"Arbeitspflicht"

ÖVP: Sozialhilfe-Empfänger sollen Rasen mähen

Österreich
14.09.2010 14:23
Die wahlkämpfende Wiener ÖVP-Chefin Christine Marek lässt mit nachträglichen Vorschlägen zur bereits beschlossenen Mindestsicherung aufhorchen. Die Familienstaatssekretärin wünscht sich nämlich strengere Regeln und eine Art "Arbeitspflicht" für Sozialhilfe-Empfänger. Konkret sollen die Betroffenen zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden, wenn sie nach sechs Monaten keinen Job auf dem Arbeitsmarkt gefunden haben. Mit ihrer Forderung spreche sie für die gesamte ÖVP, so Marek. Die SPÖ entgegnet, Marek fordere damit teilweise bereits Umgesetztes ein.

Marek sprach Dienstagvormittag im Radio Ö1 von einer "Keule gegen sozialen Missbrauch". Generell sollen dabei Langzeitarbeitslose für gemeinnützige Tätigkeiten herangezogen werden: "Gemeinnützige Einrichtungen wie Caritas, Hilfswerk und andere, die in ihren Einrichtungen um jede helfende Hand auch dankbar sind." Aber auch Rasenmähen und Straßenkehren gehöre dazu. "Natürlich immer im Rahmen des Zumutbaren", so Marek.

Wenn man sich weigert, die Arbeit zu machen, würde die Mindestsicherung gekürzt, schlägt die Wiener VP-Chefin vor. Marek schließt auch die völlige Streichung nicht aus, darüber müsse man aber noch diskutieren. Als Vorbild für Marek gilt das Projekt Bürgerarbeit in Deutschland, das vor Kurzem ausgeweitet worden ist.

SPÖ: Marek soll sich besser informieren
Koalitionspartner SPÖ hatte für Mareks Forderung am Dienstag größtenteils nur Spott übrig. Sozialsprecherin Renate Csörgits empfahl der Staatssekretärin gar, sich über die Mindestsicherung besser zu informieren - zumindest was ihre Forderung nach Kürzung der Beihilfen betrifft. "Schon heute wird der Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gekürzt oder zur Gänze gesperrt, falls ein Bezieher eine zumutbare Arbeit nicht annimmt." 

Die Äußerungen Mareks seien daher "freilich nur Wahlkampfgetöse". Immerhin sei die Einigung zur Mindestsicherung mit den Stimmen der ÖVP im Parlament beschlossen worden. Auch bei der Umsetzung in Wien hätte Marek die Chance gehabt, ihre "Keule gegen sozialen Missbrauch" einzubringen. Für die SPÖ-Sozialsprecherin ist klar: "Die Mindestsicherung ist missbrauchssicher." 

Nicht ganz einheitlich präsentierte sich die im Wahlkampf stehende Wiener SPÖ. Während Sozialstaatssekretärin Sonja Wehsely den Marek-Vorstoß als "ungustiös" geißelte, zeigte Bürgermeister Häupl gewisses Interesse. "Wenn man das individualisiert, von Fall zu Fall anschaut, ist das etwas, worüber man reden kann." Eine generelle Regelung lehnte er jedoch ab: "Das ist ein populistisches Signal nach rechts", beschied der Stadtchef Herausforderin Marek.

"Nachschulung" mit Hundstorfer?
Sozialminister Rudolf Hundstorfer meinte am Dienstag am Rande der Ministerratssitzung, Ziel der Mindestsicherung sei es, Menschen wieder zurück in normale Beschäftigungsverhältnisse zu bringen und nicht wie in Deutschland in Hartz IV zu verfestigen. Auf die Frage, ob der Marek-Vorschlag nach den bevorstehenden Wahlen vielleicht doch noch diskutiert wird, antwortete Hundstorfer: "Sicher nicht."

Bundeskanzler Werner Faymann stellte nach dem Ministerrat gar ein Gespräch in Aussicht, bei dem Hundstorfer der Staatsekretärin eine Art "Nachschulung" in Sachen Mindestsicherung geben soll. Er, Faymann, gehe davon aus, dass es dem Sozialminister gelingen werde, "das aufzuklären". Nach einem Termin für dieses Gespräch gefragt, meinte Faymann: "Mein persönlicher Verdacht ist der 11. Oktober" - also der Montag nach der Wien-Wahl. 

Vizekanzler Josef Pröll sagte hingegen, er würde das Gespräch als eine Verhandlung betrachten. Der Vorstoß Mareks passe gut ins Gefüge der Mindestsicherung und er sei dankbar, dass diese Frage zwischen Hundstorfer und Marek vertieft werde. Er sprach auch von einer Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft seitens der SPÖ. Faymann hielt dem entgegen, dass er das Gesetz jetzt schon für gut hält und verwies auf die jetzt schon bestehenden Sanktionsmöglichkeiten bei Arbeitsverweigerung.

FPÖ sieht Bedenken bestätigt, Grüne attackieren Marek
Die FPÖ sieht sich mit der Marek-Forderung wiederum in ihren Bedenken bestätigt: "Die jetzige Forderung im Zusammenhang mit der Mindestsicherung stellt die bisherige ÖVP-Argumentation auf den Kopf. Das deshalb, weil ÖVP und auch SPÖ bei Einführung der Mindestsicherung ja hoch und heilig versprochen hatten, dass nur jene Personen sie bekommen, die trotz aller Anstrengung keine Arbeit finden. Die jetzige Debatte um die Ableistung gemeinnütziger Arbeit zeigt aber, dass offenbar von jenem Missbrauch ausgegangen wird, vor dem die FPÖ immer gewarnt hat", meinte am Dienstag FPÖ-Generalsekretär und Sozialsprecher Herbert Kickl.

"Christine Marek ist jedes Mittel Recht, um im Wien-Wahlkampf wahrgenommen zu werden. Sie lässt jede Schamgrenze hinter sich und schlägt verbal auf Arbeitslose und Arme ein", kritisierte indes der Sozialsprecher der Grünen, Karl Öllinger. "Solche Methoden zur Steigerung des Bekanntheitsgrades kennt man sonst eigentlich nur von der FPÖ", so Öllinger. Marek wisse, dass die meisten Arbeitslosen nach durchschnittlich 97 Tagen einen Job finden. "Sie in einen Arbeitsdienst zu zwingen hieße, sie länger in der Arbeitslosigkeit festzuhalten", meint Öllinger. Es sei offensichtlich, dass Marek "mit ihrem billigen Sager lediglich versucht, Aufmerksamkeit zu erregen".

Seitens des BZÖ meinte Josef Bucher, dass die "Verlogenheitspolitik" der ÖVP nicht mehr zu stoppen sei. Zuerst stimme die Volkspartei im Ministerrat und im Parlament der "leistungsfeindlichen Mindestsicherung" zu und jetzt habe Marek offenbar Panik, weil viele Wähler zu Recht kritisieren, "dass die ÖVP die Faulen unterstützt und die Fleißigen durch höhere Steuern und Belastungen bestraft".

Auch Gewerkschaft und Volkshilfe winken ab
Wolfgang Katzian von der Gewerkschaft der Privatangestellten hat Marek am Dienstag vorgeworfen, mit ihren Forderungen seine Bemühungen um einen Mindestlohn von monatlich 1.300 Euro, wie er von Katzian für die anstehenden Kollektivverhandlungen gefordert wird, zu torpedieren. "Die Regelungen zur Mindestsicherung sehen ohnehin die Verpflichtung vor, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Das ist völlig ausreichend und es gibt keinen Grund, die ohnehin schon schwierigen Lebensbedingungen dieser Menschen weiter zu verschärfen", so Katzian.

Kritik gab es auch von der Volkshilfe, weil Marek als Beispiel für gemeinnützige Arbeit auch den Pflegeberuf genannt hatte. "Pflege ist keine Spielwiese für Unqualifizierte und auch nicht für Versuche Lohndumping zu betreiben", entgegnete ihr der Präsident der Volkshilfe Niederösterreicher, der NR-Abgeordnete Ewald Sacher. "Die Pflege ist nicht vergleichbar mit Rasenmähen oder Straßenkehren!"

Gemeinnützige Jobs: Selten umgesetzte Idee
Die Idee, Langzeitarbeitslose bzw. Sozialhilfe-Empfänger zu gemeinnützigen Jobs zu verpflichten und sie damit quasi zu "Billig-Staatsbediensteten" zu machen, ist nicht neu und wurde auch innerhalb der Regierung von beiden Koalitionsparteien in verschiedenen Zusammenhängen ins Treffen geführt. So hieß es heuer etwa aus dem Verteidigungsressort von SPÖ-Minister Norbert Darabos, das Bundesheer erwäge, Langzeitarbeitslose als sogenannte "Systemerhalter" verpflichten, um den Rekruten mehr Zeit für die eigentliche Soldatenausbildung zu verschaffen.

Umgesetzt wurde eine derartige Arbeitspflicht im breiten Rahmen aber bisher nicht. Lediglich im Strafvollzug ist z.B. bei der jüngst beschlossenen Fußfessel eine vergleichbare Regel implementiert. Dort sollen Hausarrest-Kandidaten, wenn sie eine Pension beziehen oder die Fußfessel-Gebühren von 22 Euro pro Tag nicht aufbringen können, gemeinnützige Arbeit verrichten.

Seit 1. September in drei Bundesländern in Kraft
Die Mindestsicherung ist am 1. September in Kraft getreten, allerdings vorerst nur in den drei Bundesländern Wien, Niederösterreich und Salzburg. Die anderen Länder folgen in den kommenden Monaten, teils mit rückwirkender Einführung, teils erst mit Beginn 2011. In der Steiermark ist sogar noch völlig unklar, wie die Leistung ausgestaltet wird, erst nach der Landtagswahl am 26. September ist hier eine Klärung zu erwarten.

Grundsätzlich ist die 12-mal jährlich ausbezahlte Mindestsicherung an den Ausgleichszulagensatz für Pensionisten gekoppelt, der derzeit bei 744 Euro liegt, für Paare bei 1.116. Im gleichen Haushalt lebende Kinder erhalten mindestens 134 Euro, ab dem vierten Kind wird der Satz auf 112 Euro gesenkt. Integriert ist ein 25-prozentiger Wohnkosten-Anteil, der wegfällt, wenn der Bezieher über eine eigene Wohnung verfügt bzw. etwa bei Verwandten kig höhere Zahlungen zu tätigen. In Oberösterreich ist dies beispielsweise fix eingeplant, möglicherweise wird die Leistung 13-mal ausgeschüttet. In anderen Bundesländern wie in Niederösterreich soll es bei Bedarf Zusatzzahlungen geben, die aber nur individuell gewährt werden.

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