Die neue Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) spricht über ihre Rückkehr vom EU-Parlament an den Ballhausplatz, Außengrenz- und Klimaschutz und ihr Image als „Hardlinerin mit dem bösen Blick“.
Warten auf Karoline Edtstadler: „Die Frau Minister kommt gleich“, teilt uns ihr Pressechef Eberhard Blumenthal mit. Im Vorzimmer zu ihrem Büro ist Türkis die vorherrschende Farbe. Das Bild an der Wand, das Panzerglas der Fenster im Abendlicht, die Leuchtstifte auf dem Schreibtisch, alles türkis. Nur die Post-its sind nach wie vor gelb. Nach einer kurzen Weile öffnet sich die Tür, und die Europaministerin bittet uns ins Büro, in dem schon „Mister Europa“ Alois Mock gesessen ist. Das Salzburgerische klingt beim Interview immer wieder durch und manchmal, wenn sie lächelt, blitzt der Kristall auf ihrem Zahn.
„Krone“: Vor Kurzem sind Sie noch in Straßburg gesessen. Fühlen Sie sich in Wien wieder mehr zu Hause?
Karoline Edtstadler: Ich fühle mich dort wohl, wo ich die Dinge machen kann, die ich gerne mache. In meiner Zeit am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, immerhin fast zwei Jahre, habe ich immer gesagt: „Ich fahre nach Straßburg heim.“ Also ich fühle mich in Wien, in Salzburg, aber auch in Straßburg zu Hause.
Wie glücklich sind Sie, Europaministerin zu sein?
Ich bin sehr stolz, auch demütig, und weiß um die Verantwortung. Über das Vertrauen der Menschen, das ich tagtäglich spüre, freue ich mich, aber auch über das Vertrauen von Sebastian Kurz, mir diese Position zu überantworten.
Ich frage es deshalb, weil für Sie als ehemalige Richterin und Oberstaatsanwältin das Justizressort doch bestimmt viel erstrebenswerter gewesen wäre?
Der berufliche Weg, den ich die letzten Jahre gegangen bin - Europäischer Gerichtshof, Ratspräsidentschaft, meine Zeit im Europaparlament, wo ich diese Institution von innen kennenlernen durfte - hat den Fokus doch deutlich verrückt. Diese Erfahrungen möchte ich in meiner neuen Funktion einbringen.
Keine Sehnsucht zurück in die Justiz?
Wenn Sie mich so ehrlich fragen, nein! - Lacht. - Die Justiz in ihren vielen Facetten hat mich mein Leben lang immer begleitet. Das bleibt auch in meiner neuen Rolle so.
Gibt es einen Ratschlag, den Sie Ihrer Kollegin Alma Zadic gerne geben würden?
Ich habe mit ihr einen sehr guten Kontakt. Aber Ratschläge sind Schläge, sagt meine Mutter immer, insofern würde ich lieber davon Abstand nehmen. Aber das Haus kennenzulernen, die handelnden Personen einzubeziehen, ist sicher etwas, was auf fruchtbaren Boden stößt, weil dort sehr viele engagierte, hochausgebildete Juristinnen und Juristen tätig sind, die dem Chef, der Chefin in dem Fall, ihre Expertise mitgeben wollen. Dieser Zugang trifft aber für jedes Ressort zu.
Wie haben Sie die Hasskampagne gegen die neue Justizministerin erlebt?
Furchtbar. Wie Sie wissen, habe ich seinerzeit die „Taskforce Strafrecht“ geleitet und mich mit voller Kraft auch dem Thema Hass im Netz gewidmet. Wir haben es damals schon mit der jetzigen Klubobfrau der Grünen, Sigi Maurer, erlebt. Hier gibt es einfach keine Hemmschwellen mehr. Hier braucht es sicher mehr Maßnahmen und strengere Strafen.
War es richtig von Sebastian Kurz zu sagen: „Das muss man aushalten“?
Es ist weniger die Frage, ob das richtig oder falsch ist. Der Bundeskanzler hat die Angriffe klar und deutlich verurteilt. Es ist aber ein Faktum, dass man als Politiker und Politikerin - nämlich geschlechtsunabhängig - vieles aushalten muss. Nichtsdestrotrotz sage ich, bei Gewalt gegen Frauen, bei Hass im Netz ist eine Linie überschritten, diesen gesellschaftlichen Diskurs müssen wir führen.
Was würde eine türkise Justizministerin von einer grünen unterscheiden?
Die Rechtsstaatlichkeit steht über allem, sie muss unabhängig von Parteipolitik funktionieren, insofern würde ich hier gar keine großen Unterschiede sehen.
Sie waren bei der EU-Wahl Vorzugsstimmenkaiserin, bekamen mehr Stimmen als Othmar Karas. Worauf haben Sie das zurückgeführt?
Während meiner Zeit als Staatssekretärin hatte ich sehr intensiv den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern gesucht und war viel unterwegs. Ich habe immer versucht, den Menschen Politik auch greifbar und erlebbar zu machen, und das wurde bei der Wahl wohl honoriert. Vor allem hat mich aber Sebastian Kurz extrem unterstützt.
Ist es nicht Verrat an den Wählern? Die haben Sie doch ins Europaparlament gewählt. Warum sind Sie nicht in Brüssel geblieben?
Weil ich immer gesagt habe, wenn es darum geht, Verantwortung für Österreich in Österreich zu übernehmen, dann werde ich das machen. Das ist ein harter Job und dafür muss man brennen, dafür muss man die Leidenschaft haben. Es geht um eine gute Zukunft Österreichs mit einer starken Stimme in der Europäischen Union.
Glauben Sie nicht, dass die 116.000 Vorzugsstimmenwähler enttäuscht sein könnten?
So wird es mir nicht rückgemeldet. Der Grundtenor in allen Anschreiben, die ich bekomme, in den sozialen Medien und auch außerhalb, lautet: „Schön, dass du wieder da bist!“
Verrat an den Wählern? So wird es mir jedenfalls nicht zurückgemeldet. Der Grundtenor lautet vielmehr: „Schön, dass du wieder da bist!“
Europaministerin Karoline Edtstadler
Vermittelt es nicht auch Respektlosigkeit vor dem Europäischen Parlament, wenn man dort nur auf einen Abstecher hingeht?
Ganz im Gegenteil, ich pflege meine Kontakte ja weiter. Mir haben viele Kolleginnen und Kollegen aus Straßburg und Brüssel gratuliert. Unser Fraktionsvorsitzender Manfred Weber meinte, es sei gut, wenn in Österreich jemand Europapolitik macht, der das Parlament von innen heraus kennt und der entsprechend würdevoll und respektvoll mit dieser Institution umgeht.
Hat Othmar Karas Ihnen auch gratuliert?
Er war einer der Ersten, der mich angerufen hat und mir gratuliert hat.
Warum braucht es überhaupt eine Europaministerin? Hätte das nicht Außenminister Schallenberg mitbetreuen können?
Auf Ebene der Europäischen Union gibt es mittlerweile einen so hohen Grad an Termindichte, an Notwendigkeit zu netzwerken, sich einzubringen, zu gestalten, dass es sicher ein eigenes Ministerium erfordert, das auch nahe beim Bundeskanzler angesiedelt ist. Unseren Außenminister Alexander Schallenberg kenne ich aus der Zeit des Ratsvorsitzes sehr gut, wir sind in ganz enger Abstimmung, weil man Außenpolitik nie hundertprozentig von der Europapolitik trennen kann.
Es gibt drei Streitthemen mit der EU …
Ich würde sagen Verhandlungsthemen.
Erstens das Budget. Die EU verlangt mehr Geld, Österreich will nicht mehr zahlen. Wie soll das gehen?
Österreich hat die klare Position, nicht mehr als bisher, nämlich ein Prozent des Bruttonationaleinkommens, ins Budget einzahlen zu wollen. Das wird ohnehin viel mehr sein als es bisher der Fall war, weil man das Wirtschaftswachstum berücksichtigen muss.
Aber der Außengrenzschutz, der Ihnen ja sehr wichtig ist, wird mehr kosten, auch der Klimaschutz.
Ich bleibe dabei. Natürlich ist es ein Verhandlungsprozess, wir wollen aber bei diesem einen Prozent bleiben.
Der zweite Streitpunkt - Verhandlungspunkt - ist der Verteilungsmechanismus für die Flüchtlinge. Warum lehnen Sie den ab?
Die Verteilung von Asylwerbern über ganz Europa ist aus unserer Sicht gescheitert. Was ist der Sinn, wenn wir Ankommende, von denen viele gar keinen Asylgrund vorzuweisen haben, quer über alle Länder verteilen? Und wenn jemand dann Asylstatus bekommt, kann er sich ja ab dem Zeitpunkt aufgrund der Reisefreiheit frei bewegen. Das bringt keine Lösungen, das bringt nur Probleme. Natürlich soll es eine verpflichtende Solidarität aller Mitgliedsstaaten geben, aber es soll jedes Land frei entscheiden, welchen Beitrag es dazu leistet, zum Beispiel auch beim Schutz der EU-Außengrenzen. Die Staaten an den Außengrenzen brauchen mälich insbesondere dabei Unterstützung.
Der dritte Punkt ist die Familienbeihilfe. Da hat Österreich, das Familien aus ärmeren EU-Mitgliedsstaaten weniger Familienbeihilfe zahlt, ein Vertragsverletzungsverfahren am Hals. Was erwarten Sie da?
Das Verfahren ist noch vor der Gerichtsanhängigkeit. Ich bin sehr zuversichtlich, dass hier im Endeffekt EU-Rechtskonformität festgestellt wird.
Hat Ihre kurze Zeit im Europäischen Parlament Sie eher optimistisch oder pessimistisch gemacht, dass die EU fähig ist, ganz große Probleme gemeinsam zu lösen?
Absolut optimistisch. Das Prägendste für mich war, dass man in Brüssel über Länder- und Parteigrenzen hinweg Sachthemen angeht und Verbündete sucht. Man marschiert mit Kolleginnen aus Staaten, mit denen man sonst vielleicht gar nicht so viel gemein hat, gemeinsam in eine Richtung, obwohl man nicht einmal dieselbe Sprache spricht. Das ist das Faszinierende an der Europäischen Idee. Wenn wir das auch bei den ganz großen Themen schaffen, dann werden wir auch Lösungen finden. Und wir sind es dem Kontinent und auch den nächsten Generationen schuldig.
Frau Edtstadler, Sie haben das Image einer „Hardlinerin“, ist das ein Kompliment für Sie?
Ich bin sicher jemand, der hart in der Sache ist, aber ich glaube auch freundlich im Umgang. Das war auch in meiner Zeit als Richterin so, dass die Stimmung, die persönliche Begegnung, immer eine sehr positive war. Aber im Endeffekt bin ich Juristin und sage: „Was es wiegt, das hat es.“ Sprich: Wenn es eine Entscheidung gibt und sie ist rechtskräftig, dann ist sie auch zu vollstrecken. Wenn mir das den Ruf der „Hardlinerin“ einbringt, dann kann ich nur sagen: Ja, damit kann ich gut leben.
Ich mache jeden Morgen meine „Fünf Tibeter“. Ganz egal, wann ich ins Bett gegangen bin, da kann sein, was will.
Karoline Edtstadler
Sie sagen „freundlich im Umgang“, aber Ihr Blick kann manchmal böse wirken.
Lacht - Wenn ich sehr konzentriert bin, dann kommt das offenbar als unfreundlich rüber, was ich aber eigentlich nicht bin. Ich bin ein konsequenter Mensch, jemand, der die Dinge sehr klar strukturiert und angeht. Ich bin auch mir gegenüber sehr streng.
Inwiefern?
Ich mache zum Beispiel jeden Morgen meine „Fünf Tibeter“. Ganz egal, wann ich ins Bett gegangen bin, da kann sein, was will. Ich schaue mir auch öffentliche Auftritte, vor allem Fernsehsendungen, im Nachhinein kritisch an und überlege mir: Was hätte ich besser machen können?
Was hätten Sie zum Beispiel in der „ZiB 2“ bei Armin Wolf diese Woche besser machen können?
Das mache ich mir mit meinem Team aus. Ein Fehler darf schon mal passieren, das ist menschlich. Aber: Wer frei ist von Sünde, werfe den ersten Stein! - Lacht.
Sie haben sehr früh einen Sohn bekommen, inwiefern hat Sie das als Frau und Mutter geprägt?
Das hat mich sehr geprägt. Leonhard war ein Wunschkind. Ich habe sehr früh geheiratet, und auch wenn die Ehe in die Brüche gegangen ist, war es mein Wunsch, sehr früh ein Kind zu bekommen. Das mag auch daran liegen, dass ich die älteste von insgesamt drei Mädchen bin und überhaupt sehr früh Verantwortung übernommen habe. Mein Studium neben dem Kind, Jus in neun Semestern, musste ich sehr konsequent verfolgen, da war nichts mit Fortgehen. Ich hatte immer ein klares Ziel vor Augen: Wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, und das ist mir dank meiner Konsequenz auch gelungen.
Ist Ihr Sohn stolz auf Sie?
Das hoffe ich. Er war auch bei der Angelobung dabei, wir telefonieren täglich. Mittlerweile hat er seine Lehre als Zimmerer fertig gemacht, arbeitet momentan bei der Bergrettung und wird im März zum Bundesheer einrücken. Meine erste Auslandsreise als Europaministerin ging nach Paris, und als ich schon im Auto auf dem Weg zum Botschafter gesessen bin, kam sein SMS: „Mama, ich habe gerade das ,Morgenjournal‘ nachgehört. Super!“
Dürfte er auch die Grünen wählen?
Er darf natürlich alles. Aber nachdem er die Junge ÖVP in Elixhausen mitgegründet hat, gehe ich davon aus, dass er die ÖVP wählt.
Wenn Sie zurückdenken an Ihre Kindheit, was war der erste politische Moment in Ihrem Leben?
Mein Vater war Landtagsdirektor, meine Mutter Professorin für Deutsch und Englisch an einem Gymnasium. Ich bin mit Politik groß geworden. Mein Vater hat sehr oft Repräsentationstermine wahrgenommen, bei denen wir Kinder dabei waren. Ich kann mich an den Wahlkampf für Kurt Waldheim erinnern, da hatten wir alle so selbstgestrickte Hauserljacken an. Wenn ich die Fotos heute sehe, denke ich: „Oh mein Gott!“ Anfang 20 war ich dann schon ÖVP-Gemeindevertreterin in Henndorf am Wallersee, meine erste politische Tätigkeit.
Und seit wann sind Sie eine Türkise?
Seit es die Bewegung gibt. Ich war eine Türkise der allerersten Stunde.
Karoline Edtstadler: Einmal EU-Parlament und zurück
Geboren am 28. März 1981 in Salzburg. Nach ihrem Jus-Studium wird sie Richterin. Seit 2004 politisch aktiv. 2011 wechselt Edtstadler ins Justizministerium, 2015 wird sie Oberstaatsanwältin, ab 2016 Mitarbeiterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Im Kabinett Kurz I ist sie ÖVP-Staatssekretärin im Innenministerium. Nach der Europawahl wird sie Nachfolgerin von Othmar Karas als Delegationsleiterin in Brüssel, 2020 scheidet sie aus. Die neue Europaministerin hat einen 18-jährigen Sohn (Leonhard).
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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