Bei der Eindämmung der Covid-19-Pandemie ist die Virus-Reproduktionsrate die zentrale Einheit für den Erfolg der Maßnahmen. Jüngste Zahlen aus dem ganzen Land zeigen, dass Österreich auf einem guten Weg ist. Laut Epidemiologen liegt die Reproduktionsrate für ganz Österreich derzeit bei 0,67. 100 Infizierte stecken also 67 andere Menschen an, die Zahl der Kranken sinkt somit landesweit. Zum Sorgenkind gerät allerdings die Bundeshauptstadt: Im dicht besiedelten und entsprechend gefährdeten Wien liegt die Reproduktionsrate knapp unter 1. Wird der Wert überschritten, gefährdet das den bisher positiven Trend.
Das geht aus Daten der Epidemiologen der Gesundheitsagentur AGES und der TU Graz hervor. Sie haben die Ansteckungsraten von 16. bis 28. April ausgerechnet: Die Steiermark und das Burgenland lagen um den 28. April etwa bei der für Österreich durchschnittlichen Reproduktionszahl von 0,67. Weniger als 0,5 betrug die effektive Reproduktionszahl für SARS-CoV-2 am 28. April in Kärnten und in Vorarlberg. In Tirol lag sie bei 0,5 bzw. sehr knapp darunter. Jeweils etwas über 0,5 betrug die effektive Reproduktionszahl am 28. April in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg.
Vergleichsweise hohe Reproduktionszahlen in Wien
Sehr knapp unter dem Faktor 1,0 befand sich Wien, womit die Bundeshauptstadt zum Corona-Sorgenkind in Österreich wird. Die Betrachtung des letzten Wertes vom 28. April ist aber sprichwörtlich nur ein „Schnappschuss“. Wegen der Aussagekraft verwenden die Epidemiologen eben längere Zeiträume, in der aktuellen Berechnung die Zeit vom 16. bis 28. April. Das gleicht zufällige tägliche Schwankungen aus.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich am Freitag besorgt über die Zahlen aus Wien und bot Unterstützung an: „Ab heute sind die Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen in Kraft. Gerade deshalb ist es jetzt wichtig, mögliche Infektionen zu vermeiden, indem wir rasch und effizient Infektionsketten durchbrechen. Derzeit erkennen wir hier einen Schwerpunkt bei den Infektionszahlen in Wien, da in den letzten Tagen rund 50 Prozent der Neuinfektionen in der Stadt Wien aufgekommen sind. Ich kann daher als Innenminister erneut anbieten, die Behörden in Wien durch das Landeskriminalamt zu unterstützen.“
Reproduktionszahl zeigt Auswirkung der Lockerungen
Die Reproduktionsraten werden die Experten in den kommenden Wochen genau im Auge behalten müssen, um die Auswirkungen der Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen und anderer Anti-Corona-Maßnahmen zu messen. Ein Wert über 1 würde auf eine weitere Verbreitung statt auf einen Rückgang - wie derzeit registriert - der SARS-CoV-2-Infektionen hinweisen. Sank die Zahl der Covid-19-Patienten in den vergangenen zwei Wochen täglich um durchschnittlich 4,2 Prozent, könnte sie bei einer Steigerung der Reproduktionsrate schnell wieder massiv steigen.
Das hat sich zu Beginn der Corona-Epidemie gezeigt: In der zweiten Märzhälfte lag die geschätzte Reproduktionsrate anfangs bei über 3,0, was die Zahl der Infizierten regelrecht explodieren ließ. Die Folge waren die bekannten strengen Maßnahmen, mit denen die Rate bis Anfang April erfolgreich unter 1,0 gedrückt werden konnte.
Mediziner erwartet steigende Fallzahlen durch Lockerung
Bei der Lockerung der Maßnahmen spielt die Entwicklung der Reproduktionszahl nun die entscheidende Rolle. Naturgemäß bedeutet mehr Bewegungsfreiheit für die Bevölkerung, dass sich das Virus wieder verstärkt ausbreiten kann. Mit rund zwei Wochen Verzögerung bildet die Reproduktionsrate ab, wie sich die Lockerungen auswirken.
Es ist auf jeden Fall zu erwarten, dass die Zahl der Fälle wieder ansteigen wird.
Herwig Kollaritsch, Reise- und Tropenmediziner
Der Wiener Reise- und Tropenmediziner Herwig Kollaritsch: „Wir gehen von einem sehr geringen Niveau bei der Zahl der Fälle aus. Ich glaube, dass wir mit dem Wegfallen der Ausgangsbeschränkungen am Beginn gar nicht sehr viel sehen werden. Das wird eine Zeit lang, wahrscheinlich mindestens ein Monat dauern. Es ist auf jeden Fall zu erwarten, dass die Zahl der Fälle wieder ansteigen wird.“
Ansteckungsrate auch in Deutschland nahe 1,0
Leicht steigende Ansteckungsraten durch das Ende der Ausgangsbeschränkungen waren also zu erwarten - und werden auch im europäischen Ausland beobachtet. In Deutschland stieg die Reproduktionsrate Ende April beispielsweise ebenfalls wieder in Richtung 1,0, geht aus aktuellen Daten des Robert-Koch-Instituts hervor, die von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht wurden.
In Österreich sank die Zahl der Covid-19-Kranken am Freitag im Vergleich zum Donnerstag wieder um fünf Prozent auf unter 1900. Rund 470 Personen mit einer Covid-19-Erkrankung waren Freitagvormittag, Stand 9.30 Uhr, in einem Krankenhaus in Behandlung. 124 von ihnen brauchten intensivmedizinische Betreuung - rund drei Prozent weniger als am Vortag. Die Zahl der Todesfälle liegt aktuell bei 589.
Für Wien wies die Landessanitätsdirektion am Freitagvormittag insgesamt 2531 Infektionen aus - 39 mehr als am Tag zuvor. 1817 Wiener sind nach einer Covid-19-Infektion bereits wieder genesen, 131 sind daran gestorben.
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