Virus breitet sich aus

Corona-Krise: Schaffen wir das, Herr Anschober?

Politik
01.03.2020 06:00

Eine Woche im Bann von Corona: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (59) im „Krone“-Interview mit Conny Bischofberger über Hoffnungen und Zweifel, Krisensitzungen, das „Worst Case“-Szenario und Gespräche mit seinem Hund.

Später Freitagnachmittag im Gesundheitsministerium am Stubenring. Ein paar Stunden vorher hat Rudolf Anschober noch beim „Krone“-Gipfel gegen die grausamen Tiertransporte teilgenommen. Unser Interview verzögert sich um zwölf Minuten, weil der Minister noch die beiden Verordnungen zum Umgang mit dem neuen Coronavirus unterzeichnen muss.

„Jetzt kommt die schöne Abendsonne rein“, lächelt er, als es losgehen kann, und schließt kurz die Augen, um das Licht zu genießen. Sein Hund „Agur“ ist leider verhindert, „das ist auch besser, weil mir keiner zuhört, wenn er bei Terminen dabei ist“. Seit Corona Österreich erreicht hat, eilt Anschober von einer Krisensitzung zur nächsten. Nach unserem Gespräch geht es noch zum Nationalen Sicherheitsrat, am Samstag sitzt er mit „Agur“ dann im Zug nach Hause ins Mühlviertel, am Sonntagnachmittag fährt er wieder „runter“ nach Wien.

„Krone“: Hand aufs Herz, wie oft haben Sie sich heute schon die Hände gewaschen?
Rudolf Anschober: Ui. Da muss ich ganz ehrlich sein, gell? Nur drei Mal. Ich verwende jedesmal Seife. Und hatte eine kuriose Situation, als ich heute Morgen eine Kollegin auf der Straße getroffen habe. Wir waren uns unsicher, wie man jetzt tut, ob wir uns noch ein Bussi geben sollen? Immer mehr Leute grüßen jetzt japanisch, also mit Verbeugung, ohne die Hände zu schütteln. Wir haben uns dann doch die Hand gegeben.

Haben Sie auch eine Atemschutzmaske zu Hause?
Nein. Wir raten der Bevölkerung auch nicht an, Schutzmasken zu tragen. Masken sollen jene tragen, die direkt mit Infizierten zu tun haben, für sie sind die Bestände auch reserviert.

(Bild: APA/Barbara Gindl)

Diese Woche hat sich Corona auch in Österreich angesiedelt. Nie sah man Sie so oft im Fernsehen, bestimmt hatten Sie auch noch nie so viele Krisensitzungen. War es die anstrengendste Woche Ihres beruflichen Lebens?
Anstrengend war die Woche, in der ich 2012 krank geworden bin. Als ich gemerkt habe, jetzt gehen mir die Energien aus. Zu kämpfen, obwohl es nicht mehr geht, das ist anstrengend … Es stimmt, dass die letzten Tage sehr dicht waren. Aber das Positive ist: Es gibt eine ganz hervorragende Teamarbeit. Sogar im Nationalrat war das bei allen, bis auf eine Fraktion, spürbar: Parteipolitik können wir nachher machen, jetzt haben wir eine Krise, jetzt ist der Schutz der Bevölkerung unser gemeinsames Interesse, das Miteinander, der Zusammenhalt. Dieser Grundkonsens tut so gut … Nicht nur auf österreichischer Ebene, auch die europäischen Gesundheitsminister halten zusammen, die EU-Kommissarin ist mit dabei. Die Regierung ist mit allen im Einvernehmen.

Mit der einen Fraktion meinen Sie die FPÖ, die Grenzkontrollen und Quarantäne für Einwanderer gefordert hat?
Ja, dass man sogar beim Coronavirus auf die Flüchtlinge kommt, wo die wirklich rein gar nichts damit zu tun haben, halte ich schon für entbehrlich, aber es ist, wie gesagt, die Ausnahme.

Wie schwierig ist es, selbst gelassen zu bleiben, wenn so eine Krise über das Land hereinbricht?
Ich höre das jetzt oft in der U-Bahn oder im Zug: Wir sind froh, dass Sie das machen! Es ist gut, dass Sie so ruhig bleiben! Das ist auch mein politischer Zugang: Wir müssen jetzt ruhig bleiben, sehr engagiert, sehr konsequent und sehr ehrlich sein. Nur mit Ehrlichkeit und Transparenz wird man Ängste beruhigen können.

(Bild: Peter Tomschi)

Sind Sie jemand, der in heiklen Situationen stoisch wird?
Ja. Jeder Mensch reagiert in Stresssituationen anders. Ich arbeite dann noch konzentrierter. Nervös werde ich gar nicht. Der Adrian (Anm: Pressesprecher Adrian Hinterreither sitzt mit am Tisch) kennt mich jetzt schon einige Zeit … Jährzornige Ausbrüche hat er mit mir noch keine erlebt. - Adrian nickt.

Gab es im hintersten Winkel Ihres Herzens auch Zweifel, in diesem Krisenfall alles richtig gemacht zu haben?
Natürlich! Ich frage mich das jeden Abend, wenn ich den Tag evaluiere, mir den Ablauf wie einen Film noch einmal anschaue: Welche grundsätzlichen Entscheidungen haben wir heute getroffen? Welche Fehler haben wir gemacht? Wäre es vielleicht besser gewesen, andere Menschen zusätzlich mit einzubeziehen? Ich bin ein Vernetzer und Brückenbauer. Das ist es, was ich wirklich gut kann, auf Menschen zuzugehen. Und genau das haben wir diese Woche getan: Kräfte gebündelt, Kompetenzen zusammengeführt.

Man hat den Eindruck, dass sich die Bundesregierung beim Thema Corona gesamthaft profilieren will. Gibt der Bundeskanzler vor, wie genau kommuniziert wird?
Nein, wir haben das schon gemeinsam diskutiert, ob es gut wäre, wenn jedes einzelne zuständige Regierungsmitglied für sich kommuniziert, oder ob nicht besser wäre, wenn wir das gemeinsam machen. Ich halte das für richtig. Es signalisiert ein Stück Sicherheit, dass der Bundeskanzler bei unseren Auftritten dabei ist. Die Zusammenarbeit mit ihm in den letzten Wochen war wirklich hervorragend.

(Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)

„Dabei“ ist gut … Er leitet diese Auftritte. Stehlen Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) Ihnen als Gesundheitsminister nicht ein bisschen die Show?
Hier geht es nicht um Show, sondern um die Bewältigung einer Krise. Ich persönlich hätte die Bilder aus dem Krisenstab nicht gebraucht, mir ist das gleichgültig. Ich könnte mir aber vorstellen, dass sie im Sinne der Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger interessant sind.

Pamela Rendi-Wagner hat gemeint, es müsste in dieser Situation einen Sprecher geben.
Und ich habe ihr gesagt, dass sie sich ruhig dazusetzen kann, um zu sehen, wie gut das funktioniert. Bei diesen Sitzungen sind neun Bundesländer zugeschaltet, da sind alle Ministerien da, die direkt oder indirekt betroffen sind - das geht von Gesundheits- und Innenministerium bis zum Infrastruktur- und Außenministerium, wir betreiben da eine unglaublich schnelle Form von Informationsaustausch. Das ist ja auch modernes Krisenmanagement, dass nicht einer einsam entscheidet, sondern dass ein ganzes Team optimal zusammenarbeitet.

Sie haben angekündigt, den Posten eines Generaldirektors bzw. einer Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit wieder einzuführen. Wäre Pamela Rendi-Wagner eine Kandidatin?
Die Kollegin Rendi-Wagner hat einen super Ruf hier im Haus, alle kennen sie von ihrer Tätigkeit als ehemalige Gesundheitsministerin und schätzen ihre Kompetenz. Ich weiß aber, dass sie derzeit nicht zu haben ist, weil sie einen guten Job hat. - Lacht.

(Bild: Peter Tomschi)

Sollte sich das ändern, wäre sie eine gute Kandidatin?
Es gibt im Haus und auch extern eine Reihe von Personen, denen ich diese Funktion zutraue, da gehört jemand mit ihrem Profil sicher dazu.

In Wien wurde am Montag eine Schule wegen Corona-Verdachts gesperrt. Stadtrat Peter Hacker schimpfte, das sei eine „Cowboyaktion“ gewesen. War es das?
Ich gehe nicht davon aus, dass unsere Exekutive in Wildwest-Manier aufgetreten ist. Der Innenminister hat gemeint, er werde sich diesen Fall noch anschauen. Prinzipiell finde ich es wichtig, dass uns die Exekutive unterstützt.

Haben Sie mit Hacker darüber gesprochen?
Natürlich, er ist ja mittlerweile ein fast langjähriger Freund. Das war halt sein Gefühl. Hauptsache, das Ergebnis hat gestimmt. Die Lehrerin wurde negativ getestet und die Schüler waren so lange in Sicherheit.

(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)

Über die Vorgehensweise der Regierung herrscht Uneinigkeit. Für die einen ist es übertriebene Hysterie, den anderen geht sie viel zu wenig weit. Immerhin wurden in anderen Ländern Großveranstaltungen abgesagt. Wo stehen Sie genau?
Ich glaube, dass wir sehr gut aufgestellt sind, aber wir lernen auch jeden Tag dazu. Das ist ein Prozess. Wir haben vor vier Wochen klare Empfehlungen auf den Tisch gelegt, wir haben unsere Ressourcen und Kapazitäten in den europäischen Gesundheitsverbund und die Weltgesundheitsorganisation WHO eingegliedert. Und wir sind Teil des „Early Warning and Response Systems“, mein absolutes Lieblingsprojekt. Wenn in der Lombardei jemand an Corona erkrankt und sich bei dessen Bewegungsprofil herausstellt, dass es einen Österreich-Bezug gibt, dann haben wir das innerhalb von ein paar Sekunden hier auf dem Tisch!

Bis dato wurden weit über tausend Leute getestet, die Zahl der Corona-Fälle steigt. Schaffen wir das, eine große Krise abzuwenden?
Wir ringen darum. Wir werden in zwei, drei Wochen wissen, ob wir es schaffen. Es ist ganz schwierig zu prognostizieren, wie es weitergehen wird, weil wir zwei Erkrankungen haben, wo es sehr viele enge Kontakte gegeben hat. Da dürfte es noch steil nach oben gehen. Das Best-Case-Szenario wäre, wenn uns am Ende die Eingrenzung gelingt und wir ein paar Dutzend Corona-Fälle hätten.

(Bild: Peter Tomschi)

Und das Worst-Case-Szenario?
Wäre eine weltweite Pandemie. Pandemie bedeutet, dass Corona gobal außer Kontrolle gerät. Die WHO hat es so formuliert: Diese Krise hat das Potenzial für eine Pandemie. Ich persönlich glaube und hoffe, dass wir es schaffen werden, dass es keine Pandemie gibt, dass diese Containment- sprich Eingrenzungsstrategie - ich mag „Containment“ nicht, weil es aus der Atomsprache kommt! - von Erfolg gekrönt sein wird.

Wie gehen Sie mit dem Spagat zwischen dem Sicherheitsgefühl einerseits und dem Verlust von Freiheit andererseits um?
Normalerweise bin ich ein absoluter Freund der Freiheit. Georg Danzer hat das im Lied „Die Freiheit“ so wunderbar auf den Punkt gebracht. Aber in einer Krisensituation sind Maßnahmen, die man in einer herkömmlichen Situation infrage stellen würde, unausweichlich. Das Schließen von Städten geht an Grenzen, ist aber in einer echten Krise unabdingbar. Oder die Quarantäne: Das Feedback der Betroffenen war durchwegs extrem positiv. Das ist eine Frage der Solidarität. Es wäre unsolidarisch der Gesellschaft gegenüber, wenn sich potentiell Infizierte nicht isolieren würden. Am Ende ist mir aber wieder die Evaluierung wichtig: Da müssen wir uns die Frage stellen: Wie gehen wir in einer Krise mit dem Datenschutz, mit Freiheits- und Bürgerrechten um?

Herr Anschober, Sie sind vor acht Jahren an einem Burnout erkrankt. Gab es in den letzten Tagen auch Momente, in denen der Stress so groß war, dass Sie sich dachten: Ich muss auf mich aufpassen …?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin durch meine gesundheitliche Krise damals stärker geworden. Ich habe gelernt, was ich brauche, um mir meine Energien zu bewahren.

Was brauchen Sie?
Ich brauche zum Beispiel meine Qigong-Übungen in der Früh. Ich habe mehr Kraft den Tag über, wenn ich meinen persönlichen Rhythmus beibehalte. Und dann natürlich, ganz, ganz wichtig: Die Morgen- und Abendrunde mit dem „Agur“.

Rudolf Anschober mit „Agur“ (Bild: zVg)
Rudolf Anschober mit „Agur“

Ihrem weißen Retriever. Die Morgen- und Abendrunden lassen Sie nie aus?
Nicht einmal letzten Dienstag. Da hatte ich eine Gesundheitsminister-Konferenz in Rom, also fand die Morgenrunde schon um 4 Uhr in der Früh statt. Der „Agur“ war ein bisschen unglücklich darüber und hat mich ganz groß angeschaut: Was ist jetzt los mit dem Herrl?


Was haben Sie „Agur“ über Corona erzählt?
Nichts, weil Hunde ja nicht davon betroffen sind. - Lacht. - Also werde ich ihn nicht beunruhigen. Aber er kriegt das natürlich mit. Dass ich neben ihm telefoniere, dass ich angespannt bin. Er spürt es ja genau.

Zitat Icon

"Agur" habe ich über Corona nichts erzählt. Hunde sind ja nicht betroffen, also werde ich ihn nicht beunruhigen. Aber er kriegt das natürlich mit.

Rudolf Anschober über die Gespräche mit seinem Hund

Was hat er sich diese Woche über Sie gedacht?
Ich glaube, er hat sich gedacht, dass ich einen Stress hab, weil ich unsicher bin, wie das alles ausgeht.

Haben Sie persönlich eigentlich Angst vor Corona?
Angst habe ich vor Krankheiten, die ein Todesurteil wären.

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Es ist völlig unangebracht, sich für Wochen und Monate einzudecken.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober zu Hamsterkäufen

Verstehen Sie, dass Menschen Angst haben und sich mit Hamsterkäufen eindecken?
Ich verstehe, dass Menschen Angst haben. Aber es ist völlig unangebracht, sich für Wochen und Monate einzudecken. Wenn das notwendig wäre, würden wir es klar kommunizieren.

Leere Regale in heimischen Supermärkten (Bild: Christian Jauschowetz)
Leere Regale in heimischen Supermärkten

Wie lange könnten Sie im Mühlviertel überleben?
Ich habe noch nicht nachgeschaut. Bei mir zu Hause sagen sich ja im wahrsten Sinn des Wortes Fuchs und Henn Gute Nacht. Vis-a-vis ist aber ein kleiner Fischteich, und neben mir wohnen vier Biobauern. Die könnten mich eine Weile versorgen.

Was soll man einmal über Rudolf Anschober sagen?
Jetzt bin ich erst acht Wochen im Amt. Also hab‘ ich mir das noch nicht überlegt. Aber wenn Sie drauf bestehen, vielleicht: Er hat versucht, dem großen Vertrauen, das viele Menschen in ihn gesetzt haben, gerecht zu werden.

SEIN REFUGIUM IST DAS MÜHLVIERTEL
Geboren am 21. November 1960 in Wels, erlernter Beruf Volksschullehrer. Politisch aktiv seit den 1980er-Jahren, am Beginn stand sein Anti-Atom-Engagement. 1990 zieht Anschober als Verkehrssprecher der Grünen in den Nationalrat, ab 1997 ist er Abgeordneter im oberösterreichischen Landtag, ab 2003 Landesrat, zuletzt für Umwelt und Integration. Lebt mit seinem Hund „Agur“ und drei Katzen im Mühlviertel.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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