Viele wollen Betreuung

Dreimal mehr Kinder in Schulen als bei 1. Lockdown

Wien
17.11.2020 15:57

Unbeeindruckt von den „Schulschließungen“ oder weil sie keine andere Möglichkeit haben, haben zahlreiche Eltern nicht nur in Wien ihre Kinder Dienstagfrüh in die Betreuungsangebote der Schulen geschickt. Mancherorts kam im Schnitt nur ein Kind pro Klasse zur Betreuung, an anderen war deutlich mehr als die Hälfte anwesend. Im Schnitt kamen laut Bildungsministerium rund 15 Prozent der Kinder an die Schulen - mit Abstand am meisten in den Volksschulen. Beim ersten Lockdown waren nur drei bis fünf Prozent aller Kinder unter 14 Jahren in der Obhut der Schule. Die Kritik reißt entsprechend weiterhin nicht ab. „Die Schulen haben sich gut auf die neue Situation eingestellt“, gab sich Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) davon ungerührt. „Ich weiß, dass dies ein hohes Maß an Flexibilität erfordert. Mein Dank gilt allen Schulpartnern, die Verständnis für die Situation aufbringen.“

Nach Oberstufenschulen wurden nun auch Volksschulen, AHS-Unterstufen, Mittelschulen und Polytechnische Schulen bis 6. Dezember auf Distance Learning umgestellt. Ausnahme sind die 287 Sonderschulen, an denen wie bisher Präsenzunterricht stattfindet. Die Schulen sind jedoch geöffnet, wie von der Regierung betont wird: An allen Einrichtungen wird Betreuung bzw. pädagogische Unterstützung angeboten.

In vielen Klassenzimmern in Wien sah es am Dienstag nach dem Lockdown nicht anders aus als vorher: Trotz eingeschränktem Lernangebot waren punktuell in einigen Klassen 20 von 25 Schülern anwesend, aus dem „Betreuungssystem für den Notfall“ - zumindest an der Anzahl der Schüler gemessen - wurde fast ganz normaler Unterricht. Dies ergab eine morgendliche Anfrage der „Krone“ bei der Wiener Bildungsdirektion. Zwischenbilanz am Dienstagnachmittag in der Bundeshauptstadt: An den Volksschulen waren rund 22 Prozent der Kinder anwesend, an den Mittelschulen rund sechs und an den AHS-Unterstufen rund 3,5 Prozent. Über alle Schulen gerechnet kamen knapp 14 Prozent. Einige Schulen haben noch nicht rückgemeldet, hieß es aus der Bildungsdirektion. Diese würden aber das Bild nicht stark verändern. 

(Bild: APA/Herbert Neubauer)

Fast ident die Zahlen in Tirol: An den Volksschulen kamen rund 23 Prozent, an den Mittelschulen acht und an den AHS drei Prozent - das waren 15 Prozent aller Schüler. „Ich habe mit mehr gerechnet“, zeigte sich Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) positiv überrascht. Die Bitte, Kinder wenn möglich zuhause zu betreuen, habe anscheinend Anklang gefunden.

Auch im Bundesland Salzburg zeigte sich ein ähnliches Bild: Rund 15 Prozent aller 73.000 Schüler kamen zur Betreuung in ihren Bildungseinrichtungen. „Das ist ungefähr das Dreifache vom ersten Lockdown“, sagte Bildungsdirektor Rudolf Mair. Zum Wochenende hin sinke die Anwesenheit laut Anmeldungen dann ungefähr auf zwölf Prozent, „das dürfte auch mit Teilzeit-Arbeitsplätzen zusammenhängen“, vermutete er. Bereits am Morgen war von einem regelrechten „Boom“ bei der Betreuung an den Schulen des Bundeslandes die Rede. „Natürlich schicke ich meine Tochter zur Betreuung in die Schule. Ich habe keinen Resturlaub mehr und schaffe die Doppelbelastung nicht noch einmal“, berichtete eine Mutter aus der Stadt Salzburg. 

Mit 16 Prozent ziemlich genau im Schnitt lag auch Kärnten. Laut Bildungsdirektor Robert Klinglmair waren im städtischen Bereich zum Teil aber auch 30 bis 40 Prozent der Schüler anwesend. In den Volksschulen waren 23,5 Prozent der Kinder anwesend, in den Neuen Mittelschulen 10,9 und in der AHS-Unterstufe 4,3 Prozent. Vorarlberg kam auf einen Wert von 13 Prozent, am wenigsten Schüler waren im Burgenland und in der Steiermark in der Schule: An den Volksschulen im Burgenland waren es 18 Prozent, an den Mittelschulen vier und an den AHS-Unterstufen ein Prozent - auch hier gab es aber Schwankungen mit Besuchsquoten an kleinen Standorten bis zu rund 80 Prozent. In der Steiermark verzeichnete man laut Bildungsministerium insgesamt rund acht Prozent Besuchsquote.

(Bild: APA/HANS PUNZ)

Deutlich mehr Schüler wurden an den Schulen in Nieder- und Oberösterreich betreut: Über alle Schulen gerechnet waren es jeweils 25 Prozent - auch hier am häufigsten an den Volksschulen. In Niederösterreich sind derzeit rund 49.000 Schüler, also rund 25 Prozent der Gesamtschülerzahl in den Schulen in Niederösterreich anwesend - wobei auch hier in der Volksschule tendenziell mehr Schüler anwesend sind als in der Mittelschule, wie das Land in einer Aussendung mitteilte.

Teils weniger Kinder in den Klassen als angemeldet
Zum Teil stimmte der von Eltern angegebene Betreuungsbedarf auch nicht mit der tatsächlichen Inanspruchnahme überein. „Ich habe jetzt nicht extra durchgezählt. Aber in den Klassen sitzen doch meistens weniger Kinder als angemeldet wurden“, so ein Direktor zur APA. Das sei zwar für die Planung schwierig, er verstehe das aber andererseits auch. „Die Frist zur Bekanntgabe war ja sehr kurz. Im Zweifelsfall hätte ich da wahrscheinlich auch ‘Mein Kind braucht Betreuung‘ angekreuzt.“ Wenigstens seien aber jetzt die Gruppen kleiner.

Große Unterschiede gab es auch beim Distance Learning selbst: Vor allem AHS setzten schon am ersten Tag vielfach auf Videokonferenzen. An Volksschulen dominierten dagegen Arbeitspakete mit Aufgaben, die entweder per Mail übermittelt wurden, bereits am Montag analog übergeben wurden oder an den Schulen abgeholt werden konnten. Zum Teil seien zwar auch hier Videokonferenzen geplant, so eine Direktorin. Allerdings habe man am ersten Tag aufgrund des angegebenen Betreuungsbedarfs viele Lehrkräfte an die Schule geholt. Bei den Videokonferenzen solle es auch weniger um Lernstoff gehen als um das Aufrechterhalten des Kontakts zwischen den Kindern und um Fragen zu den Arbeitspaketen.

Deutlich mehr Kinder im Kindergarten
Erste Rückmeldungen aus den Kindergärten lassen vermuten, dass die Betreuung weit öfter als an den Schulen in Anspruch genommen wird. Das zeigen etwa die größten privaten Kindergartenträger in Wien, von denen fast drei Viertel der Kindergärten in der Bundeshauptstadt betrieben werden: Bei den Kinderfreunden, die in Wien 155 Häuser betreiben, sind am Dienstag rund drei Viertel der Kinder im Kindergarten erschienen. In den rund 90 Standorten der Sankt Nikolausstiftung wird laut einer Sprecherin mit einer Auslastung zwischen 50 und 70 Prozent gerechnet. In den städtischen Kindergärten Wiens sind es 43 Prozent.

(Bild: REUTERS/Majid Asgaripour/WANA)

In die städtischen Standorte der steirischen Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen wurden am Dienstag im Schnitt 50 Prozent der angemeldeten Kinder gebracht. An den ländlichen Standorten seien es im Schnitt 35 Prozent der angemeldeten Kinder gewesen. Aus Linz wird gemeldet, dass dort am Dienstag 36 Prozent der Kindergartenkinder (1.722 Kinder) und 57 Prozent der Krabbelstubenkinder (530) in die Einrichtungen gekommen sind.

Starkes Stadt-Land-Gefälle auch bei den Kindergärten
Bei den Kindergärten dürfte es auch im Rest Österreichs ein Gefälle zwischen Stadt und Land bei der Inanspruchnahme der Einrichtungen gegeben haben. So waren etwa in Bregenz 43 Prozent der Kindergartenkinder und 78 Prozent in der Kleinkindbetreuung anwesend, in Ganztagsgruppen sogar mehr. Rund 50 Prozent der Kinder wurden in den Kindergärten in Hohenems und Feldkirch betreut, wobei es in Feldkirch in den Ganztageseinrichtungen ebenfalls 80 Prozent waren. 35 Prozent waren es in den Bludenzer Kindergärten, gut 50 Prozent in den dortigen Kleinkindbetreuungen. In Tirol waren es über das ganze Land gerechnet dagegen nur rund ein Viertel, im Burgenland 28 Prozent.

Für SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid ist es unverantwortlich, dass Kanzler Kurz bei der Frage der Schulschließungen die Empfehlungen führender Experten aus der Medizin, dem Public-Health-Sektor, der Kinder- und Jugendheilkunde, der Psychologie, aber auch der Wirtschaftsforschung ignoriert hat. Ignoriert wurden aber auch die Wünsche der Eltern und Schüler, kritisierte sie im Nationalrat bei der Diskussion des Budgets.

Sonja Hammerschmid (SPÖ) (Bild: APA/Georg Hochmuth)
Sonja Hammerschmid (SPÖ)

Hammerschmid will Regierung zur Rechenschaft ziehen
Hammerschmid: „Sogar die Mitbestimmung aus den eigenen Reihen - des eigenen Bildungsministers, der eigenen Ampelkommission, der dem Gesundheitsministerium unterstellten AGES, wurden negiert. Man könnte fast meinen, sie alle wurden entmündigt.“ Abschließend fragt die Abgeordnete: „Wer übernimmt in einigen Monaten und Jahren die Verantwortung für die Folgen dieser Fehlentscheidung? Wir werden Kanzler Kurz und seine Regierung zur Rechenschaft ziehen, das verspreche ich Ihnen.“

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