Superministerin für Klimaschutz, Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Energie, Technologie, Innovation. Mit Conny Bischofberger spricht Leonore Gewessler (42) über ihre Mammutaufgabe, Flug- und Autoscham, Greta Thunberg und eine Atomkatastrophe als Auslöser für ihr Engagement.
Als wir durch die Sicherheitschecks im hässlichsten aller Ministerien geschleust werden, fängt es draußen gerade sacht zu schneien an. „Die ersten Schneeflocken sind immer etwas Besonderes“, sagt Leonore Gewessler (mit Betonung auf „Ge“, nicht wie „Gewässer“!), als wir später in ihrem Büro im achten Stock sitzen. „Ich genieße den Wechsel der Jahreszeiten sehr, da spürt man die Natur besonders intensiv.“ Am Kleiderständer hängt neben dem schwarzen Mantel ihr Fahrradhelm, im Regal steht eine gerahmte Karikatur eines Mammuts. „Die hat mir mein Mann als Einstand für die Mammutaufgabe Klimaschutz geschenkt“, erzählt die ehemalige Umweltaktivistin - im Finale des Wahlkampfs kletterte die Steirerin auf einen Baukran vor dem Parlament und hisste eine Klimaschutz-Fahne. Die neue grüne Superministerin spricht unaufgeregt und leise, ihre Sätze klingen fast wie eine freundliche Melodie.
„Krone“: Frau Gewessler, wie startet eine Grüne wie Sie in den Tag? Bio-Zahncreme, Müsli, grüner Tee?
Leonore Gewessler: (Lacht.) Ich glaube, mein Morgen ist ganz gleich wie der Morgen ganz vieler Österreicherinnen und Österreicher. Der Wecker läutet, ich schalte ihn ab, dann stelle ich ihn noch einmal auf zehn Minuten später, und dann geht es raus. Ich trink schwarzen Tee mit Milch ohne Zucker und esse, was grad zu Hause ist. Gerne Bio und möglichst regional.
Wie viele Räder besitzen Sie?
Ein Klapprad, ein normales. Und ich geh auch sehr gerne zu Fuß. Ich halte mich derzeit so viel in geschlossenen Räumen auf, dass ich mich über jede Minute freue, wo ich an die frische Luft komme, den Kopf freikriege, ein bisschen Bewegung machen kann.
Superministerin für Klimaschutz, Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Energie, Technologie, Innovation. Budget: fünf Milliarden Euro. Wie klingt das für Sie?
Ich bin sehr dankbar, dass ich diese spannende Aufgabe übernehmen darf, weil das ein Ministerium mit super-engagierten Beamtinnen und Beamten, mit den spannendsten Themen und Fragen ist. Wie werden wir zukünftig unterwegs sein, möglichst günstig, bequem und umweltfreundlich von A nach B kommen? Wie produzieren wir unseren Strom? Wie bringen wir Sonnenstrom auf unsere Dächer? Wie machen wir Häuser zu Kraftwerken? Wie erhalten wir die Natur für unsere Kinder?
Sie haben „Superministerin“ nicht dementiert …
Ich habe gesagt, es ist ein super Ministerium!
Auf Ihren Schultern lasten sehr große Herausforderungen. Fühlt es sich nicht manchmal schwer an?
Nein … Wissen Sie wieso? Wo immer ich unterwegs bin, ob auf dem Fahrrad oder in der Straßenbahn, gibt es total viele Menschen, die mir Rückenwind geben, die sagen: „Ja, super! Wir müssen endlich was für den Klimaschutz tun! Das ist eine wichtige Aufgabe!“ Viele wissen, dass wir ein Problem haben, und spüren, dass wir aktiv werden müssen. Das lastet auch nicht allein auf meinen Schultern. Klimaschutz ist etwas, das wir gemeinsam schultern. Ja, das ist ein schönes Bild.
Auf Ihrem Schreibtisch steht eine kleine grüne Schildkröte. Passt sie zu Ihrem Charakter?
Mein Amtsvorgänger hat sie mir geschenkt. Schildkröten sind ja wunderbare Tiere und was sie gut symbolisiert, ist die Art, wie sie sich fortbewegen. Sie gehen sehr beständig und konsequent ihren Weg und verlieren nie das Ziel aus den Augen. Das passt auch zu mir.
Der dicke Panzer auch?
Ich weiß nicht, ob man für die Politik einen dicken Panzer braucht. Ich gehe ohne rein und würde am Ende auch gerne ohne Panzerung wieder herauskommen. Ich weiß aber, dass das ein großer Vorsatz ist.
Sie haben hier ein „blaues“ Ministerium vorgefunden. Wie gehen Sie mit Beamten um, die Ihnen politisch nicht sehr nahestehen, und hilft es, dass Werner Kogler in der Nähe sitzt?
Werner Kogler sitzt zwar im selben Haus, aber seit ich hier bin, sind wir uns in den langen Gängen noch nie über den Weg gelaufen. (Lacht.) Ich würde das auch nicht so stehen lassen. Es ist ein Ministerium voller engagierter Beamten und Beamtinnen. Ich kann mit allen Menschen gut und professionell zusammenarbeiten. Uns eint ja ein Ziel, nämlich, das Regierungsprogramm umzusetzen. Was zählt, ist einzig die Expertise und das Wissen.
Ihre Mammutaufgabe ist der Klimaschutz. Sprechen Sie noch von „Klimawandel“?
Ich spreche von der Klimakrise, weil es tatsächlich eine Krise ist. Wir hatten 2019 das zweitwärmste Jahr in der Messgeschichte, einen Sommer voller Extreme, Menschen, die nach Murenabgängen vor den Ruinen ihrer Existenz stehen. Es ist so deutlich, dass wir den Auftrag haben, zu handeln, um noch eine gute Zukunft gestalten zu können.
Verstehen Sie Leute wie zum Beispiel Herrn Schröcksnadel, die sagen, das war schon immer so?
Die Fakten sind ganz klar. Unser Klima verändert sich rasant und deutlich. Aber das Schöne am Klimaschutz ist ja, unabhängig von der Faktenlage, dass am Ende eine bessere Lebensqualität steht. Sauberes Wasser, saubere Luft, bessere Öffi-Verbindungen. Auch am Land. Ich komme aus einem kleinen Ort in der Steiermark. Dort am Samstag ins Kino zu gehen, war während meiner Jugendzeit eine Herausforderung, weil man nie wusste, komme ich mit dem Bus auch wieder nach Hause.
Von Greta Thunberg stammt der Satz: „Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre, ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen, denn es brennt.“ Hat sie recht?
Sie hat insofern recht, als die Krise deutlich ist und wir wirklich schnell handeln müssen. Deswegen habe ich das Angebot von Werner Kogler, dieses Ministerium zu übernehmen, angenommen. Es geht um die nächsten zehn Jahre, es geht darum, ob wir es in diesen Jahren schaffen, die Weichen so zu stellen, dass wir alle in eine gute Zukunft gehen.
„Weichen stellen“ klingt nicht nach „Feuer löschen“. Brennt es schon oder kann man noch etwas tun, bevor der Brand ausbricht?
Wenn wir bei dem Bild bleiben wollen, dann müssen wir nur nach Australien schauen, nach Sibirien, in den Amazonas - wir haben heuer das Jahr von enormen Waldbränden, also im ganz wortwörtlichen Sinn: Ja, es brennt gerade. Aber wir haben alles, um die Feuer zu löschen. Wir haben die Möglichkeiten und die Mittel. Deshalb ist Klimaschutz die positive Vision für ein gutes Leben für alle Menschen in Österreich und auf der Welt.
Sie sind nicht nur Klimaministerin, sondern auch Herrin über Straße und Schiene. Kommt jetzt nach der Flugscham auch die Autoscham?
Es geht nicht um Scham. Es geht darum, dass wir alle mobil sein wollen und mobil sein müssen. Egal ob wir in die Arbeit fahren oder in den Urlaub. Mir geht es darum, dass wir umweltfreundlich mobil sein können. Das wird nicht immer gleich gut möglich sein. Aber es muss so günstig, so bequem und so effizient wie möglich sein.
Worauf werden wir verzichten müssen, jetzt, wo die Grünen in der Regierung sind?
Was soll mir dazu jetzt einfallen? (Lacht.) Es ist gerade sehr viel Veränderung spürbar, das zeichnet unsere Zeit aus. Wir sind gerade am Weg in ein sauberes Energiesystem, mit Photovoltaik, mit Windkraft. Ein besser ausgebautes öffentliches Netz, mehr Zugverbindungen. Das 1-2-3-Ticket, ein Herzensprojekt von mir. Und dann kann sich jeder frei entscheiden. Anders entscheiden. Man muss es nicht Verzicht nennen.
In vielen Leserbriefen schreiben uns die Leute: Dieses grüne Experiment wird uns letztlich teuer zu stehen kommen. Was sagen Sie denen?
Das Teuerste, was uns passieren kann, wäre, keinen Klimaschutz zu machen. Wenn wir uns die Schäden in der Landwirtschaft anschauen, die wir letztes Jahr gehabt haben, den Borkenkäfer im halben Waldviertel, die Gesundheitsschäden bei Hitzewellen, das kommt uns teuer zu stehen!
Sie haben diese Woche die Automesse besucht. Sieht man dort noch die „zwei Welten“? Auf der einen Seite die PS-starken SUVs, auf der anderen Seite die Hybrid-Autos.
Ich habe den E-Mobilitätsteil eröffnet, der dieses Jahr enorm gewachsen ist, da ist ganz viel Dynamik drinnen. Gerade beim Klimaschutz und der Umwelt wird deutlich, dass wir nur eine Welt haben, mit der wir auskommen müssen, auf die wir aufpassen müssen. Sie ist die Grundlage dafür, dass unsere Kinder und Kindeskinder noch ein gutes Leben haben können, hier in Österreich, aber auch auf der ganzen Welt.
Haben Sie bei dem, was Sie vertreten, auch eine missionarische Ader?
Politik ist nicht dazu da, zu moralisieren, den Leuten zu sagen, wie sie zu leben haben. Ich habe die letzten 15 Jahre schon für den Klimaschutz gearbeitet, es ist mein Herzensanliegen und treibt mich an. Ich glaube, ich kann Menschen auch gut mitnehmen. Aber jede und jeder von uns wird am Ende selbst entscheiden. Die Aufgabe der Politik ist es, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen.
Befürchten Sie eigentlich auch Widerstand von Windparkgegnern, Klimaleugnern etc.?
Bei Veränderungen gibt es immer auch Befürchtungen. Deshalb ist es wichtig, Menschen einzubinden, gemeinsam zu diskutieren, gemeinsam Lösungen zu finden. Das habe ich immer gemacht. Ich komme ja aus der Zivilgesellschaft und kann Allianzen bilden, unterschiedliche Standpunkte hinter einem Ziel vereinen.
In der Hainburger Au standen sich 1984 …
Ich selbst war da ja erst sieben!
... radikale Umweltschützer und kampfbereite Gewerkschafter unversöhnlich gegenüber. Was ist heute anders?
Ich habe vor einigen Jahren, als ich noch bei Global 2000 war, mit der Gewerkschaft eine gemeinsame Pressekonferenz gemacht, es ging um klimafite Gebäude. Wir hatten dazu viele Gespräche geführt, es ist mit der Zeit Verständnis entstanden und schließlich ein gemeinsames Ziel. Das war für mich einer der schönsten Momente bei Global 2000, weil er einfach so sinnbildlich dafür war, wie sich Dinge verändern können und wie man auch scheinbar schwer auf einen grünen Zweig zu bringende Interessen gemeinsam umsetzen kann.
Im Finale des Wahlkampfs sind Sie auf einen Baukran geklettert. Können Sie Ihre aktionistische Ader jetzt noch ausleben?
Ich glaube, auf einen Kran werde ich so schnell nicht mehr klettern. Aber ich habe noch immer ein kleines aktionistisches Herz in mir. Vielleicht wird es die eine oder andere Gelegenheit geben, das auszuleben. Ich bin erst zehn Tage im Amt, schauen wir mal!
„Heilige Leonore der Grünen“ - wie klingt diese Bezeichnung für Sie?
Ich bin keine Heilige und ich kann auch keine werden. Ich bin die ganz normale Leonore, die versucht, etwas für diese Welt zu bewegen. Sie ist in einer wirklich wunderbaren Rolle angekommen.
Aufgewachsen sind Sie in einem Arzthaushalt. Sind Sie eine jener Jugendlichen, die August Wöginger von der ÖVP gemeint hat, als er sagte: Kaum gehen sie nach Wien, wählen sie schon grün?
(Lacht.) Mein Vater war ein hochpolitischer Mensch und wir haben viel diskutiert. Daran denke ich heute noch gerne zurück. Ich war aber autodidaktische Umweltschützerin, mich hat das Thema schon ganz früh begeistert. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich auch immer grün gewählt.
Was war der Moment, in dem Ihnen das Umweltthema zum ersten Mal nahegegangen ist?
Eine der frühesten Erinnerungen ist die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und was das in unserem Ort ausgelöst hat. Kann man noch rausgehen? Darf man noch Pilze essen? Nachbarn, die Lebensmittel gebunkert haben. Wir Kinder durften nicht mehr in der Sandkiste spielen. Ich weiß nicht, ob ich die Tragweite damals schon erfassen konnte, aber das Gefühl für den Umweltschutz begann für mich mit der Atomkatastrophe.
Vom Ökoprofi zur Ministerin
Geboren am 15. September 1977 als Tochter eines Arztes in Graz, eine jüngere Schwester. Studium der Politikwissenschaften in Wien. 2006 fängt sie als Büroleiterin des Grünen-Büros in Wien-Neubau an. 2008 bis 2014 ist sie in Brüssel bei der Green European Foundation des Europäischen Parlaments, die sie als Direktorin mitgegründet hat. Ab 2014 leitet sie fünf Jahre lang die Umweltorganisation Global 2000. Seit 2019 bei den Grünen. Verheiratet mit Herbert Greisberger, Geschäftsführer der niederösterreichischen Energie- und Umweltagentur, keine Kinder.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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