1 Jahr Übergangsfrist

Verfassungsgericht erlaubt „Hilfe beim Selbstmord“

Österreich
11.12.2020 17:09

Behindertenverbände und die Kirche hatten davor gewarnt, Sterbehilfe zu legalisieren. Jetzt öffnen die Verfassungsrichter eine erste Türe. „Hilfe beim Selbstmord“ wird im Hinblick auf ein Recht auf freie Selbstbestimmung im Leben wie beim Sterben erlaubt. Die Regelung tritt erst mit 1. Jänner 2022 in Kraft. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar, gaben die Richter des Verfassungsgerichtshofes am Freitagabend bekannt.

Vier Antragsteller - unter ihnen zwei Schwerkranke und ein Arzt - hatten den Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit dem Problem der Sterbehilfe konfrontiert. Die Verkündung der Entscheidung wurde bereits einmal verschoben, sie fiel den 13 Höchstrichtern also nicht leicht.

(Bild: stock.adobe.com)

In ihren Erwägungen waren mehrere Gründe maßgebend: Leitfaden dazu sei das verfassungsmäßige Recht auf freie Selbstbestimmung gewesen. Weiters erwähnte VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter die Patientenverfügung, die es seit Jahren in Österreich gibt. Jedem Bürger ist nach Beratung mit einem Arzt und einem Notar erlaubt, lebensverlängernde Maßnahmen im Falle einer schweren Erkrankung abzulehnen. Und das Ärztegesetz gestattet es einem Arzt, Mittel zur Behandlung schwerer Schmerzen einzusetzen, selbst wenn das Leben dadurch verkürzt wird.

Transparente der „Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende“ (ÖGHL) vor Beginn einer öffentlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes (VFGH) zum Verbot der Sterbehilfe (Bild: APA/Herbert Neubauer)
Transparente der „Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende“ (ÖGHL) vor Beginn einer öffentlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes (VFGH) zum Verbot der Sterbehilfe

Warnung vor Missbrauch an den Gesetzgeber
Ganz wichtig ist den Höchstrichtern vor allem der Umstand, dass der Sterbewillige seine Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, frei und ohne Beeinflussung treffen soll. Hier richtete sich Grabenwarter an den Gesetzgeber, der möglichen Missbrauch durch neue Bestimmungen verhindern soll. Um eine ausgewogene rechtliche Basis zu schaffen, soll die „Hilfe zum Selbstmord“ erst mit 1. Jänner 2022 erlaubt sein.

(Bild: APA)

„Tötung auf Verlangen“ bleibt aber strafbar
In manchen Fällen, so Grabenwarter weiter, wären Sterbewillige nicht mehr in der Lage, selbst ihrem Leben auf würdige Weise ein Ende zu setzen. Weil eben ihre Krankheit schon weit fortgeschritten ist. Daher müsse die Hilfe beim Selbstmord erlaubt sein. Weiter verboten bleibt es hingegen, jemand zum Selbstmord zu verleiten. Und ganz klar ist die Tötung auf Verlangen (§ 77) weiter Teil des Strafgesetzbuches.

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter (Bild: APA/Georg Hochmuth)
VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter

Ob der Spruch der Verfassungsrichter die Möglichkeit eröffnet, dass sich gewerbliche Unternehmen, wie in der Schweiz Dignitas oder EXIT, des Themas annehmen, wird die Zukunft zeigen. Hier ist der Selbstmord im Beisein eines Arztes, der ein tödliches Medikament reicht, erlaubt. Nehmen muss es der Sterbewillige selbst.

Kirche über VfGH-Entscheidung „bestürzt“
Die katholische Kirche hat auf die Entscheidung des VfGH, dass Beihilfe zum Selbstmord künftig nicht mehr unter Strafe steht, mit „Bestürzung“ reagiert. Das Sterbehilfe-Urteil sei ein Kulturbruch und gefährde die Solidarität, kritisierte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Die Regierungsparteien ÖVP und Grünen reagierten skeptisch bis ablehnend und die SPÖ forderte eine breite und offene Diskussion.

Peter Grotter, Kronen Zeitung/krone.at

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