In einer nie für möglich gehaltenen Rekordzeit kam der Verkehr zum Erliegen, Fabriken wurden geschlossen, weltweit Millionen Menschen nachhause geschickt. Ohrfeige oder Hoffnungsspender für einen Klimaforscher wie Sie, der seit Jahren darauf hinweist, wie überlebenswichtig zumindest kleine Verhaltensänderungen für unseren Planten wären?
Damit wurde auf jeden Fall recht eindrucksvoll die Handlungsfähigkeit der Menschen bewiesen. Aber Handlungsfähigkeit und Handlungswilligkeit sind zwei sehr unterschiedliche Angelegenheiten. Bei der Corona-Krise hat man einen unmittelbaren Handlungsanreiz: Ich schütze mich, in dem ich mich an die Spielregeln halte, damit schütze ich auch dich usw., der persönliche Vorteil stimmt mit dem großen Ziel gut zusammen.
Teil der Lösung zu sein, ist hier relativ einfach.
Genau. Die Handlungskompetenz ist klar und überschaubar: Abstand halten, Mundschutz tragen etc. Bei der Klima-Krise hingegen ist die psychologische Distanz weit größer. Nur weil es in Australien wieder einmal brennt – es ist weit weg. Die konkrete Betroffenheit fehlt für viele, das stellt eine Barriere für die Handlungswilligkeit dar.
Welche Auswirkungen auf unsere Umwelt hat dieser Shutdown? Ist für Sie das Beobachten von Satellitenfotos zurzeit spannender als jede Nachrichtensendung?
In puncto Luftqualität sehen wir gerade weltweit, auch in Österreich und einzelnen Städten wie Graz, dass die Schadstoff-Mengen vor allem aufgrund des schwächeren Verkehrs deutlich zurückzugehen. Das ist natürlich erfreulich.
Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein oder nachhaltige Veränderung?
Wir erzeugen die meisten Luftschadstoffe Tag für Tag neu – und sie vergehen auch Tag für Tag wieder. Ein paar, wie Kohlenmonoxid oder Ozon, leben auch nur wenige Wochen. Das heißt, der jetzige Effekt einer besseren Luftgüte wäre sofort wieder weg, wenn Verkehr und Industrieproduktion wieder einsetzen.
Und was bedeutet der Shutdown für unser Klima?
Nicht viel. Denn für den Klimawandel sind die Treibhausgase verantwortlich. Diese verhalten sich ganz anders, sind langlebig über Jahrzehnte, allen voran das Kohlendioxid. Ändert sich an unserer Wirtschaftsweise nicht grundlegend etwas, haben wir spätestens 2022 wieder mindestens die selben Emissionswerte wie vor der Corona-Krise.
Bei der Finanzkrise 2008 war die Situation ja ähnlich. Kurzzeitig gab es weniger Emissionen, dafür wurde die Belastung nach Hochfahren der Wirtschaft umso größer – Stichwort Abwrackprämie.
Ebenso nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre. Ein bis zwei Jahre nach einem solchen Knick geht die Emissionskurve sofort wieder nach oben. Bisher leider sogar noch steiler als zuvor.
Haben Sie Sorge, dass auch beim kommenden Wiederaufbau Klimaschutz keine Rolle spielen wird?
Ja, Sorgen in diese Richtung habe ich, jedoch ist die Hoffnung, dass wir dazugelernt haben, größer. Wir haben den Europäischen Grünen Deal und ein doch ambitioniertes Regierungsprogramm für Klimaschutz in Österreich. Gerät dies nun alles in den Hintergrund, wäre das wirklich schlimm und eine vergeudete Chance, ein schwerer strategischer Fehler für Klima und Wirtschaft.
Welche Lehren könnte man denn aus der jetzigen Ausnahmesituation ziehen?
Firmen und auch Privatpersonen können sich überlegen, ob beispielsweise ein beruflicher Termin oder ein Urlaubsort wirklich physisch besucht werden müssen, oder ob man nicht viel mehr via Telebesuch tun kann – so wie es jetzt plötzlich in unzähligen Fällen möglich ist. Weniger physische Mobilität mit fossilen Autos und Fliegern hätte enorme Effekte fürs Klima.
Wie viel Lenkung erwarten Sie sich von der Politik?
Viel klare Lenkung in Richtung wirtschaftlich, sozial und klimagerecht. Nur als Beispiele: Wenn die öffentliche Hand Investitionen in Betrieben unterstützt, dann mit Bedingung, dass bis spätestens Ende 2021 ein CO2-Management eingeführt wird. Gleichzeitig CO2-Preisbonus, etwa 100 Euro für extra eingesparte Tonnen CO2. Und Klimacheck aller Lenkungsmaßnahmen. Ich beziehe das jetzt aber nicht auf die aktuellen Akuthilfen, sondern auf den Aufbau danach.
Haben Sie Hoffnung, dass die Corona-Krise mit all ihren Facetten auch für die Allgemeinheit augenöffnend war?
Ja. Die Menschen sind jetzt etwas bereiter für einen umfassenderen Wandel. Wir haben stets von Kreislaufwirtschaft und Regionalität gepredigt und vor Importabhängigkeiten gewarnt. Jetzt spüren die Menschen am eigenen Leib, wie fragil unsere Wirtschaft ist. Und die Politik übt sich in ernsthafter Gestaltung. Ich erwarte, dass diese neue Bewusstheit uns auch beim Klimaschutz hilft. Regionale Produkte einkaufen und seine eigene Mobilität überdenken ist schon einmal ein guter Anfang!
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