Bewegende Tage

Klaus Herrmann: … dann ging es zack, zack, zack!

Politik
17.05.2020 06:00

Im vor einem Jahr veröffentlichten Ibiza-Video spielt die „Krone“ eine entscheidende Rolle. Der FPÖ-Chef wollte die größte Zeitung des Landes verscherbeln und blau umfärben. Ein Protokoll bewegender Tage.

Freitag, 17. Mai 2019
Gegen 18 Uhr versammeln sich fünf Kollegen im Büro der Chefredaktion. In den Tagen davor hatte es Kontakt mit deutschen Journalisten gegeben, von einem Video war die Rede, bei dem es um Heinz-Christian Strache gehe. Die „Krone“ spiele dabei eine Rolle. Um 18 Uhr, so wurde geflüstert, gehe die Story samt Video bei spiegel.de und sz.de, also den Online-Portalen des Magazins „Der Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“, online.

(Bild: "Spiegel", "SZ")

Würden wir da einen großen Knüller sehen? Wir hatten für die Samstag-Ausgabe der „Kronen Zeitung“ für das Thema nur wenig Platz reserviert. Und dann hören wir, wie die „Krone“ hätte verscherbelt werden sollen, wie man zack, zack, zack Köpfe in der Redaktion austauschen wolle und die Zeitung umfärben, um die FPÖ von 27 auf 34 Prozent zu bringen. Jeder meldet sich zu Wort: „Ein Wahnsinn“, „Unglaublich“, „Ja, das ist echt, die beiden sind es wirklich“, „Das gibt’s doch nicht“. Und rasch: „Das überlebt der Vizekanzler nicht, er muss zurücktreten.“

Wir planen die Samstag-Ausgabe total um, wir titeln „FPÖ am Ende! Wie die „Krone“ gekauft werden sollte/Geheimes Video deckt Komplott auf“. Und „Aurelius“ kommentiert: „Russisches Geld, feuchtfröhliche Abende, geheimnisvolle Frauen, das ist das Umfeld, in dem sich Szenen abspielen, die jetzt geeignet sind, die Regierung zu sprengen.“ Und Aurelius verweist auch auf längst schwelende Spekulationen, wenn er mit Verweis auf Aussagen im Video schreibt: Völlig unverblümt wird erklärt, wie man sich mit der Hilfe von obskuren Geldgebern den Einfluss der „Krone“ krallen will.

(Bild: Kronen Zeitung, krone.at-Grafik)

Samstag, 18. Mai 2019
Die Ereignisse überschlagen sich. Es zeichnet sich rasch ab, dass der Vizekanzler zurücktritt, was er zu Mittag auch verkündet. Um 19.52 Uhr kündigt schließlich auch Bundeskanzler Kurz mit den Worten „Genug ist genug“ das Ende der türkis-blauen Regierung an. Und Kurz ergänzt: „Die FPÖ kann es nicht.“ Wir bereiten im eilig zusammengerufenen Riesenredaktionsteam für die Sonntag-Ausgabe 16 Seiten vor. Zitieren da Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der erstmals sein legendäres „So sind wir nicht“ von sich gibt.

Die „Krone“ ist zum „Runden Tisch“ in das ORF-Zentrum geladen. Dort treffe ich vor dem Studio SPÖ-Chefin Rendi-Wagner. Ihr ist keine Freude darüber anzumerken, sich viel früher als erwartet den Wählern stellen zu können. Am „Runden Tisch“ werde ich gefragt, was die beiden Ibiza-Protagonisten für mich seien: „Schwachköpfe“ - diese Spontan-Antwort wurde nie geklagt. Und sie tut mir auch nicht leid.

(Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)

Sonntag, 19. Mai 2019
Wir bereiten 14 Seiten Berichte für unsere Montag-Ausgabe vor. Claus Pándi erinnert in seinem Kommentar an einen von ihm Wochen zuvor verfassten Beitrag, in dem er schrieb: „Die Freiheitlichen sind nicht regierungsfähig. Der FPÖ fehlt es an den geistigen, den moralischen Voraussetzungen für eine vertrauenswürdige Rolle im Staat.“ Wir bringen vier Seiten Leserbriefe. Der Tenor der Leser: schwere Enttäuschung über die Freiheitlichen und ihren Chef. Auch Spar-Chef Gerhard Drexel meldet sich zu Wort und rät: „Die ,Krone‘ vom 19. Mai sollte jeder Österreicher und vor allem jeder Demokrat aufbewahren! Diese ,Krone‘ ist ein einzigartiges Statement für die Unabhängigkeit der Medien und dass es keine Demokratie ohne unabhängige Medien geben kann.“

Montag, 20. Mai 2019
Auf der politischen Bühne die nächste Bombe: Kanzler Kurz wirft FPÖ-Innenminister Herbert Kickl aus der Regierung. Auch in der „Krone“-Redaktion geht es rund: Um 9.30 Uhr steht schon das schwedische TV vor der Tür. Es folgen Radiointerviews für viele deutsche Hörfunksender, dann kommt noch ein Team der „ZiB 2“. Conny Bischofberger kommentiert für die Dienstag-„Krone“: „Das geschieht ihm ganz recht! Kein bisschen Mitleid hat man mit dem ehemaligen Vizekanzler, der sich im Skandalvideo aus Ibiza in betrunkenem Zustand um Kopf und Kragen geredet hat.“

Herbert Kickl muss gehen. (Bild: APA/picturedesk.com/Herbert Pfarrhofer)
Herbert Kickl muss gehen.

Dienstag, 21. Mai 2019
Die Nachricht vom Tod Niki Laudas nimmt vorübergehend ein wenig grelles Licht aus der Ibiza-Affäre. Sebastian Kurz nominiert neue Minister als Ersatz für die blaue Regierungsriege. Doris Vettermann kommentiert den neuen Eindruck vom Bundespräsidenten: Er sei bisher nicht großartig aufgefallen. Doch „in der Regierungskrise zeigt sich der enorme Vorteil der unerschütterlichen Ruhe“. Neben einem NDR-TV-Team kommt „Der Spiegel“ zum Interview mit „Krone“-Herausgeber Dr. Christoph Dichand ins Haus.

(Bild: AP)

Freitag, 24. Mai 2019
Es sickert durch, dass die SPÖ und FPÖ Kanzler Kurz stürzen möchten. „Krone“-Postler Michael Jeannée schreibt an den neuen blauen Chef Hofer: Sie sind der „gute“ FPÖler. Und appelliert an ihn, er möge nicht mitmachen beim Kurz-Sturz.

Sonntag, 26. Mai 2019
Tag der EU-Wahlen, wir titeln: „Schicksalstage für Österreich.“ Zitieren wieder Aurelius, der schrieb: „Egal ist es nicht, wem Medien gehören. Die Unabhängigkeit und Freiheit der Medien muss gelebt werden können, geschützt von und vor der Politik.“ Wir bringen eine Stellungnahme des Betriebs- und Redaktionsbeirats der „Kronen Zeitung“, unterzeichnet von Veronika Wunderbaldinger und Lukas Lusetzky. Unabhängigkeit und Pressefreiheit seien für die „Kronen Zeitung“ nicht verhandelbar. Sie sind seit 60 Jahren unser oberstes Handlungsprinzip.

(Bild: Peter Tomschi)

In einem Interview auf Seite drei der renommierten „Welt am Sonntag“ fragt Autor Boris Pofalla zu Verscherbelungs- und Kaufgelüsten um die „Krone“: „Eine Mehrheit an Österreichs reichweitenstärkster Zeitung hätten offenbar viele gern. Ist denn die ,Kronen Zeitung‘ wirklich noch so mächtig?“ Ich antworte: Unser Gründer Hans Dichand hat die „Krone“ in den 60ern als Volks- oder Familienzeitung definiert, und das trifft auch immer noch zu. Nicht nur beim sogenannten kleinen Mann, sondern auch unter Akademikern sind wir die meistgelesene Zeitung in Österreich.

Und in der Zeitung „Schweiz am Wochenende“ beschäftigt man sich ausführlich mit dem „Mythos Kronen Zeitung“, der, wie anerkennend berichtet wird, „Zeitung mit der weltweit größten Reichweite in einem Land“. Interviewer Pascal Ritter wollte unter anderem wissen, ob es realistisch sei, was der FPÖ-Chef im Zusammenhang mit der Übernahme der „Krone“ gesagt habe, dann würde die FPÖ 34 statt 27 Prozent machen. Meine Antwort: Das ist Unsinn. Strache glaubt, er könne mit der Auswechslung von ein paar Köpfen die „Kronen Zeitung“ zu einem FPÖ-Blatt machen. Damit verunglimpft er unsere Leser.

Video: Österreicher erinnern sich an den Ibiza-Skandal vor einem Jahr

Montag, 27. Mai 2019
Wir titeln: „EU-Wahl-Triumph als Turbo für Kurz“. An diesem Tag nach der Wahl wird der Triumphator vom Parlament abgewählt. Unser Titel: „KURZSCHLUSS“. Am nächsten Tag wird er im Interview mit Conny Bischofberger sagen: „Ich würde alles wieder so machen.“

„Krone“-Redakteurin Conny Bischofberger im Gespräch mit Sebastian Kurz (Bild: Zwefo)
„Krone“-Redakteurin Conny Bischofberger im Gespräch mit Sebastian Kurz

Donnerstag, 30. Mai 2019
Bundespräsident Alexander Van der Bellen stellt überraschend die VfG-Präsidentin Brigitte Bierlein als Kanzlerin einer Beamtenregierung vor.

Dienstag, 4. Juni 2019
Eine Premiere: Im Presseclub Concordia treffen sich die Chefredakteure der wichtigsten Zeitungen des Landes, um sich über die bedrohte Pressefreiheit auszutauschen. Dr. Christoph Dichand hält ein Plädoyer für die Unabhängigkeit der Medien. Man verständigt sich schließlich auf eine gemeinsame „Klarstellung“.

Samstag, 15. Juni 2019
Die Klarstellung erscheint in allen 18 Zeitungen. Darin heißt es unter anderem: „Wer die Grenze zwischen Journalismus und Politik missachtet, gefährdet die Grundlagen der Demokratie. Da diese Selbstverständlichkeit offenbar infrage steht, ist es uns wichtig, in aller Klarheit daran zu erinnern.“

Daran zu erinnern: Das ist auch heute, genau ein Jahr nach Ibiza, topaktuell!

Klaus Hermann, Kronen Zeitung

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