geht es in der Politik nicht um Sympathien oder Antipathien, sondern darum, ob man es schafft, etwas Positives für Österreich zu bewegen.

Sind diese Sondierungen für Sie auch „Tiefenbohrungen“? Erkundungen der jeweils anderen Welt? Oder ist Ihnen das zu philosophisch?
Zu philosophisch kann es gar nicht sein. Sondierungen sind für mich die Chance, dass sich die Nebel lichten. Ich habe in einem Interview vor der Wahl gesagt, dass ich nicht weiß, ob es unbedingt am Wahlabend schon totale Klarheit gibt und ich habe da leider Gottes recht behalten. Vieles an Prozessen, grad in anderen Parteien, findet gerade erst statt. Neue Teams formen sich und finden zusammen, Parteichefs werden in Frage gestellt, es finden in manchen Parteien Diskussionen über inhaltliche Ausrichtungen statt. Das sind alles Prozesse, die nicht unerheblich sind. Manche Parteien sind vielleicht in ein paar Wochen überhaupt nicht mehr das, was sie vor einigen Monaten waren und insofern ist die Chance, aber auch die Schwierigkeit, in so einer Sondierungsphase genau das alles mitzuverfolgen, zu verinnerlichen und vielleicht auch zu antizipieren.

2020 sind Wahlen in Wien. Spekulieren Sie eher mit einem Bürgermeister gegen die SPÖ oder mit einem Vize der SPÖ?
Gernot Blümel wird Spitzenkandidat der Volkspartei sein, er hat jetzt schon ein großartiges Ergebnis mit den meisten Vorzugsstimmen in Wien bei dieser Nationalratswahl zustande gebracht. Ich bin überzeugt, dass er der Stadt Wien mit seinem politischen Zugang sehr gut tun würde. Das Ziel ist natürlich immer, als Volkspartei die Führung zu übernehmen. Aber er ist der Spitzenkandidat, deshalb soll er das beantworten.

(Bild: Peter Tomschi)

Sie hatten im Sommer eine Speiseröhrenentzündung. Sind Sie eigentlich jemand, der daran glaubt, dass einem die Krankheit etwas sagen möchte?
Ja, aber das war in meinem Fall sehr einfach. Es war der Lebensstil. Viel Arbeit, verbunden mit wenig Schlaf, und dann „on top“ noch eine schlechte Ernährung. Das wurde irgendwann zu viel. Ich bin heute wieder gesund und fit und bereit, mein Bestes zu geben.

Vertrauen Sie eher der Schulmedizin oder der Homöopathie?
Für mich gibt es da kein Entweder-Oder. Ich bin von der qualitativ hochwertigen Schulmedizin in Österreich überzeugt, glaube aber, dass da und dort ganzheitliche Ansätze eine perfekte Ergänzung sein können.

Nach dem Gespräch und dem kurzen TV-Interview (siehe Video oben) begleitet der Kurzzeit- und wohl Bald-wieder-Kanzler das „Krone“-Team über die Stiegen hinunter zum Empfang. Er betont noch einmal, wie neugierig er auf die Teams sei, mit denen SPÖ, Grüne und NEOS ab kommender Woche die Sondierungsgespräche mit ihm fortsetzen. Es werde spannend, sagt er, „und sicher nicht leicht“.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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