Bei der Österreichischen Nationalbank werden die Karten neu gemischt. Mit der „Krone“ spricht Gouverneur Robert Holzmann (70) über politische Usancen, die Rolle der FPÖ, einen holprigen Start und sein privates Klimarefugium im steirischen Rucksackdorf Hirschegg.
Ein Holzhaus auf 900 Metern Seehöhe mit Garten und Garage für sechs Mountainbikes sowie einem Nebengebäude mit Tischtennis-Anlage. „Unsere steirische Huabn“, erklärt Robert Holzmann, was eigentlich Nebenerwerbs-Landwirtschaft bedeutet. Seit achteinhalb Jahren ist es das maßgeschneiderte Wochenend-Domizil des Nationalbank-Gouverneurs. Bei unserem Termin trägt der Banker Sporthose, Wollpullover und ein kariertes Hemd und wirft stolz seinen grünen Traktor, Modell Steyr 16, an. „Kleine Kinder haben kleine Spielzeuge, große Kinder haben große Spielzeuge“, lacht Frau Holzmann. Chantal stammt aus Grenoble, deshalb wird zu Hause nur französisch gesprochen und zur Jause gibt es neben Kürbiskernaufstrich, Speck und Käse auch Wildpastete aus Frankreich und Quiche Lorraine.
Zum Interview, das in Holzmanns Schreibbüro im ersten Stock stattfindet, begleitet uns auch Kater „Max“, der immer wieder Streicheleinheiten seines Herrchens einfordert. „Hier schreibe ich auch meine Bücher“, erzählt der Banker und zeigt auf den Apple-Computer, 27 Zoll. Die letzten beiden sind erst vor sechs Wochen erschienen und von Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds vorgestellt worden. Ein Buch, das Holzmann gemeinsam mit Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz geschrieben hat, wurde sogar ins Chinesische übersetzt.
„Krone“: Der Nationalbank-Gouverneur auf dem Traktor, das sieht man selten. Ihre Frau meinte, große Kinder brauchen große Spielzeuge. Sind Sie ein großes Kind?
(Lacht.) Jein. Mir macht es schon Spaß, auf die Almen hinauszufahren. Angeschafft habe ich ihn, weil mein Nachbar in seinem Leben nie einen Traktor gehabt hat. Jetzt haben wir beide etwas davon und ich weiß nicht, wer die größere Freude hat, er oder ich.
Wie landet ein Weltbürger wie Sie in so einem kleinen Dorf?
Als ich und meine Frau aus den USA zurückgekommen sind, haben wir uns gefragt, wo wir den Hauptwohnsitz errichten sollen. Wien, Graz oder Hirschegg. Einer der Gründe, warum die Wahl auf Hirschegg gefallen ist, war, dass ich die Klimaanlagen, die in Amerika und Asien gang und gäbe sind, satthatte. Ich war aber auch schon früh überzeugt, dass es in der Welt sehr heiß werden wird. Und so gesehen ist Hirschegg für mich auch ein privates Klimarefugium.
Was lieben Sie am meisten hier oben?
Dass es eine nebelfreie Zone ist. Man sieht die Schwaden über Kärnten und der Steiermark, aber zu uns herauf kommt nur der Schnee und die Sonne. Man schaut hier ein bisschen auf die Außenwelt hinab.
Und auf die Bankenwelt … Nächste Woche wird der Generalrat der Nationalbank eine neue Geschäftsordnung bestätigen. Sie sind dann nicht mehr für die Personalabteilung zuständig - müssen Sie Macht abgeben?
Ganz im Gegenteil. Die neue Geschäftsordnung hat ein klares Ziel: Zuständigkeiten sollen gebündelt und in eine Hand gelegt werden. Wir wollen weg vom Gießkannenprinzip, bei dem jeder ein bisschen für alles verantwortlich ist. Es muss auf den ersten Blick klar sein, wer ist wofür zuständig.
Wie geht es Ihnen heute mit den offenbar falschen Personalentscheidungen, die Sie zum Amtsantritt getroffen haben? Alle wurden rückgängig gemacht.
Mit der Distanz der zehn Wochen würde ich sagen, dass ich wahrscheinlich die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Österreich unterschätzt habe und mir auch die Praktiken innerhalb der OeNB in dieser Weise nicht bewusst waren. Mit dem heutigen Wissen würde ich mehr Gespräche führen, um all die Missverständnisse aufzuklären.
Missverständnisse? Eine Mitarbeiterin wurde mit dem Sicherheitsdienst abgeführt!
Ich glaube, der Terminus „Abführen“ ist einfach falsch. Es ist um Daten gegangen. Es gab keine Abführung, die betroffene Person wurde aus dem Haus begleitet. Das war’s. Wir arbeiten schon seit Wochen wieder professionell und gut zusammen.
Haben Sie da eine erste Schlacht verloren?
„Schlacht“ würde man sagen, wenn man einen Plan hatte. Hier war jedoch kein bestimmter Plan im Spiel.
Sehen Sie es als persönliche Niederlage?
Ich würde sagen nein. Ich würde sagen, es war ein Teil des Reifungsprozesses … (Lacht.) Ich bin ja noch jung genug dafür.
Die Nationalbank ist für eigentlich für jeden Banker der Höhepunkt seiner Karriere. Gilt das auch für Sie, der bereits eine Weltkarriere hinter sich hat?
Ich betrachte das schon als die Kirsche auf meiner Lebenstorte. Die OeNB ist die zentrale währungspolitische Institution in Österreich, eingebunden in das europäische Währungssystem. Man sitzt im europäischen Zentralbankrat und bestimmt so das Schicksal der zweitwichtigsten Währung der Welt mit. Daraus ergibt sich eine Form von Demut, aber auch das intellektuelle Interesse, hier mitarbeiten und sein Wissen und seine Erfahrung einbringen zu dürfen.
Ihr Vertrag läuft auf sechs Jahre. Was wollen Sie erreichen, wenn die Wogen erst einmal geglättet sind?
Ich sehe kaum noch Wogen, ich habe mit meiner Mannschaft ein exzellentes Verhältnis. Was ich bewegen will? Das, was auch die Sparer bewegt: Wann werden wir endlich wieder Zinsen bekommen, die sich auszahlen?
Und wann wird das sein?
Es wird nicht morgen sein und auch nicht übermorgen, aber ich hoffe doch während meiner Amtszeit.
Warum ist die Bankenwelt eigentlich noch immer zu 90 Prozent männlich? Unter den 19 Gouverneurinnen in Europa gibt es keine einzige Frau …
Die OeNB hatte eine Präsidentin Schaumayer, eine Vize-Gouverneurin Tumpel-Gugerell und aktuell mit Frau Dr. Kolm eine Vize-Präsidentin. Aber sonst ist das noch immer ein sehr männlicher Beruf. Es wird einige Zeit dauern, bis die Frauen aufholen. Frau Lagarde strebt aber eine stärkere Einbindung von Frauen an. Und es ist ein Meilenstein in der Geldpolitik, aber auch im globalen Zentralbankengeschäft, dass mit ihr erstmals eine Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank steht.
Wie haben Sie Frau Lagarde erlebt?
Ich bin sehr begeistert von ihr. Es fand ein Treffen mit ihr im Schloss Kronberg im Taunusgebirge statt. Alle Gouverneure saßen um einen kreisrunden Tisch und haben sich einmal ausgetauscht. Frau Lagarde - die selbst weder raucht noch trinkt - hat in einer Hütte im Park französischen Käse und Wein servieren lassen, wir durften sogar Zigarre rauchen. Das Kollegiale war ihr wichtiger, und so konnten wir bei persönlichen Gesprächen erstmals ein wenig in die Tiefe gehen.
Sie waren ja während Ihrer Studienzeit Assistent des damaligen Wirtschaftsprofessors Alexander Van der Bellen. Haben Sie heute noch Kontakt mit ihm?
Ich habe ihn - auch durch meine Position bedingt - bereits zweimal gesehen, beim Antrittsbesuch und nach meiner Wahl. Ich hoffe, ihn in der nächsten Zeit wieder öfters zu treffen.
Derzeit verhandeln ÖVP und Grüne eine mögliche Regierung. Welche Chance geben Sie Türkis-Grün?
Ich verfolge das nur am Rande, bin also kein Insider. Aber was man sieht: Hier wird sehr bemüht verhandelt. Gut möglich, dass es zum Erfolg führt.
Sind Sie auch der Ansicht, dass Türkis-Blau dem Land schaden würde?
Ich glaube, dass alle Kombinationen möglich und grundsätzlich auch wünschenswert sind. Dieser Antagonismus, den es früher gegeben hat, der ist hoffentlich schon weitestgehend abgeschafft.
Also würde eine blaue Regierungsbeteiligung Österreich in der Welt nicht schaden?
Ich sehe das nicht so.
Vorgeschlagen für den Posten des Gouverneurs wurden Sie von der FPÖ. Waren Sie je FPÖ-Mitglied?
Ich war nie FPÖ-Mitglied und plane auch nicht, es zu werden. Auch nicht Mitglied einer anderen Partei. Ich war immer parteiunabhängig.
Sie sind in Leoben aufgewachsen, wie sind Sie politisch sozialisiert worden?
Aus Leoben bin ich relativ rasch weg, ich kam im Alter von sieben Jahren bereits nach Graz. Von mütterlicher Seite bin ich eher aus dem konservativen ÖVP-Lager sozialisiert worden, von meinem Vater - er ist Deutsch-Ungar und so wie ich Protestant - ergab sich eine Nähe zu einem Lager, das in der Umgangssprache als Drittes Lager bezeichnet wird.
Wie ist die FPÖ auf sie gekommen?
Ich habe einmal auf einer FPÖ-Veranstaltung über den Euro referiert. Dadurch haben diese Leute mich gekannt. Ich habe nicht sofort Ja gesagt, als sie angefragt haben, ob ich mir vorstellen könnte, den Job zu übernehmen. Sondern mit meiner Frau gemeinsamü berlegt, was ich aufgebe. Ich war dann von der Möglichkeit der Position doch zu überwältigt, um Nein zu sagen.
Die FPÖ ist auch in die Casino-Affäre verwickelt. Wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt, auch in der Nationalbank die politische Besetzung von Posten zu überdenken?
Mehr Transparenz ist sicherlich eines meiner Ziele in jeder Institution, in der ich gearbeitet habe, auch jetzt bei der OeNB. Ich will sicherstellen, dass bei jeder Besetzung alle Regeln eingehalten werden und dass der Bestmögliche die Position bekommt, unabhängig davon, ob er bei einer Partei ist oder nicht. Er oder sie sollen den Posten bekommen, weil sie gut sind.
Was haben Sie sich eigentlich gedacht, als Sie gehört haben, dass die FPÖ in einer Osttiroler Pension Goldbarren gehortet hat?
Ich habe mir gedacht, das sind Leute, die entweder Risikodiversifikation wirklich ernst nehmen oder sie wissen mehr als ich … Offenbar glauben sie, die Währung sei nicht so sicher, und man müsse deshalb das Vermögen in Gold überführen. (Schmunzelt.)
Ist es noch immer eine gute Geldanlage?
Es ist sicherlich gut, kleinere Mengen von Gold zu haben. Ich kann mich erinnern, dass mir Kollege Novotny (Anm.: sein Vorgänger in der Nationalbank) erzählt hat, dass seine Mutter ihn durch den Krieg gebracht hat, weil sie Goldmünzen besaß. Also kleine Mengen sind gut - ich besitze auch ein paar Philharmoniker als Notgroschen -, größere Mengen fallen aber schon unter Spekulation.
Es gab ja bei der FPÖ immer wieder den Verdacht auf illegale Zahlungen. Müsste der Partei eine lückenlose Aufklärung über die Herkunft dieser Barren nicht sehr am Herzen liegen?
Ich glaube, das wird vergleichsweise leicht sein. Goldbarren kauft man ja nicht mit der Portokassa. Dafür muss es Banküberweisungen geben, die einfach rückzuverfolgen sind.
Sie glauben nicht, dass da Schwarzgeld im Spiel sein könnte?
Das dürfte schwierig sein. Auch Dank der Bemühungen der Finanzmarktaufsicht. Die hat das gut im Griff.
Sie haben 2017 die Dinghofer-Medaille angenommen. War das ein Fehler?
Ich wusste damals nicht, dass er Mitglied der NSDAP war, das habe ich erst später in einem Artikel gelesen. Ich kannte den Namen Dinghofer und habe es geschätzt, dass die Menschen während des Ersten Weltkrieges in Linz, wo er Bürgermeister war, nie Hunger hatten.
Würden Sie es noch einmal annehmen, mit dem heutigen Wissen?
Diese Frage stellt sich jetzt nicht mehr.
Sie werden im Februar 71. Wo sehen Sie sich mit 80?
Ich denke, da werde ich zwischen Europa, Australien und Asien pendeln. Ich hoffe, die geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu haben, bis zum letzten Atemzug zu arbeiten. Im Ledersessel zu sitzen und in den Fernseher hineinzustarren ist nicht meine Vorstellung vom Alter.
Sondern?
Aktiv bleiben! Deshalb betreibe ich viel Sport. Mountainbiking, Skifahren, Schwammerlsuchen. Wenn man auf steirischen Bergen Schwammerl sucht, braucht man kein Work-out mehr, die sind ziemlich steil. Darüber hinaus: „Making the difference!“ Etwas verändern, dabei sein, mitgestalten. Das bereichert und damit sollte man nie aufhören.
Und wenn’s zu Ende geht?
Ich hatte ein wunderbares, sehr ausgefülltes Leben und irgendeinmal geht alles zu Ende.
Kommt dann noch was?
Eher ja. Ich hoffe eher ja. Weil ich mir nicht vorstellen möchte, dass das alles gewesen sein soll. Ich bin gläubig im Sinne einer höheren Existenz. Aber was wirklich kommt, ist reine Spekulation.
Von der Weltbank zur Nationalbank
Geboren am 27. Februar 1949 in Leoben. Studium in Graz, Grenoble und Wien - dort ist Holzmann Assistent des seinerzeitigen Wirtschaftsprofessors Alexander Van der Bellen. 1985 wird er volkswirtschaftlicher Berater bei der OECD in Paris, ab 1988 beim Internationalen Währungsfonds in Washington. Ab 1992 lehrt er an der Universität des Saarlandes, von 1997 bis 2011 ist er unter anderem Direktor und amtierender Vizepräsident bei der Weltbank. Als wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde er im heurigen Jänner vom Generalrat als neuer Gouverneur der Nationalbank (OeNB) nominiert. Seit 45 Jahren verheiratet mit Chantal, das Paar hat zwei Kinder und vier Enkelkinder und lebt in Wien und Hirschegg (Steiermark).
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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