„Ein Meilenstein“, „Vorzeigecharakter“ und Wien als „Vorreiter“ bei der Bildung für ganz Österreich: Wenn es um das Modell der kürzlich eingeführten Gratis-Ganztagsschule in der Bundeshauptstadt geht, können SPÖ-Politiker von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner abwärts nicht genug lobende Worte finden. Doch nicht alle Eltern sind so euphorisch, sehen sie in der Förderung der Ganztagsschule vielmehr eine Ungleichstellung gegenüber den Offenen Volksschulen - die einer Wiener Familie mit jährlichen Kosten von bis zu 2500 Euro pro Kind zu Buche schlagen. Mit einer Petition fordern sie die finanzielle Gleichstellung aller Arten der Nachmittagsbetreuung.
Pro Monat ersparen sich Eltern seit dem laufenden Schuljahr 2020/21 rund 180 Euro (den Betrag für das Mittagessen noch nicht mitgerechnet; Anm.) für jedes Kind. Die Zahl der verschränkten Ganztagsschulen wurde heuer um sieben Standorte auf 70 aufgestockt, die SPÖ sprach von einem „Herzensprojekt“ von Bürgermeister Michael Ludwig und dem - mittlerweile von seinem pinken Nachfolger abgelösten - SPÖ-Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky. Das Wiener Ganztags-Schulmodell soll allen Kindern - unabhängig vom Geldbörsel der Eltern - die gleichen Chancen geben.
„Der Wiener Weg ist hier der richtige“
Ludwig warb mit der Gratis-Ganztagsschule im Wien-Wahlkampf kräftig um Stimmen - und hat bereits jedes Jahr zehn weitere Standorte für diese Schulform angekündigt. Diese Schulform biete nicht nur verschränkten Unterricht, sondern vor allem Fördermöglichkeiten für die Kinder, und das kostenfrei, betonte Ludwig kurz vor der Wien-Wahl im Oktober. „Der Wiener Weg ist hier der richtige“, so der Tenor.
Eine Ersparnis von rund 180 Euro für die Eltern pro Monat strich auch die Wiener SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak im Wahlkampf hervor. Auch der ansonsten gegenüber der politischen Konkurrenz überaus kritische SPÖ-Blog kontrast.at fand in einem Beitrag nur lobende Worte für den Ausbau der Gratis-Ganztagsschulen in Wien und führte dazu eine Umfrage (aus dem Jahr 2016) an, wonach sich 60 Prozent der Eltern in Österreich ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen wünschen würden.
Man baue auf vieles auf, was bereits geschaffen wurde - etwa auf dem Gratiskindergarten oder den beitragsfreien Ganztagsschulen, hatte dann auch der neue Bildungsstadtrat, Christoph Wiederkehr von den NEOS, nach seinem Amtsantritt im November wissen lassen, den eingeschlagenen Bildungsweg weitergehen zu wollen.
Elternvertreter sehen finanzielle Ungleichstellung von Familien
Kritischer sehen es Elternvertreter einer Volksschule der Stadt Wien, in der als Offene Volksschule für jedes Kind weiterhin bis zu 2500 Euro pro Jahr zu bezahlen sind. Auch wenn man die Entscheidung, „dass beim Thema Bildung nicht gespart werden darf und alle Kinder die gleichen Chancen erhalten sollen“, begrüße, würden die Maßnahmen der SPÖ „entschieden gegen eine Gleichstellung aller Familien in Wien“ gehen, kritisieren die Vorsitzende des Elternvereins der OVS Prießnitzgasse im 21. Bezirk, Isabella Strnad, und Stellvertreterin Agnes Fletzberger.
Slogans wie z.B. „Klarheit statt Krise für Familien und deren Kinder“, „Sport, Spiel & Spaß – Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf“, „Bildung statt Bashing – darauf setzen wir in Wien“, „Ganz Tagesschulen, ganz Gratis, keine halben Sachen in der Bildung“ … versprechen so viel, aber wenn man doch, wie überall das Kleingedruckte liest, bemerkt man rasch, dass es doch nicht für alle gilt.
Isabella Strnad, Vorsitzende des Elternvereins der OVS Prießnitzgasse
Die SPÖ locke demnach mit ihrer Werbung für kostenlose Ganztagsschulen „wesentlich mehr Familien an, als es überhaupt Schulplätze in diesen Schulen gibt“. Dies habe zur Folge, „dass sich viele Familien nicht aussuchen können, ob sie die kostenfreie GTVS wählen oder die kostenintensive OVS“, bringt Strnad im Gespräch mit krone.at die Kritik auf den Punkt. Eine Förderung ausgewählter Standorte oder Schultypen sei jedenfalls ungerecht.
Sechs von zehn Familien in Wien würden aufgrund dieser „Ungleichstellung“ nicht in den Genuss einer Ermäßigung der Nachmittagsbetreuungs- und Mittagsverpflegungskosten kommen. „Diese Ungerechtigkeit wollen und können wir so nicht akzeptieren“, so Strnad. Sie sieht „für Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher, für Familien, deren Einkommen nicht zur guten Mittelschicht zählen, wirklich einen enormen Nachteil“.
Schreiben an Polit-Verantwortliche bleibt ohne Erfolg
Die engagierten Elternvertreter hatten sich deshalb noch vor der Wien-Wahl an den Bürgermeister und den Bildungsstadtrat sowie den Floridsdorfer Bezirksvorsteher Georg Papai und auch den Landeselternverband gewandt. Erfolge bei ihrer Forderung nach „gerechter Verteilung“ kostenloser Nachmittagsbetreuung auf alle Schultypen in Wien konnten sie aber zunächst nicht erzielen.
Diese sachlich ungerechtfertigte Unterscheidung trifft vor allem Mittelstandsfamilien, welche nicht in den Genuss einer Ermäßigung (der Nachmittagsbetreuungs- und Mittagsverpflegungskosten) aufgrund ihrer Einkommenssituation kommen.
Volksanwalt Dr. Walter Rosenkranz
Die Elternvertreter wandten sich deshalb in einem nächsten Schritt an die Volksanwaltschaft. Die Antwort sei „vielversprechend“, da Dr. Walter Rosenkranz ebenfalls die Meinung vertrete, dass die Unterscheidung zwischen den einzelnen Schultypen „sachlich ungerechtfertigt“ sei. So gäbe „die Stadt Wien durch ihre derzeitige Förderstruktur ohne sachliche Rechtfertigung der verschränkten Form gegenüber der offenen Form der GTS den Vorzug“, so der Volksanwalt. Er habe daher bei Ludwig angeregt, „die kostenlose Betreuung bis 15.30 Uhr inklusive eines kostenfreien Mittagessens auf alle Formen der Nachmittagsbetreuung auszuweiten“. Ludwig sei „dieser Anregung nicht gefolgt und sieht keinen Handlungsbedarf“.
Schon fast 3000 Menschen unterstützen Petition
Die Hoffnung auf einen Richtungswechsel in der Stadtpolitik trotzdem noch nicht aufgegeben, wandten sich die Elternvertreter schließlich an den neuen NEOS-Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr. Zusätzlich wurde eine Online-Petition gestartet, die mit Stand Montagmorgen knapp 3282 Menschen unterschrieben haben - aktuelles Ziel sind nun 4000 Unterschriften.
Dem pinken Bildungsstadtrat ist in der Sache vorerst nichts Konkretes zu entlocken. Auf krone.at-Anfrage hieß es aus Wiederkehrs Büro: „Die aktuellen Angebotsformen gilt es weiter auszubauen und zu prüfen, ob eine Erweiterung für weitere Schulformen möglich ist. Unser Ziel ist es, so vielen Schüler_innen wie möglich einen Ganztagsplatz an einer Schule anbieten zu können, daher wollen wir den Ausbau der schulischen Ganztagsbetreuung zügig vorantreiben.“
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