Abseits der politischen Diskussion um die Justiz, in der vor allem spektakuläre Großverfahren im Mittelpunkt stehen, zeigt der banale Justiz-Alltag, dass vieles im Argen liegt. Verbesserungen werden unzählige Millionen kosten.
Ursprung vieler Übel ist die Strafprozess-Reform von 2008. Der U-Richter wurde abgeschafft. Die Ermittlungsarbeit sollte von einer aufgestockten Staatsanwaltschaft übernommen werden. So die Theorie.
Die Praxis ist eine andere. Viele alte Staatsanwälte gingen in Pension. Das Alter der Ankläger liegt heute unter 40 Jahren. Was kein Fehler sein muss. Aber es mangelt an Erfahrung. Junge werden in einem System aufgerieben, in dem die Arbeitsbelastung sehr hoch ist. Viele sehen sich schnell um einen anderen Posten in der Justiz um, was die Fluktuation befeuert. Saßen Staatsanwälte früher 30 Jahre in ihrer Abteilung, wechseln sie heute oft nach 18 Monaten den Posten.
Verfahren ziehen sich in die Länge
Die Arbeit der Staatsanwälte ist auch komplizierter geworden. Früher war es in größeren Wirtschaftsverfahren üblich, einige wesentliche Punkte zur Anklage zu bringen und die anderen einzustellen. Das war schnell und effizient. Heute ist das, auch wegen gestärkter Opferrechte, schwer möglich. Die Verfahren ziehen sich.
Für den reibungslosen Ablauf in der Justiz ist auch Verwaltungspersonal unabdinglich. Kanzleikräfte etwa, oder Schriftführer. Hier wird gnadenlos gespart. Angesichts eines Monatseinkommens von 1200 bis 1500 Euro völlig unverständlich. Jetzt wurde in Gerichten sogar per Weisung der Parteiverkehr eingeschränkt, weil Personal fehlt.
Richter müssen Verwaltungstätigkeiten übernehmen
Richtern werden Verwaltungstätigkeiten aufgebürdet. Eine unnötige Ressourcenvergeudung, denn dafür sind sie überqualifiziert. Und Richter müssen auch für Fehler in einem unzulänglichen System den Kopf hinhalten: die mangelhafte Technik zum Beispiel, die so manche Videokonferenz im Desaster enden lässt.
Der oft bemühte digitale Akt ist reine Zukunftsmusik. Im Handelsgericht gibt es ihn in einzelnen Abteilungen. Die Praxis ist das aber nicht. Dazu müssen leistungsstarke Datenleitungen gelegt und teures IT-Personal engagiert werden. Im höchst renovierungsbedürftigen Landesgericht Wien ist nicht einmal die seit Jahren angedachte Generalsanierung beschlossene Sache.
Juristisches Fachpersonal fehlt
Richter sind auch mit ihren immer komplizierter werdenden Akten auf sich allein gestellt. Selbst in umfangreichen Wirtschaftsverfahren haben sie keine Hilfskraft. Im Gegenteil: Sie müssen neben ihrer angestammten Tätigkeit auch Termine für Zeugeneinvernahmen koordinieren und den Akt und die Protokolle verwalten. Und sie stehen in komplexen Wirtschaftscausen oft einer Armada von hoch bezahlten Anwälten gegenüber, die nur darauf warten, dass Richter Fehler machen.
Gutachter und die für viele Verfahren so wichtigen Dolmetscher sind schlecht bezahlt. Bei Dolmetschern liegt der Altersschnitt über 60 Jahre …
Strukturwandel und kaputte WCs
Die Struktur der Justiz hat mit dem Tempo der Zeit nicht Schritt gehalten: Herr des Geldes sind die Oberlandesgerichte. Sie müssen alle Investitionen bewilligen. Mit skurrilen Auswüchsen: So dauerte es im Landesgericht Wien vier Monate, bis ein WC repariert wurde.
Daten & Fakten
Die Rechtssprechung - also Gerichte und Staatsanwaltschaften - an sich ist nicht teuer: 2018 etwa machten die Gerichte dank eingehobener Gebühren mehr als 230 Millionen Euro „Gewinn“, während es beim Justizministerium gesamt einen Abgang von 313 Millionen gab. Grund dafür sind der Straf- und Maßnahmenvollzug, die ja auch finanziert werden müssen. Seit 2013 hat die Justiz jährlich mehr Geld ausgegeben als vorgesehen. 2019 wurden die geplanten 1,6 Milliarden um 57 Millionen überschritten. Heuer fehlen der Justiz laut Ex-Minister Clemens Jabloner allein für die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs 90,6 Millionen Euro.
Viel zu wenig Kanzleipersonal
Auch an Bezirksgerichten wirkt sich die Personalnot aus, wie die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, kritisiert. Viele Kanzleikräfte wandern ab.
„Krone“: Was sind die vordringlichsten Probleme in Zivilgerichten?
Sabine Matejka: Wir haben zu wenig Kanzleipersonal. Alles dauert länger. Viele, vor allem jüngere Mitarbeiter, gehen weg. Andere Ämter bieten bessere Verdienstmöglichkeiten. Es entsteht ein Schneeballeffekt. Die, die weggegangen sind, besuchen ihre alten Kollegen, schwärmen, dass es an der neuen Stelle besser ist, und dann gehen weitere.
Gibt es auch technische Probleme?
Für zukünftige Entwicklungen, vor allem technischer Art, sind wir nicht gerüstet. Die technische Ausstattung müsste wesentlich verbessert werden. Im Regierungsprogramm steht zwar, dass es in Gerichten für mehr Kundenfreundlichkeit Service-Center geben soll. Aber das ist wegen der Personalnot oft kaum möglich.
Wie wirkt sich eine geänderte Rechtslage auf die Arbeitsbelastung der Richter aus?
Das kommt immer wieder vor. Im Bezirksgericht Schwechat zum Beispiel gibt es Tausende Klagen wegen Fluggastrechten. Diese werden von Organisationen im Paket eingebracht und haben zur totalen Überlastung geführt.
Sind Bezirksgerichte ausreichend besetzt?
Laut Statistik für 2018 gab es an Bezirksgerichten 700 Richter-Planstellen. Laut Personalanforderung, errechnet aus dem Zeitaufwand pro Akt, müssten es 753 sein.
Silvia Schober und Peter Grotter, Kronen Zeitung
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