Warum die Krise zeigt, wie zerbrechlich unser Glück ist, und warum 2021 ein hartes Jahr wird, erklärt Caritas-Chef Herbert Beiglböck im Interview mit der „Steirerkrone“.
Herr Beiglböck, bei Armut denken viele an Entwicklungsländer. Wie sehr prägt Armut die Steiermark?
Armut ist ein relativer Begriff und hängt stark von der Situation im jeweiligen Land habe. Kann ich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, einen Kaffee trinken gehen, ein Kino besuchen? Eine große Anzahl von Menschen in der Steiermark kann das nicht, sie müssen Abstriche machen. Teilweise geht es in existenzielle Fragen: Kann ich mir die Miete, Schulmaterialien und genug Essen leisten?
Ist die Armut in der Steiermark zu wenig sichtbar?
Wir waren eine Gesellschaft der Erfolgreichen und Lustigen. Doch mit der Krise haben wir gemeinschaftlich gespürt, wie zerbrechlich und gefährdet unser bekanntes Leben ist. Ich habe die Hoffnung, dass die Sensibilität für Menschen mit materieller Armut steigt.
Fehlt diese Sensibilität?
Die Aufmerksamkeit war in der Vergangenheit zu wenig da, aber es ist etwas in Bewegung. Wir sehen nun: Es kann ganz schnell gehen von einer gesicherten in eine ungesicherte Position. Es gibt Menschen, die leben auf dem letzten Zacken. Die 50 Euro, die sie fürs Putzen bekommen, halten das System aufrecht. Wenn das nun wegfällt, beginnt sich plötzlich die Spirale zu drehen.
Neue Jobs zu finden, ist derzeit sehr schwierig.
Ja. Ich schätze, es gibt etwa 15.000 bis 20.000 Menschen in der Steiermark ohne Chance auf den ersten Arbeitsmarkt (Jobs ohne Zuschüsse der öffentlichen Hand, Anm.), etwa weil sie krank sind, Handicaps haben, nicht belastbar sind. Diese Gruppe hat nun keine Chance mehr. Wenn wir wollen, dass sie nicht alle in die Mindestsicherung kommen, brauchen wir dauerhaft gestützte Arbeitsplätze. Derzeit laufen Programme meist nur ein paar Monate.
Gibt es Schicksale, die Sie besonders berühren?
Viele, nur ein paar Beispiele: Bei der Lebensmittelausgabe traf ich eine 75-Jährige, die bisher Gartenarbeiten für ihre Nachbarin erledigte. Das Geld fehlt ihr jetzt fürs Essen. Es gibt zahlreiche alleinerziehende Mütter, die viel auf sich nehmen, damit ihre Kinder halbwegs am schulischen Leben teilhaben können. In einer Notunterkunft sprach ich mit einem Fotografen, der heuer kaum mehr Hochzeiten fotografieren konnte und delogiert wurde. Es sind Menschen, die das ganze Leben hart arbeiten und sich sehr bemühen. Dann kippen sie plötzlich raus - das berührt mich.
Weihnachten ist die Spenden-Hochzeit. Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Nein, jede Spende hilft uns. Es bleibt auch im Gesamtbewusstsein der Bevölkerung etwas hängen. Weihnachten ist ein Dünger für das solidarische Gewissen.
Wie ist Ihr Ausblick auf das kommende Jahr?
Es wird schwierig. Viele Hilfen laufen aus, die sozialen Härten werden erst spürbar. Wir müssen auch darüber diskutieren, die finanziellen Lasten gerecht zu verteilen. Wir müssen einen langen Atem haben, um die Gesellschaft solidarisch aus der Krise hinauszubringen.
Herbert Beiglböck wurde 1960 in Hartberg geboren und studierte Theologie in Graz. Er bekleidete ab 1984 verschiedene Positionen in der Kirche (u. a. Generalsekretär der Katholischen Jugend Österreich, Generalsekretär der Katholischen Aktion Steiermark). 2001 wechselte er als Marketing-Leiter zur Kleinen Zeitung und absolvierte ein Wirtschaftsstudium. 2004 wurde er Wirtschaftsdirektor der Diözese, 2016 Caritas-Direktor. Beiglböck ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Graz.
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