Wolfgang Schüssel wird 75. Im Geburtstagsinterview mit Conny Bischofberger spricht der ehemalige Bundeskanzler über Mut und Macht, die FPÖ, seinen jungen Nachfolger, Cellos und Frauen sowie ein Leben nach dem Tod.
Sein Büro bei der „Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik“ befindet sich über den Arkaden der Spanischen Hofreitschule in Wien 1. In der Ecke steht ein Klavier, „erst gestern habe ich wieder ein Privatkonzert gegeben“, lacht Wolfgang Schüssel und nimmt vor einem riesigen Scherenschnitt der Künstlerin Anna Stangl Platz. „Sie hat das ursprünglich für eine Jagdausstellung gemacht, aber dann haben wir das Ganze umgedreht“, erzählt er, und man sieht an seinem schelmischen Blick, dass ihm, dem ehrenamtlichen Aufsichtsratsvorsitzenden des Tierparks Schönbrunn, das großen Spaß gemacht hat. Nun jagen Hasen Wölfe, Fasane verscheuchen Rehe, und über dem lustigen Treiben im Wald thront ein kleiner Singvogel. Das Werk ist mit Hunderten kleinen Nägeln an der Wand befestigt.
Den 75. Geburtstag am 6. Juni hat der längstdienende ÖVP-Obmann in der Geschichte zum Anlass genommen, ein Buch zu schreiben und Interviews zu geben. „Was. Mut. Macht.“ ist auf dem kleinen Tischchen zwischen unseren Fauteuils aufgestellt. „Es ist kein Blick in den Rückspiegel oder eine Balkonsicht auf die Bühne anderer. Eher ein Kaleidoskop von Gedanken, Begegnungen und Anekdoten, Innehaltendes im Lärm unserer Zeit.“ Schüssel trägt ein nachtblaues Samtsakko, der Farbton zieht sich in verschiedenen Schattierungen und Mustern über Hemd, Krawatte und Hose bis zu den Socken. Im „Krone“-Gespräch blickt er dann doch zurück, auf Erfolge und Skandale, und auch auf den Balkon seines jungen Nachfolgers.
„Krone“: Warum haben Sie dieses Buch geschrieben, Herr Dr. Schüssel?
Wolfgang Schüssel: Mich haben die Doppelmemoiren des französischen Diplomaten und Literaten Jean Giraudoux inspiriert, mir ist das Buch auf Schloss Ellmau in die Hände gefallen. Nicht dass ich literarisch auch nur annähernd diesen Himalaya erklimmen könnte, aber diese Mischung aus Aphorismen und Begegnungen haben mich fasziniert. Also habe ich in meinem Gedächtnis gestierlt und meine Zeichnungen durchgeschaut und dann ist das im Lauf des letzten Jahres gewachsen.
Wie schreiben Sie? Auf Zettel, in Notizbücher, oder direkt in den Computer?
Auf meinem iPad, ich bin da mittlerweile recht flink, obwohl ich das Zehnfingersystem nicht beherrsche, ich tippe mit fünf, sechs Fingern. Ich bin der Beweis, dass auch ältere Menschen noch lernen können, auf dem Computer zu arbeiten (lacht). Außerdem habe ich ja meine Kinder als Mentoren.
War es mehr Lust oder Qual?
Qual würde ich nicht sagen, aber es war schwierig, weil meine Disziplin eigentlich die Rede ist, das fällt mir extrem leicht und klingt flüssig. Eine spannende Rede ist ganz was anderes als ein knapper Text, das Buch besteht ja aus 200 kleinen Geschichten. Jede könnte ich in einem Essay von zehn Seiten ausbreiten, und mein Anspruch war es, sie so zu verdichten, dass sie trotzdem spannend und gehaltvoll bleiben. Das ist Arbeit, Lust wäre also genauso übertrieben.
Im Vorwort beschreiben Sie sich als „Possibilisten“. Was soll das sein?
Auf die Frage: „Sind Sie Optimist oder Pessimist?“ habe ich früher immer geantwortet: „Optimist, denn Pessimist ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst.“ Heute gefällt mir der dritte Begriff, er stammt von Hans Rosling, besser. Ein Possibilist findet immer eine bessere Alternative und schafft sich und anderen eine bessere Welt.
Sie waren sieben Jahre lang Bundeskanzler dieser Republik, sind mit zwölf Jahren längstdienender ÖVP-Obmann. Wie würden Sie Ihr politisches Vermächtnis in einem Satz beschreiben?
Vermächtnis klingt, als wäre ich bald tot … Ein Satz reicht nicht aus. Deshalb zitiere ich Shimon Peres. Ich habe seine letzte Rede in Italien bei einer Konferenz gehört, ein paar Tage später hat er einen Gehirnschlag erlitten und nicht überlebt. Ein Jahr später kam sein Sohn zur gleichen Konferenz und hat uns erzählt, dass er seinen Vater gefragt habe, ob er etwas bedaure oder besser machen hätte können. Peres sagte: „Meine Träume waren nicht groß genug.“ Ich finde, das ist ein unglaublich schöner Satz. Den sollte sich jeder junge Mann oder jede junge Frau, die in die Politik geht, zu Herzen nehmen. Mutig sein, sich was trauen, träumen! Nicht im irrealen, sondern eben im possibilistischen Sinn.
Wie mutig waren Sie?
Feigheit hat mir nie jemand vorgeworfen. Aber es gibt natürlich immer Luft nach oben. Letztlich müssen es andere entscheiden.
Ihr Verhältnis zur Kronen Zeitung war nicht immer friktionsfrei. Wie ist es heute?
Ich bin ein absoluter Zeitungsfreak im klassischen Sinn, ich werde mich nie mit E-Papers oder Social Media anfreunden. Ihr verstorbener Herausgeber hat unbestreitbare Verdienste um das Pressewesen in Österreich - „Kleine Zeitung“, „Kurier“, Kronen Zeitung - und er hat Zeit seines Lebens immer die besten Köpfe um sich geschart. Ich habe mich einige Male mit ihm getroffen, wir haben hart diskutiert, so ist es nicht. Ich glaube, mit wechselseitigem Respekt. Er hat es natürlich nicht gerne gehabt, wenn jemand seinen Plänen nicht gefolgt ist. Für mich sind Medien der Spiegel der Gesellschaft, Mikroskope, Röntgenapparate, wenn man so will. Aber gegenüber der Politik gibt es eine klare Arbeitsteilung. Also ich habe mich zu wehren gewusst (lacht). Das hat an meiner Wertschätzung für Zeitungen - auch für die „Krone“ -, die mich zeitweise gut oder weniger gut behandelt haben, nichts geändert.
Ärgern Sie sich, dass von Ihrer Zeit in vielen Köpfen vor allem das Bild, auf dem Sie mit Haider im Porsche sitzen, und so mancher Skandal übrig bleibt?
Das Porsche-Foto war ja ein privates Bild, da waren meine Frau und ich bei Jörg Haider und seiner Familie im Bärental eingeladen. Dieses persönliche Ambiente von ihm zu sehen, war schon sehr interessant. Und dann hat er mich eingeladen, zu einem Volksfest zu fahren, und hat mich mit seinem Auto mitgenommen. Und, bitte, ich habe das ja nie ganz verstanden, normalerweise ist ja der Chauffeur nicht derjenige, der die Gestaltungsmacht hat. Auch mein Kurt Brunner, den ich über all die Jahre als Fahrer gehabt habe, wäre nie öffentlich als einer beschrieben worden, der so das Steuer der Politik in der Hand hält. Auch Jörg Haider hat sicher nicht meine Politik gesteuert, sondern nur das Lenkrad. Die Politik habe ich in Wien mit Susanne Riess, die ich sehr geschätzt habe und noch immer extrem schätze, gestaltet und natürlich auch mit Grasser, Scheibner, Gorbach. Das waren schon auch beachtliche Persönlichkeiten. Und nicht alles, was als Skandal ausgeschildert ist, ist auch ein Skandal. Ich war ja immerhin vier Jahrzehnte im Parlament, fast zwei Jahrzehnte in der Regierung, sieben Jahre als Bundeskanzler. Es gibt keine einzige Geschichte, die mir etwas Unehrenhaftes oder gar Kriminelles nachweisen hätte können.
In Ihrem Vorwort schreiben Sie: „Wer keine Grenzen anerkennt, rücksichtslos agiert und sich selbstverliebt verwirklicht, sollte besser einen weiten Bogen um die Politik machen.“ Ist da vielleicht Sebastian Kurz gemeint?
Nein, das ist ein ganz genereller Satz. Politik ist eine unglaublich schöne, verantwortungsvolle, nicht immer ganz leichte, aber faszinierende Aufgabe. Politik ist Dienst an der Gesellschaft. Jeder, der glaubt, er wird dort reich oder kann sich selbst verwirklichen, ist am falschen Platz. Die Bevölkerung ist klug genug, um das zu durchschauen. Sebastian Kurz, den amtierenden Bundeskanzler, schätze ich außerordentlich, der macht das hervorragend, sehr professionell und umsichtig, was nicht so selbstverständlich ist für einen jungen Mann.
Er hat im Interview mit mir folgenden Satz gesagt: „Ich bin in einer Zeit politisch sozialisiert worden, in der es undenkbar war, dass die Volkspartei stärkste Kraft in Österreich ist.“ Tatsächlich hat er 37 Prozent erreicht und Sie 42. Hat er da was verschlafen?
In den Umfragen hatte er sogar noch deutlich mehr. Damals war das eine andere Situation. Das für mich sensationelle und unglaublich positive Wahlresultat im Jahr 2002, mit 42,3 Prozent, hatte ja auch gute Gründe. Diesen gigantischen Zuwachs von 14,3 Prozentpunkten hat es in der Geschichte der Zweiten Republik vorher und nachher nie mehr gegeben. Wir haben wirklich versucht, sehr behutsam und klug mit diesem Resultat umzugehen.
Indem Sie mit der FPÖ koaliert haben und nicht mit den Grünen?
Ich wollte damals eine Koalition mit den Grünen machen und Van der Bellen wollte auch und Eva Glawischnig wollte auch. Das Problem war, dass zwei Drittel der grünen Funktionäre dagegen waren, beim berühmten Bundeskongress. Mich hat sehr beeindruckt, wie Werner Kogler sein Ergebnis mit Kurz bei diesem Bundeskongress verteidigt hat. Er war damals auf der anderen Seite und hat den Abbruch der Verhandlungen empfohlen. Kogler meinte: „Je mehr Jahre vergangen sind, umso mehr frage ich mich, ob das gescheit war. Und ich bin bis heute nicht sicher.“ Das war sehr ehrlich. Und es ist für mich eine Genugtuung, dass das mit Sebastian Kurz und Werner Kogler jetzt funktioniert und Österreich hoffentlich wirklich weiter voranbringen wird.
Es gibt heute viele in der ÖVP, die Sebastian Kurz ihren „Ziehsohn“ nennen. Sie auch?
Erzogen haben den Sebastian Kurz seine Eltern. Ich kannte ihn als Obmann der Jungen ÖVP, als ich Parteiobmann war. Später hat ihn Michael Spindelegger in die Politik geholt. Aber es ist keine Frage, dass er aus eigener Kraft sehr viel erreicht hat. Ich erinnere mich, dass er einmal zu mir kam und mich gefragt hat, ob ich bereit wäre, mit der Jungen ÖVP über Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Ein älteres Semester wie ich muss für die Jungen zur Verfügung stehen, also habe ich gesagt: „Selbstverständlich.“ Ich dachte mir, da werden 20, 30 Leute kommen. Dann kam ich in eine Disco im 8. Bezirk, 400 Leute haben dreieinhalb Stunden diskutiert, Sebastian Kurz saß in der ersten Reihe und schrieb mit. Das fand ich lobens- und nachahmenswert. Das machen nicht viele.
Tauschen Sie sich auch heute noch manchmal aus?
Wenn Sebastian Kurz oder auch die anderen - Blümel, Edtstadler, Wöginger oder wer auch immer - etwas will, selbstverständlich. Aber natürlich nie über die Medien.
Dem jungen Kanzler werden oft absolutistische Ambitionen nachgesagt. Wie sehen Sie das?
Das ist doch nur ein Pickerl, das ihm auf die Stirn gepickt wird. Wir leben in einer Demokratie. Mit 38 oder auch 40 Prozent hast du nie einen absoluten Machtanspruch. Du bist hinten und vorne kontrolliert, von der Öffentlichkeit, von der Opposition, von den Gerichten, von der Justiz. Dass jeder Politiker Macht anstrebt, ist klar. Er braucht sie ja auch. Interessant ist, dass gerade die Ohnmächtigen, die auch gerne mehr Macht hätten, am meisten darüber jammern. „Neoliberal“ ist auch so ein Pickerl, das kann ich schon überhaupt nicht mehr hören. Die Gleichen, die es verwenden, klagen dann, dass die liberale Demokratie in Gefahr ist. Also ist „liberal“ jetzt gut oder schlecht?
Kurz hat nach der Flüchtlingskrise jetzt die Corona-Krise zu bewältigen. Ihre Note?
Ich finde, er hat Mut bewiesen. Sonst hätte er viele Entscheidungen so nicht treffen können. Mut ist eine Eigenschaft, die eine Führungspersönlichkeit auszeichnet. Denn Politik hat ja sehr viel damit zu tun, in unsicheren Situationen, wo nicht alle Entscheidungen und nicht alle Informationen zu hundert Prozent auf dem Tisch liegen, trotzdem zu entscheiden. Nietzsche hat gesagt: „Wenn du handeln willst, musst du die Tür zum Zweifel schließen.“ Der Politiker kann nicht immer nur zuwarten. Der muss sich hinstellen und seine Verantwortung wahrnehmen.
Sie haben Sebastian Kurz jetzt viele Rosen gestreut. Fällt Ihnen gar kein Kritikpunkt ein?
Ach, das ist doch eure Aufgabe. Ihr findet sicher bald wieder ein paar Krümel.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Ibiza für Sie ein Déjà-vu war. War es nach Ihren Erfahrungen wirklich notwendig, noch einmal mit der FPÖ zu koalieren?
So wie ein gewisser Herr Strache und ein gewisser Herr Gudenus 2002 Knittelfeld inszeniert haben, sprengten sich Strache und Gudenus vor einem Jahr mit Ibiza in die Luft. Strache war immer ein Gegner unserer damals erfolgreichen Koalition. 2002 wollte er die Regierung stürzen. 2005 musste sich der moderate Teil des Koalitionspartners von ihm sogar abspalten, um eine vernünftige und proeuropäische Politik zu gestalten. Also hat mich Ibiza nicht wirklich überrascht. Aufgrund der damaligen Situation der SPÖ war es aber schwierig, eine Regierung zu bilden, eigentlich alternativlos.
Wie beurteilen Sie die SPÖ heute?
Sie ist im Moment in einer Situation, wo sie sich selber reparieren und ändern muss. Wenn ich die Partei mit früher vergleiche, ist das ein müder Abklatsch. Da muss man gar nicht Altvater Kreisky zitieren, nehmen Sie Sepp Wille, Hertha Firnberg, Hannes Androsch, Heinz Fischer. Da findet schon eine Verengung statt, die nicht gut ist, auch nicht für den politischen Diskurs.
Wie sehen Sie als ehemaliger Wirtschaftsminister den Niedergang der Industrie und des Fremdenverkehrs nach dem Corona-Shutdown?
(Seine Stirn legt sich in Falten, kurze Nachdenkpause) Das wird uns noch sehr zu schaffen machen. Es wird sicher noch zwei Jahre mindestens dauern, bis eine substanzielle Erholung spürbar wird. Aber es liegt in unserer Hand. Possibilist sein heißt: Wir können es schaffen. Ich finde es beachtlich, was jetzt auch auf europäischer Ebene geschieht. Nicht nur, dass die Nationalstaaten zwischen zehn und 15 Prozent ihres Jahresvolkseinkommens, des BIP, für die Krisenbewältigung eingesetzt haben, auch die Europäische Union wird ein unglaubliches Paket auf die Reise bringen. Der ESM, der Stabilitätsmechanismus, hat 400 Milliarden bereitgestellt, die Europäische Zentralbank kauft um 900 Milliarden Euro Anleihen, die Finanzminister haben über 500 Milliarden außer Streit gestellt, jetzt wird über das 1500-Milliarden-Euro-EU-Budget für die nächsten sieben Jahre diskutiert.
Ist es da gut, wenn Österreich sich mit drei anderen Ländern zusammentut und Angela Merkels Plan, den Ländern Geld für die Corona-Bekämpfung zu geben, torpediert?
Da wird nichts „torpediert“, sondern es wird darüber diskutiert, wie diese außer Streit stehenden 500 Milliarden verwendet werden sollen, wie es verwendet wird, nämlich erstens nicht für Schuldentilgung, sondern wirklich für die Corona-Bekämpfung und für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, und zweitens nicht für jeden, sondern für die, die es wirklich brauchen, und das mit Auflagen. Ich finde das ganz gut, dass in einer Demokratie mit 27 Mitgliedsländern über solche Vorschläge diskutiert und nicht einfach abgenickt wird.
Also Sie haben Verständnis für die „Sparsamen Vier“?
Ja, weil sie recht haben, und am Ende wird ein Kompromiss herauskommen, so läuft das immer in Europa.
Wenn man Sie so reden hört, drängt sich die Frage auf, ob Sie sich eine Rückkehr in die Politik vorstellen könnten?
Ich bitte Sie! Ich bin so alt wie die Republik.
Alexander Van der Bellen ist älter als die Republik.
Aber wir sind ja Gott sei Dank nicht in Amerika, wo gerade ein 74-Jähriger gegen einen 78-Jährigen kandidiert. Nein, wirklich. Da ist mir das europäische Modell, wo die Jungen am Ruder sind - Macron in Frankreich, Kurz in Österreich, die Frauen in Finnland und in Belgien - schon sympathischer.
Wenn man Sie fragen würde, ob Sie als Bundespräsident kandidieren, würden Sie dann Nein sagen?
Nein, nein. Zweimal nein! Da bin ich auch schon viel zu weit weg. Ich mache international noch immer sehr viel, in Österreich die Gesellschaft für Außenpolitik, und ehrenamtlich den Tiergarten Schönbrunn, und das reicht mir völlig. Ich will auch ein bisschen Zeit für mich behalten, für meine Enkelin, für mein Cello, für meine Fußballfreunde, für meine Berghütte. Ich hatte meine Zeit und habe sie genossen. Mehr Lust als Qual!
Wie oft spielen Sie noch Cello?
Fast jeden Tag. Ich bin keiner, der stundenlang Tonleitern übt, aber ein bisschen was- ein, zwei Stücke - spiele ich täglich. Und einmal in der Woche musizieren wir in einer kleinen Runde, entweder als Quartett oder in einem größeren Kammermusik-Ensemble. Mstislaw Rostropowitsch hat mir gesagt: Das Cello ist eigenwillig wie eine Frau, du musst sanft und zärtlich zu ihm sein. Für mich sind Musik und Kunst und Kultur Lebensmittel. Immer wenn es mir schlecht gegangen ist, habe ich mich ans Klavier gesetzt, einen Boogie-Woogie heruntergetrommelt und die Welt hat gleich besser ausgeschaut.
Denkt man mit 75 auch manchmal ans Sterben?
Ich bin als Kind von starken Frauen aufgezogen worden. Meine Mutter war alleinerziehend, der Vater hat sich relativ früh vertschüsst und sie hat sogar den Beruf gewechselt, damit sie mehr Zeit für mich hat. Und die Schwester meines Vaters, eine der ersten Absolventinnen an der Wiener Uni für Deutsch und Geschichte, hat quasi die Vaterrolle übernommen. Diesen Frauen habe ich sehr viel zu verdanken und ich habe auch den Tod der beiden miterlebt. Natürlich, diese Facette des Lebens bewegt jeden, je älter man wird. Mein Motto ist: Offen bleiben, neugierig sein! Ich lasse das herankommen, hoffe aber, dass es noch ein bisschen dauert.
Was kommt nach dem Tod?
Ein Übergang. So wie ein Embryo keine Ahnung hat, was ihn am anderen Ende des Geburtskanals erwartet, so geht es uns wahrscheinlich auch bei diesem Übergang. Ich bin ja ein nach wie vor gläubiger Mensch, auch wenn ich da und dort gelegentlich Probleme mit der Amtskirche hatte. Aber im Prinzip bin ich zuversichtlich, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern dass etwas Neues kommt. Nicht im Sinne der ewigen Wiederkehr, dass man dann als Ameise oder Fliege wiedergeboren wird oder als Skorpion oder als Rabe. Sondern in einer neuen Seinsform, die hoffentlich auch mehr Erkenntnis bringt.
Zum 40. Geburtstag haben Sie ja den Mont Blanc bestiegen, was werden Sie zum 75er machen?
Corona-bedingt sind alle Feiern abgesagt. Wir werden mit der Familie auf unserer Almhütte im Lachtal, auf 800 Metern Seehöhe, feiern und das wird sehr schön sein. Dort haben wir übrigens einen kleinen Scherenschnitt, mit den Tieren dieser Region. Luchs, Falke, Hase, Vögel, man glaubt ja gar nicht, was da alles lebt.
Fehlen nur noch Babyelefanten.
Ich war bei Barbara Stöckl, da haben wir die Sendung für kommenden Donnerstag aufgezeichnet, da ist auch eine Elefantenforscherin, die sich mit der Sprache der Tiere beschäftigt. Sie erzählt, dass Elefanten Dialekte haben, das wusste ich nicht.
Hat sie festgestellt, wie groß ein Babyelefant wirklich ist?
Ja, aber das weiß ich selber. Erst letzten Sonntag bin ich mit meiner kleinen Enkelin, meiner Lieblingselfe, im Tiergarten herumgewandert. Dreieinhalb Jahre, sie kennt sich dort ganz genau aus. Und natürlich waren wir auch beim Babyelefanten. Der wiegt 300 Kilo, ist einen Meter vierzig breit und mit Rüssellänge kommt er auf über zwei Meter. Also schon viel zu groß für die Abstandsregel.
Politiker, Musiker, Karikaturist
Geboren am 7. Juni 1945 in Wien, die Mutter zieht das Kind allein groß. Nach dem Jus-Studium beginnt Schüssel 1968 seine politische Laufbahn bei der ÖVP. 30 Jahre lang ist er im Parlament und in der Regierung, ab 2000 sieben Jahre lang als Bundeskanzler und später als Ratspräsident der Europäischen Union. Seit Dezember 2008 ist Schüssel Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen (ÖGAVN). Privat spielt er Cello und Fußball. Verheiratet mit der Kinderpsychologin Krista (zwei Kinder, eine Enkeltochter). Sein Buch „Was. Mut. Macht.“ erscheint am 5. Juni bei Ecowin, die Karikaturen stammen aus seiner Feder.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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