Der eine ist der erste grüne Vizekanzler, der andere ÖVP-Landeshauptmann der Steiermark. Bei Backhendl und Steirer-Wein, serviert beim Grazer „Stoffbauer“, diskutieren Werner Kogler und Hermann Schützenhöfer über die Corona-Krise, die Gemeinderatswahlen, die Formel 1 - und die unglückliche Formulierung „Koste es, was es wolle“.
„Krone“: In Österreich werden aktuell intensiv die Corona-Lockerungsmaßnahmen diskutiert. Ist die Bundesregierung da zu locker unterwegs?
Werner Kogler: Wir gehen in Zwei-Wochen-Schritten vor und haben zuletzt große Schritte gemacht. Im Sportbereich etwa ist schon sehr viel möglich. Wenn sich die Infektionszahlen nicht ändern, und danach schaut es im Moment aus, können wir die Lockerungen sogar ausweiten. Und auch eine Vereinfachung der Maßnahmen vornehmen. Wenn es gelingt, Infektionsherde rasch zu identifizieren, kann man insgesamt großzügiger bleiben. Würde es eine negative Trendwende geben, müssen wir ohnehin auf die Bremse steigen. Wir haben also einen Aufsperrplan mit hoher Geschwindigkeit - allerdings mit eingebauter Notbremse.
Sollte es eine zweite Infektionswelle geben: Glauben Sie, dass die Bevölkerung diese genauso diszipliniert mittragen würde wie beim ersten Lockdown?
Kogler: Man muss und kann nicht immer 100 Prozent der Bevölkerung zufriedenstellen. Im Mai, als wir zuletzt die Stimmungslage erhoben haben, gab es eine Dreiteilung: Einem Drittel der Österreicher gingen die Lockerungen zu langsam, ein Drittel war mit der Vorgangsweise der Regierung zufrieden, ein Drittel hatte Sorge, dass alles zu schnell geht. Wir Politiker müssen abwägen und entscheiden. Grundsätzlich erwarte ich eine zweite Welle nicht so schnell, eher im Herbst oder im Winter.
Herr Landeshauptmann, Sie mussten so wie alle Länderchefs brav die Corona-Vorgaben der Bundesregierung umsetzen. Zuletzt mehrten sich die Proteste - von Ihnen hat man nichts Kritisches gehört. Also alles okay, was Kurz und Kogler so machen?
Hermann Schützenhöfer: Wir haben so etwas - auch was meine Generation, ich bin Jahrgang 1952, anbelangt - noch nie erlebt. Das ist eine Krise - aber keine Not, wie sie unsere Eltern und Großeltern erlebt haben. Im internationalen Vergleich hat Österreich diese Krise gut bis vorbildhaft gemeistert. Ich habe mich deshalb zurückgehalten, weil ich nicht mehr täglich eine Schlagzeile produzieren muss. Andere Landeshauptleute haben Pressekonferenzen am laufenden Band gegeben - wenn etwas zu sagen war, dann habe ich das intern gemacht.
Herr Kogler, mit welcher Entscheidung haben Sie am meisten gerungen?
Kogler: Am meisten habe ich mit der Frage gehadert, wann der richtige Tag für den Lockdown gekommen ist. Hätten wir noch eine Woche gewartet, wären wir gegen die intensivmedizinischen Kapazitäten gekracht - dann wären Menschen gestorben, die sonst nicht hätten sterben müssen. Nach diesem ethischen Prinzip sind Sebastian Kurz und ich vorgegangen. Ich ringe eher mit Entscheidungen, bei denen wir möglicherweise eine Spur zu langsam waren.
Das Regierungsmotto „Koste es, was es wolle“ interpretieren jene Unternehmer, bei denen die Corona-Hilfen noch nicht angekommen ist, als Verhöhnung. Ein bekannter Grazer Familienbetrieb, der Umsatzeinbußen von 75 Prozent erlitten hatte, bekam zwölf Wochen nach dem Lockdown aus dem Härtefall-Fonds gerade einmal 9,72 Euro überwiesen. Was läuft da falsch?
Kogler: Manches mag zu langsam gehen, und manches muss noch korrigiert werden, das stimmt. Im konkreten Fall kann das auch mit den damaligen Richtlinien des Finanzministeriums zu tun haben, wonach ein Einzelner nicht mehr als monatlich 2000 Euro erhalten soll. Aber es stimmt auch, dass die Auszahlungssummen seit Juni vervielfacht wurden. Ich weise den Vorwurf zurück, dass keiner etwas kriegt und alle nur unzufrieden sind. Wenn es Probleme gibt, bin ich der Erste, der hinschaut und antreibt. Aber es gibt auch Fälle, wo sich Leute beschweren - und sich dann herausstellt, dass sie noch nicht einmal einen Antrag gestellt haben.
War dieses „Koste, was es wolle“ ein Fehler?
Schützenhöfer: Die Stimmung hat sicherlich darunter gelitten, dass es ein Anspruchsdenken gibt. Das ist möglicherweise ausgelöst durch dieses „Koste es, was es wolle“ - als gelernter Kaufmann bin ich da zusammengezuckt. „Koste es, was es wolle“ kann keine Familie sagen, wenn sie sich etwas anschafft. Aber im ersten Schockzustand wollte man den Leuten wohl signalisieren: „Das kriegen wir hin.“
Kogler: Die Übersetzung war unglücklich. Die Redewendung „Whatever it takes“, die ja auf Mario Draghi, den Ex-Chef der Europäischen Zentralbank, zurückgeht, bedeutet eigentlich: „Alles, was es braucht“.
Apropos Signale: Ministerin Christina Aschbacher hat kürzlich in einer medialen Inszenierung einem Baby einen 100-Euro-Geldschein in die Hand gedrückt. Herr Landeshauptmann, Sie haben die Frau Minister erfunden.
Schützenhöfer: Es geht hier ja eigentlich um wichtige Unterstützungsleistungen für Familien. Und nicht um ein Foto, zu dem ich ihr nicht geraten hätte.
Haben die Grünen eigentlich die bessere Mannschaft als die Türkisen, was die Minister betrifft?
Kogler: Im Großen und Ganzen machen alle Regierungsmitglieder einen guten Job.
Man hat den Eindruck, dass die Corona-Krise die Regierung zusammengeschweißt hat. Haben Sie Sorge, dass auch aufgrund der Macht des Kanzlers die grüne Handschrift immer mehr verblasst?
Kogler: Eigentlich nicht. Die Zusammenarbeit in einer epochalen Krise wie dieser ist sicher eine andere als sonst. Weltweit stehen die Regierenden im Vordergrund, das zeigt sich an den gestiegenen Beliebtheitswerten für Sebastian Kurz, Rudi Anschober oder mich. Dass die Werte jetzt wieder sinken, ist eine natürliche Entwicklung.
Sie haben keine Angst, von der ÖVP zu Tode gekuschelt zu werden?
Kogler: Nein. Was soll ich für eine Angst haben? Der Erfolg bei der Nationalratswahl kam für uns extrem überraschend, wir haben geglaubt, auf sechs Prozent zu kommen. Für uns war das so, als ob man als Zwanzigjähriger einen schweren Motorradunfall hat und dann die Intensivstation verlässt. Dann sieht man das Leben auch anders und ist grundsätzlich angstfreier.
Die Corona-Krise hat diese Frage wieder befeuert: Braucht Österreich mehr Föderalismus? Müssen die Bundesländer mächtiger und der Einfluss der Bundesregierung zurückgeschraubt werden?
Schützenhöfer: Es gibt sicher wichtige Themen, wo sich Bund und Länder in realistischer Form auf die Neuregelung von Kompetenzen einigen könnten - etwa im Schulwesen. Mit „realistischer Form“ meine ich: Wir müssen mit dem Hinhauen auf den jeweils Anderen aufhören. Es ist ja modern geworden, dass man auf die Bundesländer hindrischt. Die Länder leisten gute Arbeit, aber die Krise zeigt uns auch, dass wir Bedarf an Reformen haben.
Im Juli kommt die Formel 1 in die Steiermark. Als Sportminister wird Sie das freuen, als Grüner wohl eher weniger. Wohnen da zwei Herzen in einer Brust?
Kogler: Gar nicht. Obwohl die Formel 1 nicht zu meinen Lieblingssportarten zählt, verfolge ich die Rennresultate immer wieder. Wir verstehen uns als Ermöglicher und nicht als Verhinderer, wenn es gesundheitspolitisch vertretbar ist. Man kann zum Motorsport stehen wie man will, aber für die Steiermark ist die Formel 1 imagemäßig bedeutend und für die Region eine wichtige Sache. Aber die Klimaschutzmaßnahmen stehen auf unserer Agenda ganz weit oben. Und die erste Milliarde für den Klimaschutz wird auch schon investiert.
Welche Hilfspakete für Firmen sind seitens Bund und Land aktuell in Vorbereitung?
Schützenhöfer: Werner Kogler und ich haben dazu gerade eben ein Vier-Augen-Gespräch geführt. Es wird ein Hilfspaket des Bundes für die Gemeinden kommen, da laufen die Endverhandlungen. Im Anschluss an das Paket des Bundes wollen wir ein steirisches Konjunkturpaket schnüren, wo wir einerseits durch Stiftungen und andererseits mit Direkthilfen an Unternehmen beitragen wollen, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Wenn wir das Virus besiegt haben - und wir haben es jetzt einmal massiv eingedämmt -, dann ist die Ankurbelung der Wirtschaft und die Sicherung der Arbeitsplätze das Entscheidende.
Beim steirischen Hilfspaket ist die Rede von 300 Millionen Euro. Wird es weniger oder mehr werden?
Schützenhöfer: 300 Millionen Euro kann ich mir angesichts unserer Budgetlage schwer vorstellen. Geld, das ich nicht habe, kann ich nicht ausgeben.
Am 28. Juni werden die Gemeinderäte in der Steiermark neu gewählt. Die ÖVP war mit 43 Prozent zuletzt klare Bürgermeisterpartei, die Grünen mussten sich mit drei Prozent begnügen. Werden die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung das Wahlergebnis beeinflussen?
Schützenhöfer: Wir kennen diese Befürchtung, aber wir tun alles dagegen. Ich glaube, dass wir die Zahl der Bürgermeister - wir stellen mehr als 70 Prozent - halten werden. Die Grünen kandidieren in mehr Gemeinden als zuletzt, das ist ein Vorteil. Ich gönne es ihnen, wenn sie dazugewinnen - nur halt bitte nicht auf meine Kosten. Im Ernst: Ich bin froh darüber, dass die Grünen in der Steiermark immer schon stark waren. Eine Kulturhauptstadt Graz zum Beispiel wäre so nicht möglich gewesen. Dieser Geist des Widerspruchs, auch in der Kulturpolitik, ist österreichweit wohl einzigartig.
Kogler: Hermann, dem kann ich nur zustimmen. Die Steiermark ist wirtschaftlich, industriell, landschaftlich und kulturell das vielfältigste Bundesland - und das wirkt sich auch auf die Wahlergebnisse aus.
Wird die Wahlbeteiligung dramatisch sinken?
Schützenhöfer: Wir wollen das unbedingt verhindern. Problematisch ist auch, dass seit der Aufhebung der Bundespräsidentenwahl Beisitzer für die Wahlen nur sehr schwer zu finden sind. Viele fragen sich, warum sie sich das noch freiwillig antun sollen. Was Corona betrifft, habe ich keine großen Sorgen: Es gibt strenge Hygiene- und Abstandsregeln.
Die Freiheitlichen machen mit dem Slogan „Holen wir uns unsere Freiheit zurück!“ die Corona-Maßnahmen der Regierung zum Wahlkampfthema. Haben Sie dem steirischen FPÖ-Chef Mario Kunasek die Freiheit geraubt?
Kogler: Eigentlich habe ich mit Mario Kunasek kein schlechtes Verhältnis. Bei dem Wahlkampfslogan sage ich nur eines: Ich weiß nicht, was die Freiheitlichen gerade einnehmen. Fertig.
Schützenhöfer: Alles, was die Regierung macht, wird von der FPÖ schlechtgeredet. Kein Mensch ist unfehlbar - aber wo gehobelt wird, fallen Späne.
Sie beide haben einige Gemeinsamkeiten: oststeirische Wurzeln, Wohnsitz Andritz, Sie sind beide Sturm-Fans. Was Sie trennt, ist die Flüchtlingspolitik. Sollte wieder eine Flüchtlingswelle wie 2015 kommen - was würden Sie einem Grün-Politiker ins Tagebuch schreiben, der sagt: „Wir schaffen das“?
Schützenhöfer: Das habe ich damals im Landtag auch so gesagt und die Freiheitlichen hören nicht auf, mir das vorzuwerfen. Wie sie auch nicht aufhören mir vorzuwerfen, dass ich Viktor Orbán einen Despoten genannt habe. Beides war aus der damaligen Situation heraus gesagt, beides möglicherweise übertrieben. Ich würde einem Grün-Politiker keinen Ratschlag geben, weil ich glaube, der Gegner in der Flüchtlingspolitik sind eher die Freiheitlichen, die an die Grenzen dessen, was mit Menschenrechten vereinbar ist, gehen. Neue Mauern will ich nicht aufbauen - aber es ist auch klar, dass wir nicht jeden bei uns aufnehmen können.
Sie beide haben noch eine Gemeinsamkeit: Als die Grünen aus dem Nationalrat geflogen sind und als die steirische ÖVP den Landeshauptmann-Sessel verloren hat, haben Sie Ihre Parteien gerettet. Können die Grünen ohne Werner Kogler überhaupt existieren?
Kogler: Ja, sicher. Ich versuche schon jetzt, andere nach vorne zu bringen. Manche legen mir das als Schwäche aus.
Sie meinen Ulrike Lunacek?
Kogler: Wir haben viele gute Personalentscheidungen getroffen, aber nicht alle sind gut ausgegangen. Die Ulrike hat andere Stärken, als jetzt in der Krise gefragt sind.
Schützenhöfer: Ich habe 2005, als wir den Landeshauptmann verloren haben, miterlebt, wie die sozialistische Jugend mit Fackeln zu unserer Parteizentrale gezogen ist - da wurden wir mit Hohn und Spott überschüttet. Damals habe ich mir gedacht: In meinem ganzen Leben werde ich nie mehr Schadenfreude haben. Werner Kogler ist noch Ärgeres passiert, die Grünen sind überhaupt aus dem Parlament geflogen. Und der Werner, ein Urgestein der Grünen, hat den Haufen übernommen in einer Zeit, als alle gesagt haben: „Was tut sich dieser Mensch da an?“ Und er hat von Stand weg die Grünen wieder ins Parlament in einer nie dagewesenen Stärke und in die Regierung geführt. So etwas bewundere ich.
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